Tamara Aepli

Bildung vom Bett aus

Online-Kurse sollen das akademische Wissen allen zugänglich machen. Doch kaum jemand schliesst ab.

25. November 2015

Assistentin Sandra Schneeberger vom Deutschen Seminar begrüsst die Lernwilligen vor ihren Bildschirmen. Sie und Professor Jürg Glauser (Professor für Nordische Philologie an der Uni Zürich) halten eine Online-Vorlesung mit dem Titel «Sagas and Space – Thinking Space in Viking Age and Medieval Scandinavia», welche über 10'000 Geschichtsinteressierte auf der ganzen Welt mitverfolgen können. Diese Vorlesung ist ein «MOOC», ein Massive Open Online Course. Solche Kurse werden von Dozierenden weltweit kostenlos ins Netz gestellt. Expertenwissen soll der ganzen Welt zur Verfügung gestellt werden. Es ist von einer Bildungsrevolution die Rede.

MOOCs beinhalten aber nicht bloss Videomaterial. Simon Clematide, Leiter des MOOC «Sprachtechnologie in den Digital Humanities», verwendet zusätzlich Hintergrundtexte, Multiple-Choice-Fragen oder «In-Video-Quizze», also kurze Unterbrüche im Film mit Verständnisfragen. Um den Austausch zwischen den Lernenden zu garantieren, seien Foren zudem ein Muss, so Clematide. Bei manchen Kursen trifft man sich auch offline, um gemeinsam Übungen zu lösen. Dieses Konzept nennt sich «Flipped Classroom».

Hohe Abbruchquoten

Wer jetzt schon von einem Studium im Bett träumt, wird allerdings enttäuscht. Für MOOCs erhält man an der Uni Zürich noch keine Leistungspunkte. Auf der Plattform «iversity» hingegen schon – für den Kurs «Algorithmen und Datenstrukturen» beispielsweise, dessen gesamtes Online-Material kostenlos ist. Die Anrechnung der sechs ECTS-Punkte kostet freilich 150 Euro. Durch solche Zertifikate finanzieren sich die Plattformen.

Das Problem der MOOCs ist, dass Viele die Kurse nicht beenden. Weltweit liegt die Absolvierendenquote unter zehn Prozent. «Wenn man den MOOC als festes Lehrmittel im Unterricht einsetzen will und nicht bloss als Freizeitbeschäftigung, muss man da sicherlich eine Lösung finden», sagt Sandra Schneeberger. Franziska Schneider, Leiterin Multimedia & E-Learning Services an der Uni Zürich, sieht die Sache anders: Es werde etwas zum Problem gemacht, das an sich keines sei. Ein Grossteil der Teilnehmenden habe gar nie vor, den Kurs abzuschliessen, sondern schreibe sich aus Neugierde für einen Gratis-Kurs ein, so Schneider. Einen Vorteil der MOOCs sieht Schneider im Einbezug einer heterogeneren Gruppe. «Je nach Thema lassen sich Erkenntnisse gewinnen, die für die eigene Lehre oder Forschung bereichernd sind.»

Globale Bildung

Die MOOCs werden als Demokratisierung der Bildung verkauft. Die Teilnehmendenzahlen in den Entwicklungsländern bleiben aber tief, was die hohen Erwartungen an diesen globalen Bildungsweg enttäuscht. Denn die meisten Teilnehmenden stammen aus bildungsnahen, reichen Schichten und sind nicht mehr ganz jung. Schneeberger bringt die Sache auf den Punkt: «Wen interessiert schon ein spezifisches, geisteswissenschaftliches Thema, wenn er zum ersten Mal Zugang zu Bildung erhält?».

Ob sich die Produktion von MOOCs tatsächlich lohnt, ist noch unklar. Die Universität Zürich stellt nun ein zweijähriges Testprojekt auf die Beine, um zu prüfen, wie nützlich sie sind. Dazu werden Fördergelder in der Höhe von 45'000 Franken pro MOOC bereitgestellt. Erst nach Ablauf dieser Phase entscheidet die Universität über die Zukunft ihrer massiven, offenen Online-Kurse.