Truog: Entscheidungen

21. Oktober 2015

Warum können wir uns nicht entscheiden? — Freud erinnerten die inneren Konflikte des zaudernden Subjekts an das arme Ehepaar in einem dazumal bekannten Märchen. Eine gute Fee gibt ihnen drei Wünsche frei, und der Mann wünscht sich sogleich die Würstchen herbei, deren Duft so köstlich aus der nächsten Hütte herüberweht. Aus Erbitterung über diese dumme Wahl ersehnt die Frau, die Würstchen mögen ihm an der Nase hängen. Den dritten Wunsch müssen sie natürlich dazu verwenden, die Würstchen wieder von da zu entfernen.

Dass es schlechte Entscheidungen gibt, liegt auf der Hand. Und doch legt die Rede von der «Qual der Wahl» nahe, dass wir manchmal lieber gar keine Wahl hätten, was natürlich widersinnig ist. Vielleicht liegt Entscheidungsschwierigkeiten ein Konflikt zwischen Verbindlichkeit und Freiheit zugrunde. Die Freiheit ist eine erfreuliche Grundidee des modernen Lebens, doch darf sie uns nicht über unsere Abhängigkeiten hinwegtäuschen. Diese rühren daher, dass wir unser Leben nicht alleine verbringen wollen und können.

Und deshalb lassen wir uns auf andere Menschen ein: auf Freunde, Liebespartnerinnen, Spielgegner, Arbeitgeberinnen und Mitbürger. Wahre Freiheit ist demnach nicht, der Illusion völliger Autonomie zu verfallen, sondern, sich aus freien Stücken zu entscheiden, in welche Abhängigkeiten man sich begibt. Wer sich entscheidet, hat dies erkannt; wer zaudert, hängt noch an der Illusion völliger Unabhängigkeit.

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