Nora Gsell

Duell: Forciertes Kotzen

Bekanntheiten aus aller Welt und Zeit duellieren sich zu ausgelosten Themen.

23. Februar 2015

PRO: Mark Zuckerberg

Forciertes Kotzen ist bei mir ganz einfach. Ich muss einfach in den Spiegel schauen und schon plätschert es los.

Das würden meine Feinde von mir sagen, wenn sie aus meiner Sicht ein «Pro» zum Thema «erzwungenes Erbrechen» schreiben müssten. Ich aber finde mich toll. Ich habe Menschen dazu gebracht, alles von sich preiszugeben. Ich meine, die ganzen 1,4 Milliarden Facebook-User, die kotzen sich doch die ganze Zeit aus. Sie prostituieren ihr Gesicht in allen Schattierungen. Sie kotzen ihr Leben aus, und zwar auf mich. Also, auf mein Produkt. Ich bin hier der Angekotzte. Ich bin der Mann, dem du dein Innerstes anvertrauen kannst. Ich bin das Ventil der Gesellschaft. Kotzt, auch wenn ihr nichts im Magen habt. Forciert jedes noch so kleine Lebenshäppchen, das in euch gärt. Auch wenn es nur eine Anekdote ist, wie die vom fummelnden Ivo, der damals in der Schuldisco an eurem Rossschwanz herumzupfte und meinte, es sei der Verschluss eures BHs. Egal. Macht euch interessant. Würgt, knetet, windet! Die Community wird es euch danken. Und natürlich auch mein milliardenschweres Unternehmen.

Ja, was denkt ihr denn? Dass ich mich umsonst von der ganzen Welt ankotzen lasse? Ich bin doch nicht Lenin. Ich verhökere das Erbrochene. Ich mache Geld mit dem Aus-dem-Leben-Gebrochenen meiner User.

Wie ich forciert kotze, wollt ihr wissen? Ja, glaubt ihr denn, ich sei dumm? Von mir gebe ich nichts preis, schon gar nicht mein Innerstes. Vergesst es! Ich finde es schon schlimm, dass auf Wikipedia steht, ich besitze 17,5 Milliarden Dollar. Pah! Es sind mindestens 25 Milliarden, ihr Idioten! Also hört mir auf mit dem Geheul. Schliesslich stülpt ihr euer Innerstes freiwillig nach aussen. Seid bloss froh, dass ich euch mit dem Nacktfilter davor schütze, zu viel Haut zu zeigen. Sonst wäre die Welt eine fleischfarbene Kugel. [flo]

CONTRA: Lenin

Die Suchtmittel, ich habe sie stets verschmäht. Der Tabak und der Alkohol, sie schwächen den revolutionären Geist. Doch lässt es sich manchmal kaum vermeiden, und sei es nur zur Solidarisierung mit der Arbeiterschaft, dass man hin und wieder an einem Glas nippt. So auch in meiner Zeit in Zürich, wo ich einmal, mit einem Schlückchen Wodka versetzt, im Jahre 1916 durch die Spiegelgasse nach Hause schwankte. Der Grosse Krieg tobte in Europa und in meinem Kopf. Wie schlecht erging es mir ob der ungewohnten, scharfen Flüssigkeit, die meinen Mund und Geist desinfizierte. So verfluchte ich meine eingeknickte Standhaftigkeit und fragte mich: Was tun? Die Trunkenheit war an sich natürlich schon kein Zustand, der mir bei meiner Frau und meiner Mitstreiterin Nadeschda eine ehrenhafte Behandlung einbrachte. Denn so klein und «nicht zweckentsprechend», wie es meine Frau zu nennen pflegte, die Kammer, die wir zu dritt bewohnten, auch war: Die 24 harten Schweizer Franken konnte ich oft nur mit Not auftreiben.

Doch noch bevor ich meine Gedanken klar fassen konnte, wurde mir die Entscheidung abgenommen. Die Wurstfabrik, die in der Nachbarschaft angesiedelt war, stank zum Himmel. So entledigte ich mich noch vor Erreichen der Haustüre infolge der ersten Schwade des modrig-süsslichen Geruchs meines Mageninhalts.

Später lag ich im engen Bett noch wach, während sich mein Kopf drehte und mir im Wahn schwante, dass alles schlimmer werden muss, bevor es besser wird. Die Belohnung jedoch für das – dank der Wursterei – provozierte Kotzen erlebte ich am nächsten Tag in Form annehmbarer Kopfschmerzen. Ich war immer ein gesundheitlicher Schwächling, man mag es in meiner späteren Machtfülle nicht erkannt haben. So lernte ich in meiner Zürcher Absteige: Man kotzt, wenn man muss – Forcieren ist nicht nötig. Aus jenem hellen Moment in meinem Zürcher Exil schöpfte ich denn auch die Bestätigung, dass die Revolution dann kommt, wenn die Bourgeoisie am übelsten stinkt. Ein Jahr später war es dann so weit. [mik]