Übt harsche Kritik am universitären Umfeld: Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann. PD

Ein Schlag in die Magengrube

Am 14. Januar 2015 kritisierte der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann in einem Interview mit der Basler Zeitung das universitäre Arbeitsumfeld. Dies allerdings mit einem überraschend nationalkonservativen Tenor. Ein Kommentar.

23. Januar 2015

Ich rege mich gerne auf. Das gebe ich ohne Umschweife zu. Und doch trifft mich trotz meines routinierten Umgangs mit allerhand Aufregern ab und an ein Zeitungsbeitrag völlig unvermittelt wie ein Schlag in die Magengrube. Bei dem Prachtstück eines Interviews, das mich diesmal zunächst in ungläubiges Staunen und dann in eine kopfschmerzverursachende Rage versetzt hat, handelt es sich um das Gespräch von Wirtschaftshistoriker und Titularprofessor an der Universität Zürich Tobias Straumann mit zwei Journalisten der Basler Zeitung vom 14. Januar 2015.

Kritik an universitären Umfeld

Als Geschichtsstudentin an der Uni Zürich ist mir Straumann natürlich bekannt. Tatsächlich hatte ich bereits vor Beginn meines Studiums vor etwa 5-6 Jahren einen seiner Vorträge über die wirtschaftliche Geschichte des Kantons Schwyz gehört. Wir wechselten damals sogar ein paar Worte, wobei ich ihm für die sehr aufschlussreiche Veranstaltung dankte. «So sollte man Lokalgeschichte machen», haben mich viele meiner Freunde und Kommilitonen wiederholt sagen hören (müssen), oder auch: «Wenn nur alle Wirtschaftsgeschichte so unterhaltsam und zugänglich betreiben könnten.» Jedem, der fragte, empfahl ich Straumanns Veranstaltungen ohne Vorbehalte. Beim Gedanken daran wird mir momentan anders. Denn seit der Lektüre dieses infamen Interviews ist es mit jedem ‚Goodwill’ gegenüber Straumann meinerseits aus und vorbei.

In dem Beitrag mit dem Titel «Die Historiker der Universitäten verweigern sich der Diskussion» verwickelt Straumann auf perfide Art und Weise nachvollziehbare Kritikpunkte am universitären Arbeitsumfeld – wie etwa mangelnde Kooperation zwischen Dozierenden und fehlende Strukturierung des Studiums – mit Elementen einer nationalkonservativen Rhetorik, die einem halbwegs liberal gesonnenen Leser das Blut in den Adern gefrieren lässt. Zum ersten Mal wird dieser Zug in der Passage über die Beziehung zwischen Universität und Staat deutlich.

Der Steuerzahler soll bestimmen

«Was ich vermisse, ist, dass die Universität auch den Auftrag des Steuerzahlers ernst nimmt. Dieser will, dass Leute, die Geschichte studieren, ein Grundverständnis der Schweiz in die Verwaltungen, Redaktionen und Schulen hineintragen. Dieser Auftrag ist völlig vergessen worden.», so Straumann, und weiter: «Wenn die Uni selber nicht handelt, muss sich halt der Steuerzahler melden, das heisst, das Parlament.» Nun will «der Steuerzahler» sicher so einiges – man will ja was kriegen für sein Geld. Ob ihm das jedoch zusteht, ist eine ganz andere Frage.

Die Bevölkerung und die Regierung haben sicherlich ein unbestreitbares Anrecht auf Transparenz und Einblicke in die inneren Mechanismen der Universität. Niemand kann guten Gewissens eine Abschottung der grössten Bildungsinstanzen befürworten. Was aber ganz sicher weder dem Staat noch dem «Steuerzahler» zusteht, ist, den Lehrplan zu diktieren. Die Lehre an der Universität orientiert sich nicht nur am geographischen Standort des Hauptgebäudes sondern an einer Positionierung innerhalb eines globalen Diskurses über Lehrinhalte und Gelehrsamkeit. Die Idee, die Bildungsinstanz müsse hauptsächlich nationalhistorische Bedürfnisse bedienen und zur Ausbildung von Schweizern für die Schweiz dienen, ist grotesk.

