Meerschweinchen und Sambuca

26. März 2015

Vor einem Jahrzehnt lebte er noch unter dem Existenzminimum. Mit seiner Musik konnte er sich kaum über Wasser halten. Jetzt sind Olli Schulz‘ Konzerte ausverkauft. Er weiss auch, warum. «Danke, Pro 7, dass ich heute hier sein darf», ruft er dann von der Bühne und setzt nach: «Früher war ich natürlich besser und echter. Als nur acht Leute zu meinen Konzerten kamen. Mann!»

Von Kollege Jan Böhmermann gefragt, welchen Beruf er bei der Krankenkasse angeben würde, braucht Olli Schulz keine Sekunde für die Antwort: «Ich bin Musiker.» Deshalb kehrt er nach einer intensiven zweijährigen TV-Präsenz bei Pro 7 wieder zu seinen Wurzeln zurück. Im Januar erschien sein sechstes Album «Feelings aus der Asche».

Die erste Platte des Hamburger Singer-Songwriters mit dem Titel «Brichst du mir das Herz, dann brech’ ich dir die Beine» erschien 2003 – damals noch unter dem Namen «Olli Schulz und der Hund Marie». Schulz‘ Markenzeichen? Tiefe und ehrliche Texte, meist über Beziehungsprobleme und Herzschmerz, das Ganze aber immer mit einer Portion Schalk. Vier Alben folgten, Schulz blieb der ewige Geheimtipp der Kritiker. Der breiten Masse wurde er erst bekannt, als er mit derben Sprüchen den Blödelbarden bei «Circus Halligalli» mimte.

Heute hat der lang ersehnte Messias der deutschen TV-Unterhaltung genug vom Medium, das ihn berühmt machte. Schulz weiss, dass er jetzt mit «Feelings aus der Asche» ein breiteres Publikum erreicht. Das hört man seinen Liedern an. Trotzdem, auch das neue Album trägt unverkennbar die Handschrift von Olli Schulz. Soll heissen: tiefe Texte, viel Beziehungsdrama, und trotz allem auch eine Prise Witz. Das grösste musikalische Highlight bildet «Als Musik noch richtig gross war», Schulz‘ Liebeserklärung an die Musik und die Menschen, die ihn sein ganzes Leben über begleitet haben. Wieder sind es die Texte, die Lieder des Hamburger Musikers zu etwas Besonderem machen.

Schulz ist ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler. Das ist sein grösstes Talent. Und das macht wohl zu einem gehörigen Teil auch seinen Erfolg aus. Seien es die «relativ autobiografischen» Geschichten in seinen Liedern, sein Gequatsche auf der Bühne oder sein zwangloses Geplauder mit Jan Böhmermann in der jeden Sonntag ausgestrahlten Radiosendung «Sanft und Sorgfältig»: Schulz erzählt gern. Es ist nicht immer klar, ob die Wahrheit in diesen Geschichten die Hauptrolle spielt oder auch mal nur Komparse ist. Zum Beispiel in der Erzählung von einer flüchtigen Frauenbekanntschaft, die Aspirin zermalmte und das Zeug als Kokain verkauft hat. Oder die Story von dem alten Typen in einer Hamburger Kneipe, der sich Sambuca über die Hand leerte, das Ganze anzündete und dann merkte, dass das doch keine so gute Idee war. Oder auch Abwegiges, wie Schulz‘ Jugendhobby, Meerschweinchen auf Skateboards zu dübeln.

Letzteres erzeugte natürlich einen Shitstorm ungeheuren Masses. Trotzdem: Das Publikum hört ihm gerne zu. Warum? Wahrscheinlich, weil mit Olli Schulz kein Zyniker vor das Mikrofon tritt, sondern ein ehrlicher Musiker, der sich über niemanden erhaben fühlt, sondern einfach nur Spass daran findet, seine Geschichten weiterzugeben.

Olli Schulz, Feelings aus der Asche

(Trocadero), 2015.