Sumejja und Zeynep: Manchmal werden sie von Leuten an der Uni für Angestellte gehalten. Wegen ihres Kopftuchs. Eike von Lindern

Es gibt immer was zu beten

An Pessach frei zu bekommen oder unbehelligt ein Kopftuch zu tragen, ist ein ferner Traum für viele religiöse Studierende. Zwei Musliminnen und ein Jude erzählen von ihren Erfahrungen.

24. Februar 2016

Die Uni Zürich ist ein Schmelztiegel der Kulturen, Gesinnungen und Religionen. Dennoch richtet sie sich nach christlichen Bräuchen. Dies ist für Andersgläubige nicht immer einfach. Sumejja (22) studiert Psychologie und ist im Vorstand der MSAZ, der Muslim Students Association der Universität Zürich. Sie kennt die Situation: «Wir Muslime beten fünf Mal am Tag. Das heisst, dass wir drei dieser Gebete an der Uni abhalten müssen», erzählt sie.

Religion und Unistudium schliessen sich für Sumejja denn auch nicht aus: «Wir glauben auch an biologische Phänomene und Naturwissenschaften, denn der Islam ist eine Wissenschaft und kein Hokuspokus. Es ist in unserem Glauben wichtig, dass man sein Wissen erweitert, nicht nur, was die Religion angeht.»

Subtile Feindseligkeit

«Die durch die Medien vermittelte, negative Stimmung gegenüber unserem Glauben merken wir schon», sagt Sumejja. «Aber an der Uni sind die Leute zum Glück sehr offen.» Nur manchmal merke sie einigen wenigen Dozierenden an, dass ihnen ihre Religion Unbehagen bereitet. Sumejja erzählt: «Das ist meist keine offene Feindseligkeit, sondern subtil, sodass ich zum Beispiel eine ganze Lektion lang nicht aufgerufen werde, obwohl ich mich ständig melde.» Ihre Kollegin Zeynep (24), die Rechtswissenschaften studiert, sagt dazu: «Ich wünschte mir, dass die Leute realisieren würden, dass wir nicht anders sind als sie.» Dies sei für manche aber schwer. «Einmal hat mich eine Kommilitonin für eine Angestellte gehalten, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass jemand mit einem Kopftuch studiert.» Dies kann Sumejja nicht verstehen: «Unter unserem Kopftuch sind doch auch nur Haare. Es wäre schön, wenn die Leute sich mehr auf unsere Gemeinsamkeiten fokussieren würden. »

Moderne Religiosität

Jamin (22) ist gläubiger Jude und studiert Umweltwissenschaften an der ETH. Bei der Verbindung von Studium und Religion ist er kreativ: «Das Nachmittagsgebet muss ich meistens an der ETH abhalten. Anstelle eines Gebetsbuchs habe ich das Gebet auf dem Handy dabei. Die App ist diesem gleichgestellt, deshalb kann ich sie benutzen. Dann suche ich mir einen ruhigen Korridor und es sieht aus, als ob ich eine SMS schreibe.»

Ganz so einfach lassen sich aber nicht immer Lösungen finden. «Es gibt Bereiche im Studium, die ich von meiner Religion abgrenzen muss. Zum Beispiel musste ich einen Kurs in Evolutionsbiologie belegen. Den Stoff habe ich gelernt, aber daran glauben tue ich deshalb nicht.» Zu Konflikten käme es leider allzu oft. Gerade Feiertage und das Studium kommen sich meist in die Quere. «Besonders mühsam ist es, wenn ein Feiertag mit einer Prüfung zusammenfällt», sagt Jamin. «Das heisst, dass ich entweder die Prüfung verschieben muss, oder dass es sich um einen Fastentag handelt. Eine Prüfung zu schreiben, ohne etwas gegessen oder getrunken zu haben, ist nicht einfach.» Doch auch an normalen Tagen kann Jamin nicht in der Mensa essen. «Es gibt vegane und vegetarische Menüs, aber leider noch keine koscheren. Deshalb nehme ich mein Essen immer mit.» Vielleicht sind dies Gründe dafür, dass sich immer mehr junge Jüdinnen und Juden dafür entscheiden, in Israel zu studieren. «Klar ist das Leben dort leichter», sagt Jamin. «Ich möchte den Leuten aber zeigen, dass es möglich ist, Religion und Studium auch in der Schweiz zu vereinen, wenn man nur genügend Glauben und Willen hat.»

Der Raum der Stille

Die Uni tut einiges, um den religiösen Studierenden den Alltag zu erleichtern. Seit 2006 gibt es den Raum der Stille, der sich im obersten Stockwerk des Uniturms befindet und von den vier christlichen Hochschulvereinen betrieben wird. Dabei wurde darauf geachtet, dass das Konzept des Raums möglichst offen gehalten wird, wie Friederike Osthof, Hochschulpfarrerin des Reformierten Hochschulforums, erklärt. So richte sich der Raum nicht nur an religiöse Studierende, sondern an alle, die sich zurückziehen möchten. Aus demselben Grund präsentiert sich der Raum auch karg. Der Raum soll für alle da sein, betont Osthof, weshalb auf religiöse Symbole bewusst verzichtet wurde. Das Farbkonzept der Uni verbiete es zudem, den Raum frei zu gestalten. Im oberen Teil des Raumes seien allerdings Änderungen geplant, das Projekt stehe noch aus. Hoffentlich bald: Denn vorderhand ist der Raum, in dem sich alle wohlfühlen sollen, ein Raum, in dem sich niemand so recht wohlfühlen kann.

Grosser Andrang

Den Studierenden ist es egal: Der Raum werde rege genutzt, erklärt Osthof. Freitags sei der Andrang sogar derart gross, dass die Studierenden muslimischen Glaubens mittlerweile den Raum nebenan benutzen. Dieser wird ebenfalls vom Hochschulforum betrieben und ist eigentlich der Seelsorge vorbehalten. Allgemein werde der Raum aber von Studierenden aus unterschiedlichsten Gründen genutzt. Nebst denjenigen, die den Raum zum Gebet aufsuchen, gebe es auch viele, die zur Meditation herkommen. Sie habe schon erlebt, dass ein Student den Raum für ein Nickerchen gebraucht habe, erzählt Osthof. Wieso aber befindet sich der Raum im obersten Stock der Uni, im Turmzimmer? Näher am Himmel, näher bei Gott? Thomas Tschümperlin, Leiter des Rektoratsdienstes, winkt ab. Der Raum sei aufgrund des spärlichen Lichts für eine Nutzung als Büro ungeeignet. Daher habe es sich bei der Sanierung angeboten, diesen Raum den Hochschulvereinen zu überlassen. Irgendwie passt diese pragmatische Überlegung zur Nüchternheit des Raums der Stille.

Sumejja und Zeynep nutzen den Raum der Stille regelmässig. Für sie ist er eine Möglichkeit, sich vom Unialltag zurückzuziehen. Auch an der ETH gibt es einen solchen Raum, er befindet sich aber am Hönggerberg. Osthof zufolge ist dies der Grund, weshalb viele Studierende der ETH den Raum der Stille an der Uni aufsuchen.

Trotz aller Schwierigkeiten: Sumejja, Zeynep und Jamin beweisen, dass Studieren und religiöse Praxis sich nicht ausschliessen. Am Schluss kämpfen alle Studis mit den gleichen Problemen: Deadlines einhalten, für Prüfungen lernen und langweilige Vorlesungen aussitzen