Arman Avanessian. zvg

Ach, Uni

24. Februar 2015

Armen Avanessian nimmt in seinem Buch «Überschrift» kein Paper vor den Mund und beschreibt die geisteswissenschaftlichen Akademiker als pseudokritisch, konformistisch und depressiv. Was schlägt er vor? Fetischismus und Witz.

Im Berliner Punkrock-Philosophie-Verlag Merve ist die Streitschrift erschienen, und der Covertext ist von einer Schicht Rubbellos-Grau in Form der obligaten Merve-Raute verdeckt. Weil man sich nicht die Mühe macht, die Farbe wegzurubbeln, hinterlässt das Buch überall seine Spuren: Im Rucksack, auf der Jeans, an den Fingern. Und so, wie allmählich dann doch der Titel durchschimmert, dämmert einem auch im Laufe der Lektüre, was der aus Wien stammende Literaturwissenschaftler und Philosoph mit «Überschrift» will. Wer wegen des Geglimmers auf der Front Glam-Rock-Theorie à la Žižek erwartet, liegt falsch. Avanessian schreibt (trotz der Polemik) unaufgeregt und schnörkellos. Zielscheibe des Buches ist die Universität, und das Geschütz ist hart, weswegen ein Kollege zu Avanessian gesagt habe: «Dieses Buch kannst du einfach nicht publizieren.» Er hat es doch getan.

Das Personal der Philosophischen Fakultäten ist kritisch, autonom und innovativ. Die Wissenschaftskünstlerinnen à la Humboldt verbinden souverän Forschung und Lehre und fühlen sich frei, weil spätestens seit 1968 keine offensichtliche professorale Macht Repression ausübt. Das alles stimmt nur scheinbar, so Avanessian. In Wahrheit stehen die Akademiker unter grossem Druck. Der Mittelbau muss über den meist konformistisch gehaltenen Qualifizierungsschriften (Diss, Habil) brüten und die Publikationsliste pflegen. Die Professorinnen managen den Lehrstuhl und kommen nicht dazu, ein interessantes Buch zu schreiben. So ist die Akademie ein «Vorzeigemodell neoliberaler Selbstausbeutung». Auch die Depressionen, die viele Geisteswissenschaftler quälen, haben laut Avanessian institutionelle Ursachen: Die Dr. Des. & Co. sind nur vermeintlich kritisch und autonom. De facto gehorchen sie ängstlich der gängigen Uni-Moral, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Sie verinnerlichen die vermiedenen Konflikte, und es resultiert Selbsthass.

2013 hat Avanessian den Band «#Akzeleration» (Merve) herausgegeben mit Beiträgen, die der Beschleunigung des Kapitalismus und unseres Lebens nicht mit dem nostalgischen Ruf nach Entschleunigung begegnen wollen, sondern in eigenmächtiger Tempoverschärfung positive, progressive, subversive und leidenschaftliche Zukunftsmodelle entwerfen, um dem hektischen Jetzt zuvorzukommen, statt ihm hinterherzuhinken. Was Avanessian in «Überschrift» vorschlägt, ist überzeugend: Man soll hinstehen und seine Ansichten über Wahrheit und Leidenschaften für ein Wissen so unbeirrbar äussern, wie der Fetischist die von ihm aufgewertete Sache feiert. Die dadurch ausgelösten Konflikte sollen mit witzigen, humorvollen und ironischen Taktiken ausgetragen werden. So zwingt man das Gesetz, sein wahres Gesicht zu zeigen. Und daraus folgt eine «ethische Konstitution des Subjekts», denn wer die Konfrontation mit dem Gesetz sucht, formt es um, überschreibt es (daher der Titel) und macht sich zum Autor einer neuen, für sich und mit den anderen ausgehandelten Ethik (während der angepasste Neurotiker sich der allgemeinen Moral beugt). Das klingt nach fröhlicher Wissenschaft. Ob dem so ist, erfahren wir im Frühlingssemester bei den geplanten Gastaufenthalten. Bis dahin bleibt Zeit, das Buch zu lesen.

10.–11. März UZH / 13. April ETH

Armen Avanessian: Überschrift. Ethik des Wissens – Poetik der Existenz. Merve 2015