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Psyche des Terrors

25. November 2015

Das Büchlein «Wider den Terrorismus» des kürzlich verstorbenen Psychoanalytikers und Autors Arno Gruen ist ein Essay, und ein solcher muss zwangsläufig vereinfachen. Vielleicht ist es dieser Tatsache geschuldet, dass Gruens psychologische Kulturkritik manchmal etwas gar pessimistisch klingt, etwa wenn er die Empathie als einzig mögliche Rettung der Menschheit preist und anfügt: «Die Zeit drängt.» Dieses Pathos ist gewöhnungsbedürftig, aber Gruens Analyse der Psyche des Terrors verdient durchaus Beachtung und hat gerade durch die Anschläge in Paris eine neue Aktualität erhalten.

Die Grundthese des Buchs ist unmissverständlich: Nach Gruen sind es nicht die ideologischen oder religiösen Überzeugungen der Terroristen, die grundlegend für ihre Gewalt sind und deshalb bekämpft werden müssen, sondern es sind psychologische Gründe. Gruen attestiert allen modernen Kulturen eine Verdrängung von Empathie und Schmerzempfinden; diese Gefühle würden als Schwäche abgetan. Sehr viele Menschen würden dazu erzogen, die eigene Bedürftigkeit und den eigenen Schmerz abzuspalten und ein hartes, «männliches» Selbst auszubilden, um in einer von Wettbewerb und Konkurrenz bestimmten Welt bestehen zu können. Gleichzeitig würden durch die Globalisierung und die westliche Vergötterung des Wirtschaftswachstums «ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt von Wohlstand und dem Gefühl, einen Platz in der menschlichen Gesellschaft zu haben.» Aus diesen persönlichen sowie globalen Verdrängungen gehen beziehungsunfähige Menschen hervor, die sich danach sehnen, ihre labile Persönlichkeit durch die klaren Strukturen einer Ideologie zu stärken und ihre Wut und Verzweiflung in destruktive Gewalt umzusetzen. Sie sind die idealen Opfer und Anhänger für radikale Prediger und terroristische Organisationen.

Arno Gruen ist im vergangenen Oktober im Alter von 92 Jahren gestorben.

Arno Gruen, «Wider den Terrorismus». Klett-Cotta 2015.