Die Bestsellerwerkstatt
Das Literaturinstitut Biel lehrt seine Studierenden das Handwerk. Kann man Schreiben lernen?
Zwei abgewetzte Biedermeiersessel, ein rundes, schmuckes Holztischchen, Stuckaturen an Wand und Decke. Vielleicht stellt sich mancher so das Schreibzimmer eines bekannten Literaten vor.
Hier ist jedoch die Rede vom Eingangsbereich des Schweizerischen Literaturinstituts in Biel. Umgeben von einem lieblich gepflegten grünen Park, in der Villa eines ehemaligen Bieler Uhrenfabrikanten, schleifen angehende Autorinnen und Autoren an ihren Texten.
«Bachelor in Literarischem Schreiben» heisst der seit 2006 bestehende und schweizweit bislang einzigartige Studiengang. Dass es ein Privileg ist, hier studieren zu dürfen, belegen die Zahlen: Von jährlich knapp hundert Bewerbungen werden jeweils 15 angenommen. Selektioniert wird hauptsächlich anhand der eingereichten Texte. Kurzgeschich-ten, Gedichte, Romanentwürfe, Theaterszenen. 20 Seiten aus der eigenen
Feder.
Qualität vor Geschmack
Marie Caffari, die Leiterin des Instituts, erläutert: «Bei der Bewertung der Texte zählt nicht, ob sie den Mitgliedern der Kommission gefallen, sondern ob in ihnen literarische Qualitäten zu finden sind.» Konkret bedeutet dies, dass eine Geschichte kohärent und in sich stimmig ist. Ob die Schreibenden dabei den Fokus auf minutiöse Beschreibungen von Schauplätzen, auf die Sprache von Figuren oder auf Rhythmus legen, ist ihnen freigestellt.
Die angehenden Studierenden müssen zudem bereit sein, an und mit ihren Texten zu arbeiten. Dies erfordere eine gewisse Distanz zum Geschriebenen, so Caffari. «Es ist nichts falsch daran, für sich selbst zu schreiben und Texte sehr nah an sich zu haben. Nur können wir nicht an einer Person arbeiten. »
Schreiben ist lernbar
Wer ist er also, der typische Student, die typische Studentin am Literaturinstitut? Eine Schnittmenge von Eigenschaften zu finden, ist kaum möglich. Jung und alt, Herkunft und Werdegang jeglicher Art. Es gibt ihn nicht, den zukünftigen Schriftsteller; die Bestsellerautorin von morgen. Das einzige Merkmal, das von allen geteilt wird, ist die Motivation, zu schreiben. Denn das Schreiben soll keine Nebenbeschäftigung sein, sondern als Berufung wahrgenommen werden, sagt die Leiterin der Schule. Das Institut setzt zwar eine gewisse Grundbegabung voraus, aber das Credo lautet: Schreiben ist lernbar.
Anderer Meinung ist da der Autor Thomas Meyer, dessen Debütroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» sich bisher über
80’000 Mal verkauft hat. Schreiben setze Talent, Fleiss und eine gewisse Obsession voraus, findet er. «Das sind angeborene Eigenschaften.» Handwerklich gebe es durchaus Aspekte, die lernbar seien – «aber eine Schule ist kein Ersatz für Talent, und ich denke, wahres Talent schult sich letztlich selbst.»
Motor für Schreibprozesse
An der Schule dürfen nur Autorinnen und Autoren lehren. Eine von ihnen ist Regina Dürig. Die Dozentin und Studiengangsassistentin hat 2009 ihren Bachelor in «Literarischem Schreiben» abgeschlossen und beschreibt ihre Zeit am Literaturinstitut heute als wegweisend. Erst durch die Diskussionen hier habe sie gelernt, verschiedene Perspektiven einzunehmen und Geschichten für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen. «Das Studium hat sich wie ein Motor auf meinen Schreibprozess ausgewirkt», sagt die Autorin, die mittlerweile einige erfolgreiche Texte publiziert hat.
Hohe Erfolgsquote
Dürig ist nicht die einzige Abgängerin, die in der Lage war, ihre Werke zu veröffentlichen: Auch die Senkrechtstarter Arno Camenisch und Michael Fehr gehören zu ihnen. Möglicht viele Autoren und Autorinnen auf den Markt zu bringen, sei aber nicht der Zweck des Instituts, sagt Leiterin Cattari.
Schaut man sich jedoch die Liste der Bücher an, die in den letzten Jahren mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurden, drängt sich der Verdacht auf, dass das Institut nicht nur an den Schreibqualitäten seiner Studierenden feilt, sondern auch deren «Networking»-Kompetenzen fördert. Die Literaturszene der Schweiz ist zwar überschaubar, dennoch ist man versucht, bei einer solchen Verbandelung von Klientelismus zu sprechen: Institutsleiterin Caffari sitzt selbst in der Jury des Buchpreises, die Preisträgerin von 2015, Noëlle Revaz, doziert in Biel und ehemalige Gewinner wie Guy Krneta wurden schon als Gastdozenten engagiert. Thomas Meyer, der auch ohne BA aus Biel Preise gewinnt, erklärt sich das Bieler Phönomen wie folgt: «Viele Bieler Autoren sind erfolgreich, das erzeugt den Eindruck, Biel mache automatisch erfolgreich, was wiederum auf künftige Bieler Autoren karrierefördernd wirken wird. Hier operiert eine Form der selbsterfüllenden Prophezeiung. Warum ich ohne Bieler Abschluss trotzdem Erfolg habe, muss in Biel beurteilt werden.»
Kein Schutzschild
Obwohl das Institut angehende Autorinnen und Autoren mit den besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schreibkarriere ausstattet, fühlen sich nicht alle wohl an der Schule. Durch die familiäre Atmosphäre ist der Schutzschild der Anonymität beinahe aufgehoben.
Ein ehemaliger Student erinnert sich an die Zusammenarbeit mit seinem Mentor. Die Kritik an seiner Arbeit war oft vernichtend. Manchmal sei sie auch äusserst persönlich geworden. «Von einem Dozenten, der einen eigentlich fördern sollte, regelmässig zu hören, dass man nicht genügt, das geht mit der Zeit an die Substanz.»
So enge Betreuungsverhältnisse zwischen Lehrenden und Studierenden, wie sie in Biel gepflegt werden, bedürfen einer besonderen Feinfühligkeit von Seiten der Mentorinnen und Mentoren. Der Student sagt jedoch, dass er sich während einiger Treffen mit seinem Betreuer äusserst unwohl gefühlt habe – da es diesem offenbar an Einfühlsvermögen fehlte.
Texte gedeihen
Trotz dieser negativen Einschätzung des Bieler Systems durch den Ehemaligen ist festzuhalten: Es gibt wenige Studierende, die das Studium am Literaturinstitut abbrechen oder nicht bestehen. Hört man der Leiterin Cattari zu, bekommt man nicht den Eindruck, dass die Schule Druck aufbauen möchte.
Vielmehr soll den Studierenden ein Raum gegeben werden, in welchem sie viel und intensiv schreiben, in welchem Texte gedeihen und Fragen beantwortet werden können, so Cattari. Ob am Ende der Entschluss feststeht, weiter zu
schreiben und Bücher zu publizieren oder komplett neue Wege einzuschlagen, das gelte es herauszufinden.