«Zutiefst provinziell»

Dass Universitätsstudium und Internationalität Hand in Hand gehen, ist natürlich auch Straumann klar. Und so spricht er sich positiv für die Mobilität von Studierenden aus, die natürlich durch die jüngsten politischen Auseinandersetzungen in keiner Weise gefährdet seien: «Die Studentenmobilität ist kein Problem: Ich studierte auch im Ausland, und zwar vor den Erasmus-Programmen. Hier gibt es viele Lösungsmöglichkeiten.» Da hat er natürlich nicht Unrecht. Es gibt Alternativen zu Erasmus, wie es auch vor der Etablierung des Programms Möglichkeiten gab, ins Ausland zu gehen. So problemlos, wie Straumann das gerne hätte, ist es natürlich nicht. Er mag vielleicht vor Erasmus im Ausland studiert haben, das ist allerdings nicht dasselbe, wie aus dem existierenden Programm ausgeschlossen zu sein.

Jeder Studierende kennt die Horrorgeschichten, die schon ein theoretisch sehr standardisierter Erasmus-Austausch mit sich bringen kann. Zwischen Leistungsverträgen, Aushandlungen und wechselnden Studienordnungen ergibt sich allein in diesem an sich sehr geregelten System genügend Raum für Schwierigkeiten. Die bilateralen Verträge ausserhalb des Programms sorgen sowohl für die Studierenden als auch für die Organisatoren für einen erheblich grösseren Arbeits- und Verwaltungsaufwand. Was bleibt ist natürlich des Austausch mit anderen Schweizer Universitäten, CH-Unimobil. Und wieso sollte man überhaupt ins Ausland wollen, wenn doch der Zweck eines Universitätsstudiums lediglich in der Ausbildung guter Schweizer Bürger besteht? Die Frage ist nur, wie sich so der akademische Diskurs verbessern soll, der Straumman «zutiefst provinziell» vorkommt.

Die Mär vom Schweizer Sonderweg

Irritationspotenzial findet sich auch in Straumanns Aussagen zur Einzigartigkeit der Schweizer Geschichte. Trotz mehrerer relativierender Sätze wird er nicht müde, den «Sonderfall» der eidgenössischen Geschichte zu betonen. Neben den unangenehmen Anklängen an den deutschen Sonderweg ergibt dies auch inhaltlich nicht viel Sinn. So auch Straumann selber: «Aber natürlich ist jedes Land für sich speziell, das ist ja logisch.», und über die anderen EU-Länder, von denen man sich angeblich so klar abhebt: «Es wimmelt von Ausnahmen.»

Es stellt sich die Frage, wo die Regel neben diesen ganzen Ausnahmen und Sonderfällen eigentlich bleibt. Richtig unangenehm wird es aber erst im Zusammenhang mit neueren politischen Entscheidungen. Straumann, der nach eigenen Angaben für die Masseneinwanderungsinitative gestimmt hat, sagt zum Ergebnisse über deren Abstimmung: «Der 9. Februar war heilsam.»

Keine Schützenhilfe für die Masseneinwanderungsinitiative

Straumann attestiert vielen seiner Kollegen «einen tief sitzenden Groll gegenüber der bürgerlichen Schweiz und ihrem Geschichtsbild». Ich selbst fühle mich nach der Lektüre des Interviews ergriffen von Ressentiments. Allerdings nicht gegen die Schweiz und ihr Geschichtsbild, sondern vielmehr gegen sogenannte «Steuerzahler» und Historiker, für die Geschichte nicht mehr ist als ein Reservoir von Anekdoten, das instrumentalisiert werden kann, um grosse patriotische Narrative zu basteln und damit politische Entscheide zu rechtfertigen. Diese Neigung zur Instrumentalisierung offenbart sich bei Straumann in seiner Abneigungen gegen Dekonstruktion: «Nichts hat stattgefunden, alles ist nur eine nachträg­liche Vereinfachung.», fasst er die Perspektive seiner Berufskollegen zusammen. Mit diesem lapidaren Kommentar verwirft er eine kritische Form der Geschichtsschreibung, die den Zweifel über den Glauben gestellt hat.

Auch wenn ich Straumann in dem Punkt zustimme, dass eine aktivere Diskussionskultur wünschenswert wäre, tut es mir doch leid, für einen Dozenten der Universität Zürich derart harsche Worte finden zu müssen. Meine Meinung steht aber fest: lieber die Unsicherheit der Quellenlage betonen und kritisch an historische Darstellungen herantreten als mit Schützenhilfe von Morgarten und Sempach die Masseneinwanderungsinitative zu rechtfertigen.