Gewagter Tanz
Die Abschlussklassen der Theater-Bachelor der Zürcher Hochschule der Künste (ZhdK) präsentieren ihre Arbeiten im Theater der Künste. Die zwei komplett unterschiedlichen Inszenierungen hinterlassen dabei verschieden starke Eindrücke.
Den Absolventinnen und Absolventen wurde dieses Jahr einiges zugemutet. Vorgabe für die Abschlussinszenierungen der Studiengange Theater der ZhdK war «Delhi, ein Tanz». Zugänglich kann das Stück des Russen Iwan Wyrypajews nicht genannt werden. Sieben Einakter strukturieren das Stück. Iterationen einer einzigen Szene, mit stets sich verschiebenden Konfliktlinien und Text, der von Mund zu Mund, von Figur zu Figur wandert. Die Mutter einer Tänzerin stirbt, oder auch nicht. Die Frau ihres Geliebten schluckt Schlaftabletten und stirbt, oder eben nicht. Und über der Warterei im Vorzimmer des Todes steht der Tanz. Der Tanz, der zur Prophezeiung, zur Religion wird und die grossen Fragen des Lebens in Bewegung versetzt. So vielschichtig und gebrochen das Stück ist, so unterschiedlich sind auch die zwei Inszenierungen der Bachelor-Abschlussklassen.
Vorhang auf!
Der Handlungsort: das Wartezimmer eines Spitals. Sterilität prägt denn auch das Bühnenbild der Regisseurin Julia Haenni. Szenografin Sina Knecht entrümpelte das Bild, einzig ein Stuhl wird als Requisit geduldet und auch mehr aus Verlegenheit denn Notwendigkeit genutzt. Ein Vorhangwald strukturiert den Raum, oder besser, die Räume, die je nach Position zur Säulenhalle oder zu beengenden Kämmerchen werden.
Die Inszenierung Haennis (Dramaturgie: Sylvia Vieli) lebt von der Anprobe in diesen Räumen und macht das Meta-Theater zum Programm. Anspielungen auf improvisative Prozesse im Schauspielstudium und die Vorläufigkeit des Gespielten ziehen sich durch das Stück. Die Schauspielerinnen und Schauspieler weisen sich gegenseitig an («Du hast gar kein’ Text!»), korrigieren die Aussprache ihrer Kolleginnen und geben dem Licht Anweisungen. Als Zuschauer erkennt man die Grenze zwischen ad-hoc-Improvisierten und des geplant «Spontanen»nicht und hangelt sich mit den Darstellerinnen durch die Unsicherheit der Inszenierung. Das funktioniert oft sehr gut, obwohl gewissen Szenen eine straffere Strukturierung gut getan hätte.
Beschränkte Unmöglichkeiten
Das lässt sich für das Spiel mit den möglichen Vorhangräumen ebenso sagen. Anstatt dass sich bei der Vorführung am Samstag der Tanz, der Reigen der Einakter in der Variation der Räume manifestierte, zog sich dieselbe offene Position der Vorhänge durch weite Strecken des Stücks. Das ist schade und verspielt die Möglichkeiten des Bühnenbilds. Die Unsicherheit der unendlichen Möglichkeiten der Variation spiegeln sich denn auch im Spiel der Figuren. Die Dialoge gelingen in den ersten Akten besser als später, hin und wieder verzetteln sich die Darstellerinnen und Darsteller in der Improvisation.
Das Publikum wird von der Sympathie der Tanzerfinderin Ekaterina und dem starken Spiel ihrer Darstellerin Sophie Arbeiter durch das Stück getragen. Die stärksten Momente sind aber ohne Zweifel die längeren Monologe der einzelnen Nebenfiguren, etwa des Pflegers (Silvan Frick) gegen Schluss oder der Frau (NehIe Breer). In diesen Plädoyers liegt der intellektuelle Kern des Stücks. Hier werden die zentralen philosophischen Fragen verhandelt. Gefühl, Schuld, Schmerz, mystische Konzepte der Weltseele, des Welt-Traumes; Themenfelder, die jenseits der bruchstückhaften Charakterisierungen der Figuren stehen. Passend untermalt wird der morbide Tanz von Stefanie Knucklers Kontrabass und Simon Dietersdorfers sphärischem Klangteppich. Die trockene Struktur des Stücks fängt die Inszenierung mit humoristischen Elementen auf. Herrlich etwa Andrejs (Robert Rozic) Hommage an Whitney Houston, wo einem wie so oft das Lachen im Hals stecken bleibt. Alles in allem erinnert «Delhi, ein Tanz»bei Haenni/Knecht an Sartres «Huis clos». Die Hölle: das sind die anderen, die immer wieder mit einer Hiobsbotschaft hinter dem nächsten Vorhang lauern.
Schmerzhafte Bilder
In einer komplett anderen Welt befindet man sich in Michael Schönerts Inszenierung (Dramaturgie: Fiona Schreier). Nach dem minimalistischen Spital droht auf der Bühne Anna Wohlgemuths (Szenografie) die komplette Reizüberflutung. Das hat weniger mit dem nebelumschlungenen Bühnenbild zu tun als mit der Erzählweise. Eine kaputte Zirkuswelt schleudert hier ihre Innereien auf das Publikum: Andrej (Tim Czerwonatis) schaukelt sich knapp über den Publikumsköpfen in den Wahn; wird von hyperaktiven Clowns (Tonio Schneider und Pan Aurel Bucher) à la Abu Ghraib mit Frettchenschals ausgepeitscht; während die überhebliche Ekaterina (Tatjana Sebben) den zur leeren Worthülse reduzierten, sich im Stück ständig wiederholenden Satz, «Wie seltsam, fühlen. Man weiss nicht, wie man reagieren soll.» gekonnt ins Abstossende wendet. Schönert bleibt näher am Wörtlichen des Texts, rast aber darüber hinweg. Die Klamaukkiste ist hier der Handlungsträger einer dystopisch ausgeweideten Interpretation des Konzeptstücks. Die sperrige Struktur der einzelnen Akte wirft der Regisseur über Bord. Damit verliert sich das Stück aber gegen Schluss in einer Beliebigkeit, an der nicht viel hängen bleibt. Die Inszenierung verbildlicht stattdessen den Schmerz, der dem «Tanz» zugrunde liegt und stellt ihn ins Zentrum. Das ist pompös, lustig und nervös, und lenkt leider an allzu vielen Stellen von der Dringlichkeit des Textes ab. Dennoch: Als Zuschauer tritt man mit einem Nachgeschmack des Ekels und der apokalyptischen Schönheit aus dem Theater. Und man fühlt: Dies ist das Wesen des Tanzes, daraus schöpft er sich.