Weg mit den Büchern! Karriere an der Uni lohnt sich nur für die Wenigsten. Maya Wipf, Daniele Kaehr

Unbehagen im Mittelbau

Assistierende klagen über hohen Leistungsdruck und schlechte Löhne – arbeiten aber an einem der international besten Standorte für Wissenschaft.

2. Mai 2015

Dem Mittelbau der Schweizer Unis geht es schlecht. Zu dieser Sicht gelangt, wer sich zum Thema umhört. Eine Tagung der Assistierendenvereinigung der Uni Basel sieht «düstere Aussichten für den Nachwuchs an Schweizer Universitäten». In der Hauptstadt werden Lunch-Talks zum Thema «Arbeitsbedingungen im Mittelbau» veranstaltet, und in Zürich beanstandet ein Assistierender des Historischen Seminars unbefriedigende Umstände: tiefer Lohn, deutlich höheres Arbeitspensum als vertraglich vorgesehen, wenig Zeit für die Dissertation. Der Schweizer Wissenschaft im Allgemeinen aber geht es bestens. In sämtlichen Bewertungsansätzen und Rankings schneidet sie gut ab, so beispielsweise als Zweitplatzierte nach den USA in einer Studie des Bundes bezüglich der Qualität der wissenschaftlichen Publikationen. Auch die wissenschaftliche Infrastruktur sei gut in der Schweiz, sagt Corina Wirth vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Wird also nur auf hohem Niveau geklagt? Oder gibt es tatsächlich strukturelle Probleme? Beides scheint der Fall zu sein.

Künstler in Ausbildung?

Ein wissenschaftlicher Assistent erledigt normalerweise administrative Arbeiten, er unterrichtet Studierende und verfasst eine betreute Dissertation. Er produziert und vermittelt so einerseits Wissen, setzt aber andererseits auch seine wissenschaftliche Ausbildung fort. Damit lässt sich das niedrigere Lohnniveau im Vergleich zu Jobs in der Privatwirtschaft zumindest teilweise legitimieren. Die Nachwuchswissenschaftler wissen, dass sie sich auf tiefe Löhne und eine unsichere Zukunft einlassen, und tun dies vor allem aus Liebe zur Wissenschaft, wie eine Umfrage des Bundes bestätigt. Woher dann aber das Unbehagen? Um ein These zu wagen: Es gibt ein Ideal des freien, sich künstlerisch entfaltenden Wissenschaftlers, das die Tatsache verschleiert, dass Wissenschaft ebenso auch Arbeit ist. Diese Sicht kann von Professoren instrumentalisiert werden, um Mitarbeitenden viel Arbeit aufzuhalsen. Und andererseits können Karriereängste zu einer überangepassten Haltung gegenüber Vorgesetzten und dem Mainstream in Sachen Forschung führen. Beides ist kontraproduktiv und ungesund.

Für einmal: Mehr Amerikanismus an den Unis!

Aber es gibt auch deutliche strukturelle Probleme, die die Belastung erhöhen. Als Folge der Ökonomisierung des Wissens gleicht die Universität heute einem Unternehmen, das sich im internationalen Wettbewerb um Rankingplätze und Publikationszahlen behaupten muss. Eine Konkurrenzlogik ist in der Wissenschaft eigentlich unangebracht, denn in der Forschung gibt es mehr als genug Neuland, und innovative Ideen sind immer gefragt. Trotzdem wird die Wissensproduktion gemessen und bewertet, oft mit Massstäben, die Quantität der Qualität vorziehen. Dadurch steigt der Druck auf Wissenschaftler aller Hierarchiestufen, und die zusätzlich anfallende verwalterische Arbeit, die seit der Bologna-Reform stark zugenommen hat (ZS #2/15), wird auf die Assis-tierenden abgewälzt.

Zudem ist eine akademische Laufbahn in der Schweiz unsicher, da ein Newcomer lange warten muss, bis er eine feste Stelle hat, und es einen engen Karriere-Flaschenhals gibt. Grund dafür ist das «germanische» Hochschulmodell, das ausgeprägt hierarchisch und stark Lehrstuhl-zentriert ist. Erst wer eine Professur innehat, ist sicher in der Wissenschaft gelandet. Der Bund versucht dem seit einigen Jahren entgegenzuwirken, indem er mehr Festanstellungen von wissenschaftlichen Mitarbeitern sowie die Schaffung von Assistenzprofessuren mit sogenanntem Tenure Track empfiehlt. Die Kantone sind in der Umsetzung und Ausgestaltung jedoch frei und bisher zurückhaltend.

An der Uni Zürich wurden bislang 14 Assistenzprofessuren mit Tenure Track eingerichtet. Diese Stellen geben Nachwuchswissenschaftlern während vier bis fünf Jahren die Möglichkeit, sich zu bewähren. Danach müssen sie in einem Bewerbungsverfahren um eine feste Stelle, die einen Lehrstuhl garantiert, noch einmal die internationale Konkurrenz ausstechen. Die Post-Doc-Phase soll damit verkürzt und schneller Klarheit über die Chance auf eine wissenschaftliche Karriere geschaffen werden. Dieses Modell ist vom «angelsächsischen» Hochschultyp abgeschaut.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass es sich für das Mittelbau-Personal nicht lohnt, viel Zeit und Energie in die Lehre zu stecken, da Publikationen und Diss oder Habil für die weitere Karriere ausschlaggebend sind. Entweder leidet also die Qualität des Unterrichts, oder aber die Assistierenden haben einen zusätzlichen Zeitaufwand, wenn sie sich gut auf die Seminare vorbereiten wollen. Es müssten also Ideen her, wie man gute Lehre honorieren kann.

Mittelbau ist nicht gleich Mittelbau

Freilich unterscheidet sich die Situation je nach Fachbereich. Bei den Wirtschaftswissenschaften an der Uni Zürich etwa gleicht das Doktorat einem PhD (USA, England). Im ersten Jahr wird ein breites Vertiefungsstudium absolviert und noch nicht an der Dissertation gearbeitet – das heisst die Doktorierenden arbeiten wie schon vorher für ETCS-Punkte. In den Rechtswissenschaften wiederum gibt es viele Wissenschaftlerinnen, die neben der akademischen Forschung bereits mit einem Bein im ausseruniversitären Berufsleben stehen. In den Geistes- und Sozialwissenschaften schliesslich wollen die meisten der Doktoranden laut der besagten Umfrage des Bundes an der Uni bleiben. Das verschärft die Konkurrenzsituation.

Der Leistungsdruck auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt ist hoch, dies gilt nicht nur für die Wissenschaft. Schlecht geht es dem Wissenschaftsnachwuchs in der Schweiz wohl nicht – besonders wenn man den Blick über die Grenzen wagt. Doch sind der Vergleich mit noch schlechter funktionierenden Systemen im Ausland und intrinsische Arbeitsmotivation schwache Argumente, wenn greifbare Lösungen vorhanden sind. Damit diese von den Unis und den Kantonen umgesetzt werden, muss sich der Mittelbau weiter Gehör verschaffen.