Führt sicherer nach oben als die Karriereleiter: Treppe vor dem ETH-Architekturgebäude. Nina Fritz

Falsch gebaute Karriereleiter

Die ETH hat ein Frauenproblem. Wie verkrustet die Lage ist, zeigt sich am Departement Architektur.

14. September 2015

Zuoberst eine Frau, darunter fast ausschliesslich Männer. Was wie das englische Empire unter Queen Victoria anmutet, ist noch immer Realität an der weltweit bekannten Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Die grosse Aufmerksamkeit, die Sarah Springman an der Spitze bekommt, kann leider nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass an der ETH nach wie vor das Patriarchat regiert.

Die «Leaky Pipeline», das mysteriöse Schrumpfen von Frauenanteilen, je höher die Hierarchiestufe, gilt an technischen Hochschulen weltweit als normal. Die ETH schwimmt mit rund 13 Prozent Professorinnen eher im hinteren Teil des Feldes der globalisierten technischen Unis. Dies, obwohl man fast ein Drittel Studentinnen vorweisen kann. Und nicht in allen Fächern verliert die Hochschule gleich viele Frauen während des akademischen Leiterspiels. So schaffen es die Maschinenbautechnikerinnen immerhin, ihren – sehr tiefen – Frauenanteil von knapp neun Prozent im Bachelorstudium bei sechs Prozent auf Professurebene zu halten.

Unmut von unten

Doch gerade in den Studiengängen, in denen viele Frauen studieren, wie Architektur, zeichnet sich ein klares Schema ab: Auf Studierenden-Ebene und sogar im Mittelbau herrscht mit über 40 Prozent Frauen fast eine Balance der Geschlechter. Zu Lehrstuhlinhabern werden dann aber eben doch nur Männer berufen. Von 38 Professuren sind gerade einmal 4.5 mit Frauen besetzt.

Dagegen regt sich nun punktuell Widerstand. Am Departement Architektur bildete sich im letzten Semester «The Parity Group». Was wie der Name einer alternativen Rockband klingt, ist in Wahrheit eine lose Gruppe Studierender und Mittelbauangehöriger, die sich für ein Fifty-fifty-Verhältnis von Männern und Frauen in den Professuren stark macht. «Es fehlt vor allem an Vorbildern», sagt Ladina, Architekturstudentin, die sich im Fachverein «architektura» und in der «Parity Group» engagiert. Bei den Präsentationen im Fach «Entwurf» stehen die Studierenden mit ihren Semesterprojekten nicht selten einer Reihe gestandener Männer gegenüber. Dabei steht es den Kursverantwortlichen frei, wen sie zu den Kritiken einladen. Doch Frauen sind noch immer schwer zu finden, was mit einer Art Unsichtbarkeit zusammenhängt, meint Ladina. Oft würden Kritiken auch etwas der Selbstdarstellung des Lehrstuhlinhabers dienen, daher werden meist sogenannte «Partner» – Mitglieder der obersten Hierarchiestufe eines Architekturbüros – eingeladen. Und auf dieser Stufe sind Frauen eben auch selten vertreten.

Die Architekturbranche ist für Frauen ein hartes Pflaster. Ladina, die derzeit ein Praktikum bei einer Bauleitung absolviert, ist neben – man staunt – der Kranführerin die einzige Frau auf der Baustelle. Nur eine von hundert US-amerikanischen Goldmedaillen für Architektur geht an eine Frau. International dominieren neben Ausnahmeerscheinungen wie Zaha Hadid Männer das Stararchitektentum. Eine lange Ausbildung mit strengen und schlecht bezahlten Praktika nach dem Abschluss, schlechte Einstiegslöhne und eine ausgeprägte Ellbogenmentaliät prägen das Berufsbild. Wenn der «Stärkere» gewinnt, verlieren oft die Frauen, die durch eine Familiengründung nach wie vor stärker von ihren Karrierezielen abgebracht werden als Männer.

Offene Türen?

