Einladung in die Elite

Die Schweizerische Studienstiftung fördert Hochbegabte und ist ein exklusiver Club. Über eine ambivalente Beziehung.

8. April 2016

Im grossen Umschlag, den ich an meiner Maturafeier in die Hand gedrückt bekam, lag die Einladung in die Elite. Aus einer Hochglanz-Broschüre lächelten mir begeisterte Menschen entgegen und versprachen mir Horizonterweiterung und eine erfolgreiche Karriere, wenn ich Mitglied der Schweizerischen Studienstiftung (SST) werden würde.

Die SST fördert angehende Akademikerinnen und Akademiker, die nicht nur Höchstnoten aufweisen können, sondern auch gesellschaftliches Engagement. Das Versprechen war gross: Eine Förderung durch die SST würde mich zur Crème de la Crème der Gesellschaft machen. Und nebenbei könnte ich auch noch ein bisschen die Welt retten.

Die Welt verschönern

Eigentlich eine gute Sache, diese Stiftung, die nicht nur Wert auf messbare Exzellenz legt, sondern auch altruistisches Engagement fördern will. Unsere Gesellschaft braucht motivierte Menschen in den Teppichetagen, die über den Tellerrand hinausschauen und nicht nur an sich selbst denken. Zu diesen Menschen würde ich auch gerne gehören. Als Kind aus gutem Haus bin ich sowieso schon privilegiert. Ich hätte als Geförderte der SST das Beste daraus machen und die Welt von oben herab verschönern können.

Stiftlerinnen und Stiftler erzählten mir von Einladungen zu spannenden Vorträgen, Sommerakademien, Reise- und Büchergeld. Sie fühlten sich verstanden, sie verliebten sich sogar in andere Geförderte. Ich war neidisch.

Gute Noten und gute Taten

Doch ich konnte mich nie dazu durchringen, mich für diesen ausgewählten Club der motivierten Hochbegabten zu bewerben. Der Anforderungskatalog der SST ist ausführlich, das Bewerbungsverfahren gleicht einem perfektionierten Aufnahmeprozedere in die Schaltzentralen der Leistungsgesellschaft: Willkommen unter den Besten – du musst nur dazugehören wollen! Vielseitigkeit ist gefragt. Gute Noten und gute Taten sollen erbracht werden, vorzugsweise mehrsprachig. Selbstlos sollte man sein, gleichzeitig aber die Karriereleiter nicht aus den Augen verlieren, denn auch die Wirtschaft sollte ja dereinst profitieren können.

Mein Gefühl des Unbehagens lässt sich mit Foucault und Co. erklären: Früher sagten autoritäre Regimes den Menschen, was sie zu tun hatten, Höchstleistungen wurden erzwungen. Heute geschieht die Erfüllung der Anforderungen subtiler: Die Menschen haben sie verinnerlicht, die eigenen Wünsche und die des Systems verschmelzen. Und so erscheint es selbstverständlich, dass, wer erfolgreich sein will, das wohlklingende Motto der SST gerne erfüllt – «Motivation, Neugier, Verantwortung».

Die böse Elite?

Aber ich will diesem Motto nicht folgen. Und schon gar nicht will ich zur Elite gehören, sagt mir mein linkes Bauchgefühl. Auch wenn manche erst während des Studiums zu ihr stossen, die SST wirbt vor allem bei denen, deren Gymi-Zeugnisse herausstechen. Ein Notenschnitt von mindestens 5.3 ist Voraussetzung für eine Förderung. Hätte ich meine Energie während der Schulzeit in die Flüchtlingshilfe gesteckt oder mein Taschengeld mit einem Nebenjob verdienen müssen und deshalb «nur» eine Viereinhalber-Matur gehabt, wäre ich aber doch nicht weniger geeignet gewesen, Teil der engagierten Elite zu werden. Manche meiner geförderten Mitstudierenden kommen nun dank einer einzigen Mail zu einem spannenden Praktikum, während andere Blitzgescheite noch nie von der Studienstiftung gehört haben. Also doch ein eingeschworener Club von Privilegierten? Von wegen Chancengleichheit.

