Hannah Raschle

Romantischer Realist

Sieben Gründe, weshalb Woody Allens Filme so gut sind – auch sein Neuester.

21. Oktober 2015

Sobald die Dreharbeiten beendet sind, setzt sich Woody Allen an die Schreibmaschine und tippt das nächste Drehbuch ein. Seit 40 Jahren bringt er jährlich einen Film raus, gedreht hat er schon über 50. Klar, dass dabei nicht immer ein Jahrhundertwerk rauskommt. Und doch ist fast jeder einzelne Film ein gelungenes, in sich abgeschlossenes Kunststück. Fazit: Dieser Mann kann gute Filme machen. Folgende sieben Perspektiven auf das Woody-Allen-Universum nennen die Gründe dafür.

Existentialismus

Was er vom Tod halte, wurde Woody Allen einmal gefragt. Er sei dagegen, antwortete er. Laut seiner Mutter war er ein süsses und glückliches Kind, als Fünfjähriger wurde er mürrischer. Das sei der Moment gewesen, sagt Allen, als ihm die Tatsache des Sterbens klar wurde. «This ends?», habe er sich entgeistert gefragt. Weil er das Leben liebt, empfindet Woody Allen den Tod als inakzeptable Zumutung. Über sein ganzes Werk hinweg stellt er hartnäckig eine philosophische Grundfrage: Wenn es keinen Gott gibt und wenn wir alle einmal sterben, was hat das hier denn alles für einen Sinn? Seine Strategie, um solchen Fragen zu begegnen, ist der Witz: «To you I'm an atheist, to god I'm the loyal opposition.»

Komik und Tragik

Am Anfang seiner Karriere war der Humor Woody Allens Grundhaltung zu Leben und Tod: «Life is full of misery, loneliness and suffering – and it's all over much too soon.» Er habe sich neulich umbringen wollen, sagte er in einer Stand-up-Nummer, doch sein Psychoanalytiker sei strikter Freudianer, und die verrechnen die Stunden, die man verpasst. Auch seine jüdischen Wurzeln mussten dran glauben: «I'm very proud of my gold pocket watch. My grandfather, on his deathbed, sold it to me.» Mit solchen Gags wurde er beliebt, und wenn es nach seinem Publikum gegangen wäre, wäre Woody reiner Komödiant geblieben. Aber seine Filme wurden bald tiefgründiger. Die Tragödie steht bei Allen jedoch in einem dialektischen Verhältnis zur Komödie; aus dem Tragischen geht der Witz von alleine hervor. Und aus beiden entspringt das Absurde.

Das Absurde

Als nach den erfolgreichen Dramen und Komödien das Publikum glaubte, das Woody-Spektrum nun vor Augen zu haben, hielt er mit «Zelig» der disziplinierten Moderne einen absurden Spiegel vor: ein fiktiver Dokumentarfilm über einen Chamäleon-Mann, der sich aufgrund eines Kindheitstraumas innerlich wie äus-serlich zwanghaft seiner Umgebung anpasst. In «Hanna and her Sisters» erkennt die typische Woody-Figur den Sinn des Lebens durch eine Eingebung im Kino; auf der Leinwand läuft die abstruse Szene aus «Duck Soup», als die Marx Brothers auf Soldatenhelmen Xylophon spielen. Und in «Stardust Memories» landen Aliens neben dem Filmset, denen Woody seine philosophische Grundfrage stellt: «Gibt es einen Gott? Und wenn nicht, warum sollte ich dann weiterhin Filme machen?» Die Aliens antworten wie zuvor im Film die stupiden Fans: «We like your movies, especially the funny early ones!» Das Absurde markiert die Grenzen des Woody-Allen-Universums. Es geht darum, die Grenzen zu überschreiten und zu verschieben, aber nie darum, sie zu sprengen. Woody Allen ist kein radikaler Avantgardist. Im tiefsten Herzen ist er Romantiker.

Die Romantik

Wenn Woody Allens Streifen manchmal nahe am Kitschigen sind, dann, weil er sie mit Romantik überlädt. In «Manhattan» zeigt er sein geliebtes New York durch die rosa Brille und neutralisiert die verliebte Ästhetik nur durch das Schwarz-Weiss-Bild. Seine Romantik ergibt sich daraus, dass er die einfachen Geschichten des alltäglichen Lebens liebt. Apropos einfache Geschichten: In den ersten Minuten von «Irrational Man», Woodys neuestem Werk, denkt man: Wie billig und vorhersehbar ist denn diese Story nun wieder! – und ist dann abermals überrascht, mit welch eleganten Wendungen der simpel angelegte Weg absolviert wird.

Der vermeintliche Loser

In den ersten, klamaukigen Komödien war die Kunstfigur Woody der ultimative Loser. Ihm misslang alles noch zuverlässiger als dem Tramp von Charlie Chaplin. Ab «Annie Hall» wurde daraus der depressive Neurotiker, der durch das Leben schlittert. Was das mit dem realen Woody Allen zu tun hat, hat ein Journalist gründlich missverstanden, als er ihn einst fragte, wie schwierig das Leben als Neurotiker so sei. Allen antwortete (für einmal ernst): «Ein Neurotiker sitzt zuhause und weiss nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll – ich aber bin immerhin ein sehr erfolgreicher Filmemacher.»

Der begnadete Jazzer

Fast jeder Vor- und Abspann bei Woody Allen ist mit Jazz unterlegt. Er selbst spielt als talentierter Klarinettist in einer traditionellen Jazzband. Und der Jazz ist eine weitere Schablone, durch die sein Werk betrachtet werden kann. Die Verbindung von Melancholie und Vergnügen zeichnet die meisten Filme aus. Die Improvisation spielt auf dem Woody-Allen-Filmset eine wichtige Rolle. Und bei aller Experimentierfreude und Spielfreiheit sind die Filme dennoch so schnulzig und eingängig wie ein New-Orleans-Jazz-Song.

Psychoanalyse

Über 37 Jahre lang soll Woody Allen in Analyse gewesen sein. Er ist Humorist und Romantiker, aber letzlich auch Realist. Und in der Psychoanalyse geht es darum, sich mit allen, auch den unangenehmen Seiten des Lebens zu konfrontieren und arrangieren, anstatt sie auszublenden und zu umgehen. Vielleicht sind Woody Allens Filme so gut, weil ihr Macher fähig ist, alle Zwischentöne zu hören, alle Begebenheiten einer Geschichte in den Blick zu nehmen, auch die unschönen. Oder wie er selber sagt: «If my films make one more person miserable, I'll feel I have done my job.»

ZS-Redaktor Truog behauptet, alle Filme von Woody Allen gesehen zu haben, auch den neuesten: «Irrational Man», Deutschweizer Kinostart am 12.11.

– Rezension und Verlosung folgen!