Ana Hofmann

These: Gender ist ein Reizwort

18. September 2015

Gender ist ein Reizwort — Für die einen ist es zum Symbol postmoderner Verirrung geworden, ein Zeichen dafür, dass der Feminismus «zu weit gegangen» ist oder die traditionelle Geschlechterordnung bedroht. Andere sehen darin das konsequente Weiterdenken einer liberalen Tradition, die sich gegen repressive Kategorien wie Mann, Frau, Homo und Hetero wehrt und wichtige Fragen stellt: Ist ein Mann kein Mann mehr, wenn er ein Röckchen trägt? Sind aggressive Frauen weniger weiblich? Und wer bestimmt das? Auch im Uni-Alltag lässt sich fragen: Sind Frauen von Natur aus tierliebender, wenn 87 Prozent der Veterinärmedizinstudierenden Frauen sind? Und was hält sie davon ab, Maschinenbau zu studieren?

Gender-Angelegenheiten sind kompliziert und treffen auch an der Uni nicht alle gleich: Wenn eine Studentin mit Glatze oder ein Student in Stöckelschuhen im Foucault-Seminar sitzt, versuchen alle, so zu tun, als wäre nichts – während sie in der Jus-Vorlesung offen komisch angeschaut werden.

Zudem stellt sich die Frage, was eigentlich mit dem Feminismus passiert ist: Wurde er von der Gender-Debatte verdrängt oder geht er in ihr auf? Die Lohnschere zwischen Männern und Frauen beweist jedenfalls, dass Feminismus weiterhin wichtig und Gleichstellung noch nicht erreicht ist. Apropos Wirtschaft: Auch der neoliberalen Logik der permanenten Selbstoptimierung liegen oft geschlechterspezifische Erwartungen und Rollenbilder zugrunde. Sie decken «Verbesserungspotential» der eigenen Identität auf und befeuern die Wertsteigerungsspirale der Ich-AG.

Letztlich betrifft Gender uns alle, ob wir es mögen oder nicht – darum geistert das Wort durch die Rhetorik von links bis rechts und sorgt für erhitzte Gemüter.