Vielleicht ist das aber auch kein linkes Bauchgefühl und ich bin der rechtspopulistischen Rhetorik aufgesessen, die ständig das «gute Volk» gegen die «böse Elite» ausspielt, um die eigenen, menschenfeindlichen Ziele zu erreichen. Und jede Art von Elite so in den Dreck zieht.

Seit ich vor zehn Jahren den Umschlag öffnete, ist mein Verhältnis zur SST ambivalent. Ich möchte ihren elitären Leistungskatalog nicht erfüllen – und beneide gleichzeitig diejenigen, die ihn verinnerlicht haben. Es gibt viele gute Gründe, weshalb ich nicht zu diesem Club der Elite gehören muss – und doch lässt er mich nicht los.

Eine Stiftung für Hochbegabte

Die Schweizerische Studienstiftung (SST) fördert seit den 1990er-Jahren hochbegabte Studierende. Laut der Stiftung sind das junge Menschen, «deren Persönlichkeit, Kreativität und intellektuelle Fähigkeiten besondere Leistungen in Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik erwarten lassen». Zurzeit werden von der privaten Stiftung fast 700 junge Akademikerinnen und Akademiker vor allem mit Bildungsangeboten, manchmal auch mit Geld unterstützt. In Zukunft soll diese Zahl der Geförderten auf 1000 steigen.

Es werden Treffen zur Vernetzung unter den Geförderten organisiert und Sommerakademien zu verschiedenen Themen angeboten. Im Rahmen dieser Akademien setzt man sich in kleinen Gruppen während einer Woche intensiv mit einem Thema auseinander. Im nächsten Sommer wird zum Beispiel über «Wissenschaft und Innovation als Motor von gesellschaftlichem Wandel» diskutiert. Oder zum Thema «Quantenphysik verstehen». Zusätzlich bietet die Studientiftung persönliche Coachings und Intensivkurse – etwa zum Thema «Ethische Entscheidungsfindung» – an. In den letzten Jahren erhielten immer mehr Geförderte auch finanzielle Unterstützung in Form von Stipendien. Im Gegensatz zur 1925 gegründeten Studienstiftung des deutschen Volkes, welche der SST vor allem bei ihrer Gründung als Vorbild gedient hatte, vergibt das Schweizerische Pendant aber nicht an alle ihre Stiftlerinnen und Stiftler ein monatliches «Büchergeld».

Die SST finanziert sich durch private Spenden. Letztes Jahr ging sie eine «strategische Partnerschaft» mit der Werner-Siemens-Stiftung ein: Diese stellt für die nächsten zehn Jahre 10 Millionen Franken zur Verfügung. Zu den weiteren Grossspenderinnen und -spendern zählen neben gemeinnützigen Stiftungen und der Schweizerischen Eidgenossenschaft Firmen wie Roche, Novartis, Syngenta und der Chemiekonzern BASF.

Für eine Aufnahme in der Stiftung kann sich bewerben, wer in Matura oder Studium mindestens einen Notenschnitt von 5.3 hat – und auch gewillt ist, diesen zu halten. Zudem wird «Verantwortungsbewusstsein und gesellschaftliches Engagement» erwartet, sowie breite Interessen, intellektuelle Neugier, Kreativität, Sprachkenntnisse und eine passende Persönlichkeit. Jedes Jahr müssen die Stiftlerinnen und Stiftler, wie die Geförderten genannt werden, einen Bericht über ihre Leistungen und ihr Erreichtes abgeben. Das Aufnahmeverfahren besteht aus einem aufwendigen eintägigen Assessment, wie man es sonst vor allem für die Besetzung von Kaderstellen kennt: Motivations- und Empfehlungsschreiben, mehrere Interviews, Gruppengespräche. Die Erfüllung des wohlklingenden Mottos der Stiftung – «Motivation, Neugier, Verantwortung» – will bewiesen sein.