Sina Jenny

Zürichs neue Elektrojugend

«Miteinander Musik» machen Techno und sehen sich als kritische Geister – geht es wirklich um mehr als Partys und Drogen?

21. Oktober 2015

Wenn im Club die Bässe poltern wie Grossvater auf der Kellertreppe, wenn verspielte Synthesizerlinien das Trommelfell kitzeln, wenn trotz Rauchverbot nur schemenhafte Gestalten erkennbar sind wie Schatten im Nebel, sich verschwitzte Körper rhythmisch zuckend aneinanderreiben, die Luft in Scheiben geschnitten werden kann, Pupillen gross wie Fünfräppler werden, die Kaugummi kauende Meute pfeift und jubelt – dann ist der DJ der Zeremonienmeister der zufälligen, wogenden Masse. Bis in die späten Morgenstunden.

Miteinander Musik machen

Im Studio von «Miteinander Musik» in Wipkingen ist davon wenig zu spüren. Im Hauptquartier des Techno-Labels riecht es nach ausgedrückten Zigaretten, halbleere Joghurtbecher stehen am Boden, und im durch die grossen Fenster einfallenden Herbstlicht sieht man den Staub tanzen. Luke Redford alias Lukas Hess bietet zu trinken an und macht es sich neben den sieben Anderen auf einem der zahlreichen Sofas bequem. «Miteinander Musik» ist ein Kollektiv von ursprünglich zwölf Freunden, die sich vor bald vier Jahren auf Initiative von Jan Bühlmann, Manuel Fischer und Lukas zusammengeschlossen haben. «Wir alle machten Musik, und es war klar, dass wir daraus etwas machen wollten – und zwar gemeinsam», sagt Alessandro, den man im Club als Rearte kennt. Heute umfasst das Label 20 Mitglieder – inklusive Steffi, der «Quotenfrau», wie sie lachend genannt wird. Fast alle studieren. Aber noch immer verstehen sie sich mehr als Kumpels mit gemeinsamer Leidenschaft für elektronische Musik denn als Unternehmen. «Es sind in den letzten Jahren viele neue Freundschaften entstanden, die über das übliche Kontakteknüpfen hinausgehen», so Lukas.

Techno als Haltung

Ihr gemeinsames Ding ist Techno und hat in Zürich eine lange Tradition. In den Neunzigerjahren gehörte die Limmatstadt zu den ersten europäischen Hochburgen des neuen Stils. Mit der Zeit verlagerte sich das Geschehen allerdings zusehends in andere Städte, vornehmlich nach Berlin, und in Zürich wurden andere Musikrichtungen populärer. Die Szene schrumpfte auf wenige Labels und Lokale zusammen, bis dann in den letzten Jahren eine junge Generation, zu der auch die DJs und Produzenten von «Miteinander Musik» gehören, das Genre wieder entdeckte und die alte Energie nach Zürich zurückbrachte. Das ist den Studenten besonders wichtig: dass man Techno auch als Haltung versteht, die Konventionen in Frage stellt und Alternativen entwirft. Techno sei ein Lebensentwurf, es gehe um mehr als blosse Unterhaltung.

Die Verfechter dieser Idee, zu denen sich auch Nikolaj und Alessandro zählen, teilen ein «politisches Grundverständnis» einer Stadt als Raum, den alle miteinander teilen müssen, so Lukas. Im Moment seien zwar einige Leerbestände vorhanden und «die Situation aktuell recht in Ordnung». Wunschlos glücklich ist Nici, der neben Lukas an seiner Zigarette zieht, trotz alledem nicht: «In Zürich wird zu viel auf Vorrat abgerissen oder zu stark aufgewertet. Das verunmöglicht sehr viele spannende Entwicklungen bereits von vornherein.»

Zwischen Erfolg und Underground

Seit sich eine neue Generation von DJs und Produzenten wieder vermehrt mit Techno auseinandersetzt und die Musik dadurch an Anerkennung gewonnen hat, können Labels wie «Miteinander Musik» ein grösseres Publikum erreichen und erfolgreich sein. Da ist es einerseits schwierig, sich nicht zu verlieren und seine Glaubwürdigkeit beizubehalten. Andererseits würde es auch dem Prinzip der Offenheit widersprechen, wenn man sich allzu sehr zurückzöge und «zu underground und damit elitär» würde. So muss man aufmerksam und selbstkritisch sein, vor allem aber darf man sich nie allzu ausgiebig auf seinem Erfolg ausruhen, sonst verschwindet man schnell von der Bildfläche. Zum DJ-Sein gehöre denn auch mehr als Feiern, behaupten die Musiker: Es stecke ein enormes Mass an Effort hinter den jeweiligen Sets, den nur jemand erbringen könne, der mit viel Leidenschaft an die Arbeit gehe.

Das Umschalten zwischen Rausch und Konzentration, Tag- und Nachtleben, Kreativität und Zuverlässigkeit verlangt den Musikern viel ab. «Wenn es sich machen lässt, behalte ich mir den Montag frei», sagt Alessandro, der sich mit Filmwissenschaften und Populären Kulturen beschäftigt, und grinst. Nicolaj, der an der ETH Maschinenbau studiert, klinkt sich während der Prüfungsphase jeweils mehrere Monate vollständig aus. «Das funktioniert nur, weil ich auch dann von der Gruppe getragen werde.» Beim durchschnittlichen Clubgänger ist die Aufmerksamkeitsspanne bereits nach einer schlaflosen Nacht gleich Null. Da ist es verständlich, wenn einem DJ nach einem durchgemachten Wochenende – «mit allem, was dazugehört», wie Lukas nüchtern anfügt – im Hörsaal einmal die Augen zufallen. «Bei Vorlesungen mit Präsenzpflicht habe ich auch schon ein Kissen mitgenommen und geschlafen. Sonst hätte ich die Punkte nicht

gekriegt.»

Ungewisse Zukunft

Der Erfolg hat auch seine süssen Seiten: Das mit Equipment gefüllte Studio des Kollektivs umfasst ein halbes Stockwerk in einem alten Geschäftshaus, das Label trägt sich finanziell selbst. Dazu kommt, dass sich die Musiker bereits dadurch einen Traum erfüllt haben, dass sie ihre eigenen Produktionen auf Vinyl pressen lassen und verkaufen können. Mitunter können sie sich sogar aussuchen, wo sie auftreten möchten: «Es gibt Veranstalter, die zwar unseren Geschmack teilen, bei denen die Musik aber einen anderen Stellenwert hat, als wir uns das vorstellen. Dort lehnen wir Angebote ab», sagt Lukas. Diese Integrität ist aber nicht bloss ein Luxus, den sie sich leisten, sondern Teil ihrer Haltung, die sie um jeden Preis wahren wollen.

Auf eine Antwort auf die Frage, wie es in Zukunft mit ihrem Projekt weitergeht, können sich die Freunde allerdings nicht einigen. Auch auf ihrer Website wollen sie sich nicht festlegen: «Miteinander machen wir Musik und leben unsere Ideen aus. Wie weit und wohin es uns treiben kann, weiss nur die Limmat.» Eines aber ist sicher: Auch die neuen Ufer, zu denen sie aufbrechen, werden mit dröhnenden Bässen, verschwitzten Körpern und verschlafenen Vorlesungen aufwarten.