Doch sind nur die patriarchalen Strukturen der Architekturwelt am Verschwinden der Frauen schuld oder macht die ETH zu wenig, um zumindest die akademische Laufbahn attraktiver zu machen? Die Stelle für Chancengleichheit «Equal!» erstellt seit 2009 das Gender-Monitoring der ETH – mit ernüchternden Resultaten. Renate Schubert, Leiterin der Stelle, sieht mehrere Gründe für den «Frauenverlust», stimmt aber zu, dass das «Geniedenken» für die Frauen nicht förderlich sei. «Wir können mehr dafür tun, dass sich Frauen an der ETH wohl fühlen», sagt Schubert. Erreichen will man dies unter anderem mit dem «Gender Action Plan». Karriereförderung soll beispielsweise durch Mentoring-Programme und die Schaffung von Spezialprofessuren für «exzellente» Forscherinnen geschehen. Interessanterweise geht der Gleichberechtigungsplan von «gender-spezifischen» Forschungsinteressen aus, die mit Workshops herausgeschält und gefördert werden sollen, als wären sie dem Wesen von Mann und Frau natürlicherweise eingeschrieben.

Den Vorschlägen der «Parity Group» steht Schubert grundsätzlich positiv gegenüber. Sie seien sogar eher etwas bescheiden. Mit der Forderung nach einer zweiten Gastprofessur für Frauen oder einem Verzeichnis von etablierten Architektinnen rennen die Unzufriedenen bei «Equal!» also offene Türen ein. Revolutionär sind die Vorschläge tatsächlich nicht. Das liegt auch daran, dass die Gruppe

äusserst heterogen ist. An der Quote scheiden sich beispielsweise auch hier die Geister, weshalb sie in den Vorschlägen, die «Equal!» unterbreitet wurden, nicht enthalten ist.

Schöne Zahlen

Doch die ETH sieht sich mit ihrem Fahrplan ohnehin schon auf dem richtigen Weg. Man sehe positive Zeichen, wie die Neuberufungen im Jahr 2014, bei denen 60% der Assistenz- und 40% der ausserordentlichen und ordentlichen Professuren mit Frauen besetzt worden seien, meint Schubert. Beeindruckend sind diese Zahlen allerdings nur, wenn die betroffenen Professuren zuvor von Männern besetzt waren. Sonst kaschieren sie unter Umständen gar einen Rückgang des Frauenanteils.

Man könne im Einzelfall nicht verhindern, dass ein «weiblicher» Lehrstuhl wieder «männlich» wird, sagt Schubert. Was aller Voraussicht nach ausgerechnet im Departement Architektur beim Abgang von Uta Hassler, Professorin für Denkmalpflege und Bauforschung, passieren wird. Die Departemente und ihre Vorstände sind in ihren Entscheiden weitgehend autonom. Bewegen müsste sich die ETH also in den einzelnen Königreichen. Die Stelle für Chancengleicheit ist direkt dem Präsidium untergeordnet und scheint damit wenig direkten Einfluss auf die Departemente zu haben. Schubert widerspricht: Mit der Priorisierung auf Präsidiumsebene habe man einen wichtigen Schritt gemacht. Ob das die Departemente interessiert, bleibt fraglich.

«Genies» oder Frauen?

Fakt ist: Solange der Frauenanteil nicht markant steigt, bleiben die Bemühungen der ETH-Leitung Lippenbekenntnisse. Die Hochschule steht sich bei der Frauenförderung aber letztlich selber im Weg. «Die ETH hat zum Ziel, international die besten Leute zu bekommen. Und um die wenigen Frauen, die es zur Zeit in manchen Fachgebieten gibt, herrscht ein grosser Wettbewerb, den man nicht immer gewinnt», sagt Schubert. Man will also doch die «Genies». Nur sind die eben weiterhin männlich, solange sich die Strukturen nicht ändern.

Hoffnung auf Veränderung verspricht die Neubesetzung des Dekanats des Departements Architektur. Seit August steht mit Annette Spiro neu eine Frau der Mannschaft vor. Ob sie es schafft, wenigstens die Architektur an der ETH aus dem viktorianischen ins paritätische Zeitalter zu überführen, muss die neue Regentin erst zeigen.