Selina Kallen

Das Schweigen der Soziologen

Warum man von den Professorinnen und Professoren nichts hört.

21. Oktober 2015

Rund die Hälfte aller Volksabstimmungen weltweit findet in der Schweiz statt. Das liegt vor allem daran, dass hierzulande über alles abgestimmt wird – von der nationalen Gesundheitspolitik bis zum Sitzbänkli am Waldrand. Mit

Volksinitiativen geben sich Parteien oft eine eigene Bühne für ihre Politik. Umso wichtiger sind Expertinnen und Experten, die kompetent Auskunft über zur Diskussion stehende Themen geben können.

Die Universität Zürich verfügt über eine ganze Reihe solcher Fachleute, nicht zuletzt die Professorinnen und Professoren des Soziologischen Instituts (SUZ). Doch es ist auffällig, wie selten sich diese in den Medien zu Wort melden. Seit dem Tod des omnipräsenten Mediensoziologen Kurt Imhof ist es um die Soziologieprofessorinnen und -professoren der UZH erstaunlich still. Erst recht im Vergleich zu Koryphäen wie Ueli Mäder von der Universität Basel: Der Soziologe aus Basel hat allein im September dieses Jahres über zehn Erwähnungen in Schweizer Medien zu verbuchen. Mehr als alle fünf Zürcher Lehrstuhlinhaberinnen und -inhaber

zusammen.

Wissenschaft versus Politik?

Eine Ausnahme unter den schweigenden Profs bildet Katja Rost, seit drei Jahren Ordinaria am SUZ. Einmal pro Monat meldet sie sich mit einer Kolumne im Sonntags-Blick zu Wort. Ihr ist das Problem bekannt: «Die Rückmeldung, dass wir Soziologieprofessoren der UZH nur selten öffentlich auftreten, ist für uns nicht neu und wurde bereits von einigen unserer Studierenden an uns herangetragen.» Sie sieht den Grund dafür vor allem in der Ausbildung der Dozierenden: «Meine Erfahrung ist, dass diejenigen, die von öffentlich aktiven Professoren ausgebildet wurden, dies auch in ihrer eigenen Laufbahn tun. Wer dies nicht so erfahren hat, hat auch andere Prioritäten.» Rosts Kollege Jörg Rössel hinterfragt die Sache mit der Öffentlichkeitsarbeit allerdings grundlegend: «Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik funktionieren nach unterschiedlichen Regeln. Geht es in der Wissenschaft um die Untersuchung von Sachverhalten, so geht es in der Politik um die Durchsetzung von Entscheidungen. Und in den Medien vor allem um Aufmerksamkeit. Das ist nicht kompatibel.» Er meint gar: «Man müsste das Ganze eher umgekehrt formulieren und fragen: Wie kommt es eigentlich dazu, dass sich Wissenschaftler überhaupt öffentlich

äussern?»

Antwort nur auf Anfrage

Auch die Studentin Céline Gloor vom Fachverein Soziologie glaubt, dass sich die Professorinnen und Professoren nicht als Mediensprechende sehen. «Bei einer konkreten Anfrage äussern sie sich jedoch gerne zu aktuellen Themen mit soziologischen Aspekten», sagt sie. Dies gaben auch die meisten Professorinnen und Professoren so an. Der Generationenforscher Marc Szydlik hätte sich gerne mehr zur Debatte um die Erbschaftssteuer geäussert. Nur sei dies nicht immer einfach, erklärt Katja Rost: «Manche werden von den Medien nur ein-, zweimal angefragt und, weil sie sich nicht prägnant genug äussern, nie wieder. Hinzu kommt, dass sie für die Presse immer sofort erreichbar sein müssen – das geht in diesem Beruf einfach nicht.» Daher sei gegenseitiges Verständnis von Presse und Wissenschaft für eine gute Zusammenarbeit wichtig. Anscheinend versteht man sich in Basel also einfach besser mit den Medien als in Zürich.