Von den Alten Ägyptern bis zu Revlon - die Geschichte der Maniküre ist lang. Johannes Luther

Optimiert manikürt

Prokastination! Aber wie? In dieser Folge der ZS-Serie Prokrastination widmen wir uns einem allseits beliebten Ritual: der Maniküre.

18. Januar 2015

Das Bepinseln der eigenen Keratinplättchen mit bunten Autolack-Derivaten erscheint auf den ersten Blick gar sehr plebejisch für eine Studierendenzeitung, aber wozu wäre ein Masterstudium in Geisteswissenschaften gut, wenn nicht, um ein Interesse für die kulturelle Signifikanz vermeintlich selbstverständlicher Alltäglichkeiten zu entwickeln?

Made in China?

Wie so oft lassen sich auch die Ursprünge des Nagellacks nach China, Indien und Ägypten zurückverfolgen, und das bis etwa 3000 vor Christus. Von tatsächlichem Lack kann allerdings noch nicht die Rede sein. Vielmehr wurden die Nägel entweder direkt oder mit Hilfe von Wachs und Gummi Arabicum mit natürlichen Pigmenten eingefärbt oder mit dünnen Metallschichten wie etwa Blattgold bedeckt. Dass es sich zumindest bei den Metallen und der Verwendung kostbarer Pigmente wie beispielsweise Rot um ein Privileg der Oberschicht handelte, versteht sich praktisch von selbst.

Für Ägypten ist allerdings die Verwendung von Naturtönen auch für weniger Hochgestellte nachweisbar, dasselbe gilt in China für die Farbe Rosa. Die Verwendung von Henna, die besonders für Indien und Ägypten belegt ist, lässt vermuten, dass mit den Nägeln auch die Fingerspitzen oder andere Teile der Hand rot eingefärbt wurden. Zudem zeigen Ausgrabung in der Stadt Ur, im antiken Südbabylonien, dass hier ebenfalls vor 5000 Jahren gefärbte Nägel den Unterschied zwischen Ober- und Unterschicht markierten. Schwarzer Kohl deutete auf hohe, grüner auf niedrige Geburt hin. Besonders interessant: Dieser spezielle Trend war Männern vorbehalten und zwar Kriegern, die sich für die Schlacht auch Augen und Lippen entsprechend bemalten. Der Nagelschmuck der Frauen vor Ur stand dem jedoch in keiner Weise nach; Ausgrabungen brachten aufsetzbare goldene Fingernägel aus den Gräbern von reichen Babylonierinnen zu Tage.

Mit dem Beginn des Mittelalters gerieten die gefärbten Nägel aus dem Fokus, da sie zumindest in Europa nach dem Zusammenbruch des Römischen Reichs erstmal nicht mehr en vogue waren. Der Hennatradition im Nahen Osten und in Asien tat dies keinen Abbruch. Die Ablehnung von Kosmetik aus moralischen Gründen, beziehungsweise die Verbindung mit Prostitution scheint aber ein weitestgehend christliches Phänomen zu bleiben. Dies änderte sich erst wieder im absolutistischen Frankreich, wo gleichzeitig mit dem erneuten Interesse an Nageldekoration auch Schminke, Perücken und aufwendige Kleider Hochkonjunktur hatten.

Mainstream dank Revlon und Hollywood

Die Geschichte des eigentlichen Lacks begann allerdings erst im 20. Jahrhundert. 1916 brachte die Firma Cutex einen durchsichtigen Lack heraus, der die Nägel stärken und vor arbeitsbedingtem Verschleiss schützen sollte. In den 1920ern begann die französische Kosmetikexpertin Michelle Menard inspiriert von Autolackierungen glänzende Farblacke zu entwickeln, die nicht mehr den Nagel selbst färben, sondern vielmehr als separate Schicht auf diesen aufgetragen werden sollten. Die Idee wurde von ihrem Arbeitgeber, der noch heute sehr erfolgreichen Firma Revlon, enthusiastisch aufgegriffen.

Revlon brachte bald Lippenstifte und Lacke im selben Farbton als Sets heraus und machte das Produkt erschwinglich und benutzbar für die Massen. Mit Hilfe des Farbfilms begann der Nagellack seinen Siegeszug und blieb seither praktisch unverändert. Einige Innovationen hatte das Jahrhundert aber noch zu bieten: Ein amerikanischer Zahnarzt erfand in den 1950ern Acrylnägel als Mittel gegen Nägelbeissen, die sogenannten French Manicure wurde 1976 von ORLY berühmt gemacht und die 80er und 90er brachten neue Farbtöne jenseits von Rot- und Naturtönen hervor. Das neue Jahrtausend begann mit immer komplexeren Nail Art Experimenten, die durch die neue Blog- und Tumblrcommunities ausgiebige Verbreitung und Nachahmung fanden und finden. Mit der Erfindung der Shellac- oder Gelmaniküre wurde es möglich, Maniküren Wochen bis Monate haltbar zu machen.

