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Brot für alle – auch für 10 Milliarden?

14. September 2015

Es gibt ja dieses Spiel: Acht Leute springen um sieben Stühle herum, und wenn die Musik aufhört, suchen sich alle schnellstmöglich einen Platz. Jemand geht leer aus. In der realen Welt ist es zurzeit ähnlich. Nur wird nicht um leere Stühle gekämpft, sondern um volle Teller. Von acht Menschen füllen sieben ihren Bauch, einer bleibt hungrig. Wie wird es wohl Mitte des 21. Jahrhunderts aussehen, wenn auf der Erde schätzungsweise zehn Milliarden Menschen leben? Der Regisseur Valentin Thurn, der bereits mit dem Film «Taste the Waste» im Jahr 2011 eine grosse Debatte über Lebensmittelabfälle ausgelöst hatte, ist um die Welt gereist, um uns davon zu erzählen.

In seinem Film interviewt er unterschiedlichste Menschen, von denen die einen auf dem brachen Acker, die anderen hinter einem teuren Bürotisch wirken. Da ist ein Manager von Bayer, der Firma, welche die meisten Patente auf Saatgut hält. Saatgut, das im Labor gezüchtet wird und in Zukunft ein Mehrfaches der bisherigen Getreideerträge erbringen soll. Da sind Forscher aus Japan, die ein Projekt vorstellen, bei dem in einer riesigen Halle Salat wächst. Schichtenweise, quasi steril und ohne Sonnenlicht. Thurn spricht mit Fischzüchtern, die ein Gen im Pazifik-Lachs künstlich mutieren, sodass die quirligen Jungfische innert kürzester Zeit zu dicken, schwerfälligen Brocken heranwachsen.

Dies sind nur einige der Personen, mit denen der Regisseur auf seiner Reise entlang der Nahrungsproduktionskette Bekanntschaft macht. Doch sie alle gleichen sich in einem wesentlichen Punkt: Sie berichten, die Lösung für das grosse Ernährungsproblem der Menschen gefunden zu haben, eine Erfindung aus dem eigenen Hause, um alle satt zu machen. Und als Zuschauer hätte ich schon fast genickt und gedacht: Huch, dann kommt ja alles gut. Wäre da nicht jeweils die Off-Stimme, die lakonisch und in sanftem Ton einen existenziellen Widerspruch bemerkt: Was nützt genetisch verändertes Saatgut für Reis, der zwar doppelt so schnell wächst, aber nicht wie lokale Reissorten an Dürren und Überschwemmungen angepasst ist? Eine kleine Frage, welche die gesamte Legitimität eines Projekts untergräbt.

Im Verlauf des Films werden aber auch zahlreiche Kleinprojekte vorgestellt und gelobt. Ob «urban gardening» oder einsame Reisfelder, autark lebende Hofkommunen oder Biobauern mit Kleinhandel. Nichts, das man noch nie gesehen oder zumindest gehört hätte. Und doch auf eine Art inspirierend und mit frischem Charme.

Auch wenn sich der Dokumentarfilm durch eine professionelle Sachlichkeit auszeichnet; am Ende des Streifens fühlt man sich belebt und mit einer allgemeinen Zuversicht erfüllt, als hätte er ein Happy End. Vielleicht, weil man etwas feststellt, was man sich in der heutigen globalisierten und technischen Welt bereits aus dem Kopf geschlagen hat: Dass die lokal überschaubare, behutsame und – man könnte fast sagen: romantische – Art des Wirtschaftens nicht nur als Bild auf Verpackungen und Werbeplakaten gut ankommt, sondern für die Zukunft der Nahrungsgewinnung tatsächlich das effizienteste Modell ist. [ban]

Valentin Thurn: 10 Milliarden – Wie werden wir alle satt? Dokumentarfilm. Trigon 2015. 107 Minuten. Kinostart: 24.9.