Landen die Geisteswissenschaftler zwangsläufig in der Prekarität? Sina Jenny

These: Onkel Willi im Nacken

28. November 2014

«Was zum Teufel studierst du eigentlich?» Diese ketzerische Frage schmettert mir Onkel Willi an Familientreffen jeweils mit jener ungenierten Leichtigkeit entgegen, die mir das Lammkotelett im Hals stecken bleiben lässt. Onkel Willi hat ein einfaches Leben geführt. Er ging einer bodenständigen Arbeit in der Industrie nach. Er hat sich seinen Besitz hart erarbeitet. Das Einfamilienhaus und die Kinder sind sein Stolz. Seine Kinder haben nützliche Dinge wie Medizin und Maschinenbau studiert oder eine Lehre als Förster gemacht. Aber ich und meinesgleichen; die Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler? Die machen sich es auf ihrem Hügel gemütlich. Lesen Bücher im sonnendurchfluteten Park – und das staatlich subventioniert. Sie haben die Köpfe voll mit höchst interessanten, aber kaum brauchbaren Dingen und müssen sich immer wieder die Gretchenfrage gefallen lassen: «Wie steht’s mit der Employability?» Dahinter steht der zeitgenössische Zwang, nützlich zu sein. Was nützen die Geisteswissenschaften der Gesellschaft? Was können wir ihr zurück­geben? Und müssen wir das überhaupt?

Das sind die Fragen, welche die Geisteswissenschaften seit der Erfindung der Profitrate begleiten und die sie zeitweise mit empiristischen Ansätzen zu beantworten ver­suchen. Onkel Willi sitzt uns ständig im Nacken. Wir alle kennen ihn, auch wenn er erfunden ist. Onkel Willi will uns schwitzen sehen im Angesicht ehrbarer Arbeit. Er wird uns nie verstehen, denn er spricht nicht akademisch.

Seine ätzende Frage aber bleibt.