Die Diskussionsteilnehmenden konnten keinen Konsens finden. Michelle Huber

Selektion im Reagenzglas?

Am 14. Juni wird darüber abgestimmt, ob Tests an Embryonen legalisiert werden sollen. An einer Podiumsdiskussion an der ETH trafen sich Befürworter und Gegner der Präimplantationsdiagnostik (PID). Ihre Meinungen könnten unterschiedlicher kaum sein.

29. Mai 2015

Tests an künstlich erzeugten Embryonen sind in der Schweiz verboten. Diese würden jedoch zeigen, ob der Embryo gesund oder krank in die Gebärmutter eingepflanzt würde. Das will der Bundesrat mit seinem Vorstoss ändern. Wenn die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 14. Juni Ja sagen, können in Zukunft genetisch vorbelastete Paare ihre Embryonen im Voraus auf schwere Erbkrankheiten untersuchen lassen. Zudem sollen künftig für die künstliche Befruchtung zwölf statt drei Embryonen entwickelt werden dürfen.

Vielfalt statt Selektion

Christina Schönbächler, Co-Geschäftsleiterin von insieme Schweiz, der Dachorganisation für Elternvereine für Menschen mit einer gestigen Behinderung, befürchtet, dass durch eine Annahme der Verfassungsänderung Selektion betrieben würde. «Wir brauchen eine Gesellschaft mit Verständnis für Behinderte, damit Eltern nicht unter Druck kommen. Da die meisten Behinderungen während der Schwangerschaft oder der Geburt entstehen, ist ein gesundes Kind nie garantiert.» Für Peter Schaber, Professor für Angewandte Ethik an der Universität Zürich spricht vieles dafür, die PID rechtlich gleich zu gestalten wie die Pränataldiagnostik. Für ihn ist der springende Punkt nicht die Vermeidung von Behinderungen. Die Eltern sollen die Möglichkeit haben, sich schon vor der Schwangerschaft über die Risiken zu informieren, damit es nicht später doch zu einer Abtreibung kommt.

Eigenverantwortung der Eltern

Kathy Riklin, Nationalrätin der CVP und Mitglied des Abstimmungskomitees «Ja zur Fortpflanzungsmedizin», verweist auf die Eigenverantwortung der Eltern. «Die gefährdeten Eltern sollen die Entscheidung selber treffen, welche Untersuchungen sie machen wollen. Das ist nicht Aufgabe des Staates.» Das sieht Marianne Streiff, Nationalrätin der EVP und Co-Präsidentin des Abstimmungskomitees «Nein zur Präimplantationsdiagnostik» anders. «Die Unterscheidung von lebenswert und nicht lebenswert finde ich falsch.» Sie ist wie Christina Schönbächler besorgt, dass der Druck ein perfektes Kind zu bekommen durch die PID steigen würde. Ausserdem sei es moralisch höchst verwerflich, dass zwölf Embryonen entwickelt und elf davon der Wissenschaft überlassen oder getötet werden. Dagegen wendet Ernst Hafen, Professor für Molekulare Systembiologie an der ETH, ein, dass es auch bei einer natürlicher Befruchtung zu Aborten kommen kann, da sich nicht jede befruchtete Eizelle in der Gebärmutter einnistet. Er ist wie Riklin der Meinung, die Entscheidung solle den Eltern überlassen werden.

Reine Spekulation?

Marianne Streiff ist überzeugt, dass bei einer Annahme der Initiative der Weg geebnet würde für die Legalisierung von Retterbabies oder ähnlichen medizinischen Spielereien. Als Retterbabies bezeichnet man Kinder, die im Embryonalstadium darauf getestet werden, ob sie beispielsweise als Knochenmarkspender für ihre schon lebenden, kranken Geschwister in Frage kommen. Für Peter Schaber hingegen sind die Schreckensvisionen von der absoluten Selektion realitätsfremd - schliesslich könne man die Gesellschaft nicht durch die Gesetze bestimmen.