Auch heute noch keine leichte Kost: Pasolinis «Die 120 Tage von Sodom» Filmstill

Skandal im Kinosaal

Die Vorführungsreihe «Royal Scandal Cinema» widmet sich den grossen Skandalen der Filmgeschichte in akademischer Manier. Das raubt den Filmen aber auch ihre Sprengkraft.

8. April 2016

Skandale sind mit Sicherheit nicht das Erste, womit man die aargauische Kleinstadt Baden in Verbindung bringt. Vielleicht erzählen die Betreiber des ortsansässigen Kino Royal gerade deshalb gerne vom Aufruhr und der moralischen Empörung, die in den 1910er-Jahren der geplante Bau des ersten Badener Kinos auslöste – zu einer Zeit, als die Filmkunst noch als «Grossstadtpest» verteufelt und Werke mit gesellschaftlicher und politischer Brisanz oft der Zensur unterworfen wurden.

Kino im Kontext

Die Vorführungsreihe «Royal Scandal Cinema» wendet sich nun Fällen der Filmgeschichte zu, die für besonders grosse Empörung gesorgt haben. Damit die Filmskandale in ihren jeweiligen historischen und kulturellen Kontext eingeordnet werden können, wird jede Vorstellung mit einem knappen Vortrag eingeführt. Dabei kommen Expertinnen und Experten nicht nur aus der Filmwissenschaft, sondern auch aus der Japanologie, der Theologie oder der Wirtschaftsgeschichte zu Wort. Obwohl auch alle Mitglieder des Veranstaltungsteams einen akademischen Hintergrund haben, beschleicht einen glücklicherweise nie das Gefühl, dass der Kino- zum Vorlesungssaal würde – und man als nichtsahnende Studierende gewisser-massen vom Regen in die Traufe kommt.

Bei vielen der gezeigten Werke lässt sich noch erahnen, weshalb sie mit ihrem Erscheinen so hohe Wellen geschlagen haben. Die ausufernde Gewalt und die expliziten Sexszenen in Filmen wie «Caligula» (Tinto Brass, 1979) oder «Die 120 Tage von Sodom» (Pier Paolo Pasolini, 1975) riefen immer wieder die Hüter von Sitte und Moral auf den Plan. Gerade Pasolinis mit subversiver Sozialkritik angereicherte Marquis-de-Sade-Adaption scheint im Laufe der Zeit wenig von seiner Schockwirkung verloren zu haben. Noch 2007 wurde eine Vorführung des Films im Kino Xenix in Zürich von der Polizei verboten, nachdem aus christlichen Kreisen Strafanzeige gegen das Kino eingereicht worden war.

Sex, Gewalt und Religionskritik

Als heutiger Kinobesucher ist man aber letztlich auch erstaunt darüber, wie schnell bestimmte Inhalte als Provokationen gelten konnten. Nicht nur Filme mit Darstellungen von Sex und Gewalt, sondern auch die satirische Verwendung religiöser Symbolik wurde oft als besonders stossend empfunden. Der Papst persönlich hat sich schon gegen die Vorführung von Filmen ausgesprochen, so geschehen bei «Teorema» von 1969, einem weiteren Werk Pasolinis.

Man darf nicht enttäuscht sein, wenn die Skandalfilme heute, eingeordnet in den wissenschaftlichen Diskussionsrahmen, für weit weniger erregte Gemüter sorgen als zum Zeitpunkt ihres Erscheinens. Das filmwissenschaftliche und kritische Hinterfragen der skandalträchtigen Elemente bändigt ihr Provokationspotential.

Es lässt sich nicht abschliessend feststellen, ob das Gewinn oder Verlust ist. Die nüchterne Reflexion schärft aber sicherlich den Blick für die im Film geäusserte Kritik. Es ist ja nicht so, dass Film- und Kulturschaffende nur provozieren würden, um zu provozieren. Die Provokation ist vielmehr ein effizientes Mittel, um wichtige Fragen aufzuwerfen und das Publikum aufzurütteln. Die Macherinnen und Macher der Filmreihe beharren augenscheinlich darauf, dass auf Skandal und Sensation eben Nachdenken und rationale Diskussion folgen sollen.