Einladung in die Elite
Die Schweizerische Studienstiftung fördert Hochbegabte und ist ein exklusiver Club. Über eine ambivalente Beziehung.
Im grossen Umschlag, den ich an meiner Maturafeier in die Hand gedrückt bekam, lag die Einladung in die Elite. Aus einer Hochglanz-Broschüre lächelten mir begeisterte Menschen entgegen und versprachen mir Horizonterweiterung und eine erfolgreiche Karriere, wenn ich Mitglied der Schweizerischen Studienstiftung (SST) werden würde.
Die SST fördert angehende Akademikerinnen und Akademiker, die nicht nur Höchstnoten aufweisen können, sondern auch gesellschaftliches Engagement. Das Versprechen war gross: Eine Förderung durch die SST würde mich zur Crème de la Crème der Gesellschaft machen. Und nebenbei könnte ich auch noch ein bisschen die Welt retten.
Die Welt verschönern
Eigentlich eine gute Sache, diese Stiftung, die nicht nur Wert auf messbare Exzellenz legt, sondern auch altruistisches Engagement fördern will. Unsere Gesellschaft braucht motivierte Menschen in den Teppichetagen, die über den Tellerrand hinausschauen und nicht nur an sich selbst denken. Zu diesen Menschen würde ich auch gerne gehören. Als Kind aus gutem Haus bin ich sowieso schon privilegiert. Ich hätte als Geförderte der SST das Beste daraus machen und die Welt von oben herab verschönern können.
Stiftlerinnen und Stiftler erzählten mir von Einladungen zu spannenden Vorträgen, Sommerakademien, Reise- und Büchergeld. Sie fühlten sich verstanden, sie verliebten sich sogar in andere Geförderte. Ich war neidisch.
Gute Noten und gute Taten
Doch ich konnte mich nie dazu durchringen, mich für diesen ausgewählten Club der motivierten Hochbegabten zu bewerben. Der Anforderungskatalog der SST ist ausführlich, das Bewerbungsverfahren gleicht einem perfektionierten Aufnahmeprozedere in die Schaltzentralen der Leistungsgesellschaft: Willkommen unter den Besten – du musst nur dazugehören wollen! Vielseitigkeit ist gefragt. Gute Noten und gute Taten sollen erbracht werden, vorzugsweise mehrsprachig. Selbstlos sollte man sein, gleichzeitig aber die Karriereleiter nicht aus den Augen verlieren, denn auch die Wirtschaft sollte ja dereinst profitieren können.
Mein Gefühl des Unbehagens lässt sich mit Foucault und Co. erklären: Früher sagten autoritäre Regimes den Menschen, was sie zu tun hatten, Höchstleistungen wurden erzwungen. Heute geschieht die Erfüllung der Anforderungen subtiler: Die Menschen haben sie verinnerlicht, die eigenen Wünsche und die des Systems verschmelzen. Und so erscheint es selbstverständlich, dass, wer erfolgreich sein will, das wohlklingende Motto der SST gerne erfüllt – «Motivation, Neugier, Verantwortung».
Die böse Elite?
Aber ich will diesem Motto nicht folgen. Und schon gar nicht will ich zur Elite gehören, sagt mir mein linkes Bauchgefühl. Auch wenn manche erst während des Studiums zu ihr stossen, die SST wirbt vor allem bei denen, deren Gymi-Zeugnisse herausstechen. Ein Notenschnitt von mindestens 5.3 ist Voraussetzung für eine Förderung. Hätte ich meine Energie während der Schulzeit in die Flüchtlingshilfe gesteckt oder mein Taschengeld mit einem Nebenjob verdienen müssen und deshalb «nur» eine Viereinhalber-Matur gehabt, wäre ich aber doch nicht weniger geeignet gewesen, Teil der engagierten Elite zu werden. Manche meiner geförderten Mitstudierenden kommen nun dank einer einzigen Mail zu einem spannenden Praktikum, während andere Blitzgescheite noch nie von der Studienstiftung gehört haben. Also doch ein eingeschworener Club von Privilegierten? Von wegen Chancengleichheit.
Vielleicht ist das aber auch kein linkes Bauchgefühl und ich bin der rechtspopulistischen Rhetorik aufgesessen, die ständig das «gute Volk» gegen die «böse Elite» ausspielt, um die eigenen, menschenfeindlichen Ziele zu erreichen. Und jede Art von Elite so in den Dreck zieht.
Seit ich vor zehn Jahren den Umschlag öffnete, ist mein Verhältnis zur SST ambivalent. Ich möchte ihren elitären Leistungskatalog nicht erfüllen – und beneide gleichzeitig diejenigen, die ihn verinnerlicht haben. Es gibt viele gute Gründe, weshalb ich nicht zu diesem Club der Elite gehören muss – und doch lässt er mich nicht los.