Fototermin mit Heidi: Delia Popa in der Sihlcity. Delia Popa

Das Heidi, der Alpen-Dracula

Eine rumänische Künstlerin wirft einen kritischen Blick auf Heidi. Und stellt damit die Frage nach nationaler Mythenbildung und überkommenen Frauenbildern neu.

10. Dezember 2015

Klara, ohne Rollstuhl, steht auf und tapst über eine saftige Alpenwiese in die Arme ihres überglücklichen Vaters. Klara, auf der Galerie, wagt sich Schritt für Schritt die Treppe runter in die Arme ihres überglücklichen Vaters. Die Szene, unzählige Male variiert, erzählt immer wieder dieselbe alte Geschichte von Heidi und ihren Freunden, die das Glück auf den sonnenverwöhnten Flanken der Schweizer Berge finden. Zu einem Kunstvideo zusammengeschnitten hat sie Delia Popa, rumänische Künstlerin zu Gast in Zürich, die sich dem folkloristisch aufgeladenen Stoff angenommen hat. Dabei stellt sie Fragen, mit denen sich jeder Schweizer Mythos konfrontiert sieht.

Alte Geschichten in neuen Filmen

Ob Marignano oder Wilhelm Tell und der Rütli-Schwur: Immer führen wir dieselben leidigen und unfruchtbaren Debatten über die alten Sagen der Schweiz. Die kulturelle Identität dieses Landes ist zum Streitpunkt unter politischen Strategen geworden.

Im Zuge der neuen Zelebration alter Geschichten haben wir kürzlich einen neuen Heidi-Film bekommen. Was genau daran neu sein soll, bleibt allerdings im Dunkeln: Er ist kein Wiederaufgreifen eines alten Stoffs, keine Neu-Interpretation, höchstens Wiederholung derselben Kindergeschichte im alpenländischen Idyll. Dass der Heidi-Stoff so gar nicht zur politischen Wirklichkeit dieses Landes passt und ein mehr als fragwürdiges Bild der Schweiz zeichnet, bedarf wohl keinen Ausführungen. Dennoch überrascht es nicht, dass er sich grosser Beliebtheit erfreut: Die Arbeit der Tourismusindustrie, der Werbung und in jüngster Zeit auch einiger ehemals hochangesehener Feuilletons ist nicht ohne Wirkung geblieben.

Dracula trifft Heidi

Delia Popa, die die Heidi-Thematik über einen kritischen Text Ulrike Ulrichs kennengelernt hat, nimmt sich ihr mit einigem Witz und sicherlich mit mehr Fantasie an als die Macher des letzten Familienstreifens. Popa zeigt beispielsweise Parallelen zum Dracula-Stoff auf, den Bram Stoker in ihrer Heimat angesiedelt hat und stellt die Video-Collage mit Heidi-Adaptionen verschiedener Länder Linoldrucken gegenüber, auf denen Mäuse zu sehen sind, die feministische Parolen skandieren. Sie malt den Grimsel direkt auf die Wand, sodass dieser – ohne Rahmen, ohne Grenzen – den ganzen Raum einzunehmen scheint und unkommentiert hingenommen werden muss. Schliesslich sagt sie, würde sie sich mit Heidi mit grosser Lust auch in einer Performance auseinandersetzen.

Zu sehen ist die Ausstellung nach Vereinbarung bis zum 27. dieses Monats im Haus zum Palmbaum am Rindermarkt 14. Die Arbeit ist im Rahmen des index-Freiraum Stipendiums entstanden. Die Ausstellung aber zeigt kein abgeschlossenes Werk: «Die Recherche hat gerade erst begonnen», sagt Popa dazu – und sie dürfte noch eine Weile dauern, derart fasziniert ist die Künstlerin von ihrer Thematik.

Trotz allem ist auch Popas Freiraum gering – und das bezieht sich nicht bloss auf den Ausstellungsraum –, wenn sie sich am Heidi-Material versucht. Denn auch ihr gelingt es bislang nicht, daraus wirklich Neues zu schöpfen: Zu sagen, dass die Wahrnehmung der Schweiz und das Frauenbild, wie es in Heidi gezeigt wird, von gestern sind, reicht irgendwie einfach nicht. Was wir brauchen sind – so pathetisch das auch klingen mag – ein gehaltvolles Heute und fruchtbare Anstösse für ein Morgen.

Growing Up and Staying Young – Tales of Heidi. Die Einzelausstellung von Delia Popa im Rahmen des index-Freiraum Stipendiums ist bis zum 27. Dezember 2015 am Rindermarkt 14 zu sehen.

Anmeldung unter: 077 45 52 485