Ein Schnellschuss droht

Die Universität Zürich hat die Bologna-Reform nur halbherzig umgesetzt. Der Rektor will das ändern, und zwar bald.

21. Oktober 2015

Der Universität Zürich stehen turbulente Zeiten bevor. «Bologna 2020», wie die Reform halboffiziell genannt wird, soll die Studiengänge in Zürich endgültig ins Bologna-Zeitalter katapultieren. Denn: «Seit der Einführung von Bologna vor zehn Jahren rennen wir im Hamsterrad. Unter enorm grossen Anstrengungen sind wir nur einen ganz kurzen Weg gegangen», so der Studiendekan der Philosophischen Fakultät, Daniel Müller Nielaba. Alle sind sich einig: Struktur und Aufbau des Studiums an der UZH sind bei weitem nicht perfekt.

Rektor Michael Hengartner hat «Bologna 2020» an seiner Jahresmedienkonferenz vorgestellt: Das Assessmentsystem – wie es etwa Jus schon kennt – soll flächendeckend eingeführt werden. Es kostet die Uni weniger; indem alle Teilfächer im ersten Studienjahr geprüft werden, will man verhindern, dass Studierende sich lange um ein Fach drücken und dann abbrechen, wenn es ihnen nicht gefällt.

Hengartner möchte auch das Bachelorstudium breiter anlegen – die Rede ist zum Beispiel von einem BA «Sozialwissenschaften», der Fächer wie Politologie, Publizistik und Soziologie zusammenführt. Spezialisieren soll man sich dann erst im Master. Das soll ein weiterführendes Studium an der Universität Zürich attraktiver machen und die Studierenden davon abhalten, nach dem Bachelor zu verschwinden.

Zudem wird es in Zukunft nur noch ein Haupt- und ein Nebenfach geben. Und die Module werden grösser: mehrere inhaltlich aufeinander abgestimmte Veranstaltungen und eine einzige Prüfung. Das entspreche der eigentlichen Idee von Bologna, so die Verantwortlichen.

Die Philosophische Fakultät (PhF) wird von den Veränderungen am stärksten betroffen sein. Das Assessmentjahr wurde hier kurz nach der Bologna-Reform vielerorts wieder abgeschafft. Das Studium an der PhF ist heute wie ein Baukasten, aus dem sich alle ihre Wunschkombination zusammenstellen. Diese Kleinteiligkeit soll mit der Reform verschwinden. In Zukunft müssten Fächer, die bisher kaum etwas miteinander zu tun haben wollten, gemeinsame Studienprogramme anbieten. Der Prorektor der Geistes- und Sozialwissenschaften, Otfried Jarren, spricht von einem «Kulturwandel».

Angst vor der Abschaffung

Konkret heisst das: Die Leitung der Universität fordert von den Professorinnen und Professoren, dass sie über die Grenzen der Disziplinen zusammenarbeiten. «In diesem neuen akademischen Modell soll der Lehrstuhl nicht mehr der Nabel der Welt sein», meint Müller Nielaba. Und von den kleinsten Fächern wird erwartet, dass sie sich in Studienprogramme einordnen – und darauf vertrauen, nicht abgeschafft zu werden. Denn die kleineren Fächer sitzen am kürzeren Hebel, wenn Kooperation unter den Disziplinen gefordert wird. Kooperieren müssten die Fächer besonders dann, wenn man im BA bald einfach «Sozialwissenschaften» oder «Sprachwissenschaften» studieren soll. Dass es dazu kommen wird, daran scheint aber ausser dem Rektor und dem Prorektor niemand zu glauben. Auch der Studiendekan Müller Nielaba hält nichts von dieser Idee: «Allzu allgemeine Studienprogramme hielte ich für Unfug. Ich habe den Rektor auch nie so verstanden, dass er uns die Weisung gibt, jetzt vom einen Extrem ins andere zu verfallen.»

Eine gewisse Reformmüdigkeit

Der Name «Bologna 2020» ist Programm: Der Rektor will, dass die Reform 2018 steht und schon 2020 nach vereinheitlichten Reglementen studiert wird. «Weniger Prüfungen und besser genutzte Synergien, das klingt zwar nach einer längerfristigen Entlastung, auch für uns Lehrende. Aber bis die Synergien genutzt werden können, wartet sehr viel Arbeit auf uns», gibt Brigitte Frizzoni, Geschäftsführerin der Populären Kulturen, zu bedenken. Sie spricht aus Erfahrung: Vor kurzem ging die Fusionierung ihres Instituts mit der Ethnologie und dem Völkerkundemuseum über die Bühne. Bis heute viel Arbeit für alle Beteiligten.

Eine gewisse Reformmüdigkeit erkennen auch die Verantwortlichen. Aber sie müssen daran glauben, den Prozess gut über die Bühne zu bringen. Und sie wollen dafür sorgen, dass trotz Zeitdruck keine unausgegorenen Lösungen umgesetzt werden wie bei der Reform vor zehn Jahren. Bisher wissen noch die wenigsten Mitarbeitenden und Studierenden vom rasanten «Kulturwandel», der von ihnen erwartet wird. Ob eine solch grundsätzliche Veränderung in drei Jahren vollzogen werden kann, bezweifelt auch Prorektor Jarren: «Persönlich glaube ich, dass dieser Kulturwandel seine Zeit braucht. Das ist ein Mehrgenerationenprojekt.» ◊