Toni Sutter, T+T Fotografie

Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode

21. Oktober 2015

Den kompletten Shakespeare auf die Bühne bringen? Mutig. Sein Gesamtwerk in ein einziges abendfüllendes Programm verpacken? Waghalsig. Das Ganze in einer drei Mann starken Besetzung? Unmöglich!

Genau das allerdings hat sich die Produk-tion «Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)» zum Ziel gesetzt, die aktuell im Theater Rigiblick gezeigt wird. In anderthalb Stunden soll versucht werden, «den Zauber, das Genie, die Quintessenz aus dem Werk des wohl grössten abendländischen Dichters herauszudestillieren». Solches zumindest verkündet ein Ansager zu Beginn. Besagte drei Schauspieler, allesamt männlich, eine einzige Kulisse, etwas Lichttechnik und einige wenige Requisiten sind alles, was dazu vonnöten ist.

Dass das gesamte Projekt mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist, wird allein schon beim Lesen des Titels klar. So erstaunt es kaum, wenn sich bereits nach wenigen Minuten abzeichnet, dass die folgende Inszenierung mit klassischem Shakespeare-Schauspiel nicht viel gemein haben wird. Im Schnelldurchlauf wird durch Shakespeares Œuvre gehastet, wobei dieses wahlweise stark gekürzt, verfremdet, pa-rodiert oder gar verulkt wird. Keine Idee absurd genug, um nicht umgesetzt zu werden: Da wird Titus Andronicus kurzerhand zur Kochsendung umfunktioniert, der Othello-Stoff als Hiphop-Track interpretiert oder die Shakespeare'schen Komödien (immerhin 16 an der Zahl) zu einem einzigen Stück verdichtet.

Wenn den Zuschauenden damit humorvoll aufgezeigt wird, wie wenig sich Shakespeares Werke thematisch voneinander unterscheiden, ist das erhellend. Generell sprüht die Inszenierung, die von Daniel Rohr aus dem Englischen übertragen wurde, nur so vor Spielwitz; der unbekümmerte, mitunter hemmungslose Umgang mit Shakespeares Werk ist erfrischend, die etlichen Zitate und Anspielungen gelungen: Etwa wenn in der berühmten «Szene auf dem Theater» in Hamlet des Königs Monolog mit dem Ausruf «Der König ist ja nackt!» unterbrochen und so auf das Märchen von Hans Christian Andersen verwiesen wird.

Wieso also vermag das Stück dennoch nie so recht zu überzeugen? Vielleicht liegt es

daran, dass Anspruch und Realität des Gezeigten teils arg auseinanderklaffen. Wenn Julia Pater Lorenzo von ihrer Menstruation berichtet, Königin Kleopatra ins Publikum kotzt oder in Andeutungen Bezug auf die Grösse von Othellos Geschlechtsteil genommen wird, so mag man das vielleicht noch als komisch empfinden: von dem eingangs versprochenen Zauber allerdings ist nichts zu spüren.

Der eben noch als erfrischend gelobte Spielwitz überbordet hier. Das Augenzwinkernde weicht dem Brachialen. Aus der reizvollen Idee, humoristisch und ungezwungen durch Shakespeares Welt zu führen, wird eine Posse, die Shakespeare bloss noch spottet. Hat man als Zuschauer nichts gegen derbe, inkorrekte Zoten einzuwenden, bietet das Stück auch so gute Unterhaltung. Feinsinnigere Gemüter werden ihm weniger abzugewinnen wissen.

Sinnbildlich dazu werden Shakespeares Historiendramen innert fünf Minuten als Fussballspiel abgehandelt. Viel wird gerauft, noch mehr geflucht: Ein Schiedsrichter kommentiert das Treiben mit Phrasen aus dem Fussballjargon. Als Handlungsverlauf für die sieben Dramen hat die goldige Kartonkrone, die sich die drei Protagonisten immer wieder gegenseitig entreissen, zu genügen. Das mag man lustig finden oder auch nicht; mit Shakespeare freilich hat es nichts zu tun.

Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt): Mit Alexander Pelichet, Peter Hottinger, Thomas Beck. Regie: Daniel Rohr

Am 22.10, 26.11, 4.12 im Theater Rigiblick