ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Brechbühl

Biederes Tänzchen

Bürgerlich oder bezaubernd? Seit über hundert Jahren scheiden sich die Geister am Polyball.

25. November 2015

Der Polyball ist ebenso elitär wie die ETH selbst. Das behaupten zumindest die Kritiker. Schon 1968 bezeichneten die Vereine der Architekten und Bauingenieure den Ball als dekadente, unzeitgemässe Veranstaltung. Die Studierenden von heute seien nicht alle «Exponenten einer begüterten Schicht», sondern auch Wesen mit einem politischen Bewusstsein – «zum Beispiel für die Probleme der Dritten Welt». Auch der VSETH kritisierte in den 70er Jahren den Ball als «reaktionär» und forderte mehrere Male dessen Abschaffung. Erfolglos.

Am 28. November, einen Tag nach Erscheinen dieser Zeitung, findet der Polyball zum 118. Mal statt. Eine Gelegenheit, um sich richtig schick herauszuputzen. Der Aufwand der tausenden Gäste ist gross: Es gilt Tanz-Crashkurse zu besuchen, den Vater nach der Golduhr zu fragen, den richtigen Puder und passende Schuhe zu finden. Gibt man schon 60 Franken (mit Legi) für ein Billet aus, so soll es sich auch lohnen. Denn nicht zuletzt besteht auch die Hoffnung, die eine oder andere Bekanntschaft zu machen – da soll es nicht am Aufzug scheitern.

Meisterleistung von Freiwilligen

Bedeutend weniger glamourös sind die Anstrengungen des Organisationskomitees. Der Polyball ist der grösste dekorierte Ball Europas und verzeichnet einen Jahresumsatz im sechsstelligen Bereich. Mit Unmengen an bemaltem Papier, Dutzenden Lichteinheiten und speziell errichteten Bühnen wird das ETH-Hauptgebäude in einen Festtempel verwandelt. In zwanzig Räumen kann man sich vergnügen: Es gibt ein Casino, ein Kino und eine Tombola, die mit dem Gewinn eines Honda oder eines Designersofas lockt.

Verantwortlich für all dies ist die KOSTA, die Kommission für studentische Anlässe. Die Stiftung setzt sich ausschliesslich aus Studierenden und Alumni der ETH und der Universität zusammen. Das Kernteam, bestehend aus rund zwanzig Mitgliedern, arbeitet ehrenamtlich. In der heissen Phase vor dem Ball erhält die KOSTA Unterstützung von weiteren Helferinnen und Helfern. Diese bekommen dafür eine Gratis-Eintrittskarte. In Anbetracht dessen, dass der Polyball von Freiwilligen zustande gebracht wird, kommt er einer organisatorischen Meisterleistung gleich. Nur das Gastronomiekonzept, das Sicherheitspersonal und die Veranstaltungstechnik werden extern eingekauft.

Zusätzlich leistet sich die KOSTA während der intensiven Zeit ein Sekretariat, das aber nur für einige Wochen angestellt und bezahlt ist. Danach bleibt nur wenig Geld übrig, welches die Stiftung braucht, um ihren Betrieb bis zum nächsten Jahr zu finanzieren. Der Vorrat ist aber auch wichtig, um allfällige Notsituationen zu überbrücken. Um beispielsweise zu verhindern, dass der Ball abgesagt werden muss, wie dies 1976 der Fall war.

Soziokulturelle Bedeutung

In Zeiten des Nachtseminars im Club Plaza und all der anderen Studierendenpartys steht der Polyball als Sondererscheinung da. Es scheint nicht verfehlt, ihn als Anachronismus zu bezeichnen. Auch die biederen Bilder der Vorjahre unterstützen diesen Eindruck. Aber egal, wie sehr der Ball belächelt oder kritisiert wird: Er hält sich hartnäckig. 2006 wurde ihm sogar ein Buch gewidmet. Darin wird er als «die wichtigste Tanzveranstaltung für Studierende in der Schweiz» gelobt –und es wird ihm gar eine «soziokulturelle Bedeutung» beigemessen.