Die Verzierung von Finger- und Fussnägeln ist also kein frivoles Produkt der neuzeitlichen Jugendkultur, tatsächlich wird sie schon seit tausenden von Jahren betrieben. Für mich hat die Vorstellung etwas Tröstliches, dass solche alltäglichen Praktiken und Rituale über die Epochen hinweg bestehen, auch wenn die Gründe und Bedeutungen sich ändern mögen. Selbst wenn wir mit der Farbe unsere Nägel nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer Klasse preisgeben, wie auch unser flüssiger Eyeliner nicht mehr viel mit dem Kajal gemeinsam hat, der die Augen der Ägypter vor der gleissenden Sonne schützen sollte, so bleibt die Verwandtschaft dieser Gesten und Praktiken unverkennbar.

Self Care für Studierende

Aus heutiger Anwenderperspektive steht für mich weniger der Effekt der bemalten Nägel als die Ausführung im Fokus. Ich halte die DIY-Maniküre für ein grossartiges self care-Ritual für Studierende. Unter self care werden Massnahmen verstanden, die das eigene Wohlbefinden garantieren soll. Dazu gehören gesunde Ernährung und Sport, aber auch die Körperhygiene, die Pflege von sozialen Kontakten und so weiter. Stress kann dafür sorgen, dass diese Sorge um das selbst vernachlässigt wird.

Gerade Studierende können Probleme haben, angemessen mit Stresssituationen umzugehen; es mangelt oft an Zeit, Geld, und Ideen. Ideal sind kurzweilige, kostengünstige Aktionen mit unmittelbaren Erfolgserlebnissen. So etwa Handarbeiten, Kochen, das Schreiben einer langen E-Mail an eine gute Freundin, eine Spaziergang mit dem Hund oder eben eine Maniküre. Wie ich aus eigener Erfahrung weiss, bieten lackierte Nägel einen soliden Schutz gegen die unerfreuliche Stress-Krankheit des Nägelkauens. Mit Hilfe von wöchentlich aufgefrischten Schutzwällen habe ich das Leiden, das besonders in Prüfungs- und Schreibphasen auszubrechen droht endlich in den Griff bekommen. Auch der Preis stellt kein Problem dar. Die benötigten Materialen sind günstig und praktisch überall erhältlich. Ein solider, wenn auch billiger Farblack von essence ist schon ab 2 Franken erhältlich, Nagelfeilen dürften wohl im Haus sein und sind sonst ebenfalls erschwinglich. Viel mehr braucht es nicht – Wobei ich von Experimenten ohne Unterlack dringend abraten würde. Mit ein paar Tipps und etwas teureren Materialien lässt sich das Leben einer Maniküre problemlos auf mindestens eine Woche ausdehnen.

Tipps und Tricks

Das wundervolle Internet hat hier endlose Ressourcen anzubieten. Ich empfehle jedem die Artikel von Alle Connell auf xovain. Alle, die selbst jahrelang ihre Fingernägel bis auf’s Blut abgekaut hat, bietet kreative Lösungen für abgebrochene Nägel (das Geheimnis: Teebeutel!), ausgiebige Rezensionen aller wichtigen Nagellackmarken, ausgiebige und transparente Produktempfehlungen (Sally Hansen Insta-Dri Top Coat ist ein Wunder der Natur) und einen scharfsinnigen, schwarzen Humor. Eine gute Maniküre nach ihrem Rezept dauert je nach Geduld etwa 45 Minuten. Gerade richtig, um sich eine Folge einer Serie zu Gemüte zu führen.

Ich für meinen Teil tendiere zu Pretty Little Liars oder Project Runway mit meinem Mitbewohner, ein bis zwei Gläser Weisswein inklusive. Hirnlose Unterhaltung und Alkohol sind ein absolutes Erfolgsrezept für Entspannung. Apropos Alkohol: Es empfiehlt sich, das Bad aufzusuchen, bevor man mit dem Pinseln anfängt. Reissverschlüsse und feuchter Nagellack sind keine Freunde. Ausserdem sollte auf heisse Getränke verzichtet werden, bis der Lack völlig trocken ist; der Dampf trübt den Nagellack und lässt ihn den Glanz verlieren. Wer die Oberflächlichkeit des Anpinselns mit etwas Gehaltvollerem ausgleichen möchte, greift am besten zu NBC’s Hannibal. Die schauerlich-schöne Ästhetik der Produktion und der mörderische Perfektionismus Hannibals versetzen den Zuschauer in die passende Stimmung für die geforderte Präzisionsarbeit.

Gerade an einem unproduktiven Tag inmitten einer Schreibphase für die nächste Seminararbeit braucht man kleine Erfolgserlebnisse. Perfekt lackierte Nägel lassen es so aussehen, als hätte man wenigstens irgendwas im Griff. Mit etwas Glück kann man sogar seine Mitmenschen mit Trivia zur Geschichte des Nagellacks davon überzeugen, dass man an dieser Uni was lernt.

Best of Alle on xovain Links:

1. You Asked: «How The Heck Do I Prevent My Manicure From Chipping?»

2. 10 Steps To Quit Even The Worst Nail-Biting Habit Once And For All

3. Tea Bag Wraps: The Weirdest But Easiest Nail Repair Secret EVER

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