Mohammad Al Hawajri, zvg Biennale Qalandiya International

Eine Metro für Gaza

Die Palästinensische Biennale «Qalandiya» will eine andere Geschichte des Landes erzählen.

28. November 2014

In Jerusalem ist «Qalandiya» ein Synonym für die Segregation der Gesellschaft. Es ist der Name eines Checkpoints zwischen Jerusalem und Ramallah. «Qalandiya International» heisst aber auch die Palästinensische Biennale, die diesen Herbst zum zweiten Mal stattfand. Die Kunst, die gezeigt wird, ist politisch und beleuchtet bisher unbekannte Winkel der palästinensischen Geschichte. So lag in Qalandiya nämlich bis 1967 der einzige Flughafen Jerusalems. Er war ein Dreh- und Angelpunkt für die Region und ein Tor zur Welt.

Dieses Jahr waren zwölf Institutionen aus allen Teilen Palästinas und über 100 Künstlerinnen und Künstler an der Biennale beteiligt, darunter bekannte Namen wie Emiliy Jacir, die 2007 einen Goldenen Löwen an der Biennale in Venedig gewann, oder Jumana Manna, die 2012 mit dem Young Palestinian Artist Award der Qattan Foundation ausgezeichnet wurde. Die Institutionen konzipierten ihre Programme zum Thema: «Archives – lived and shared». «Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben und so behalten sie die Menschen im Gedächtnis», sagt Alia Rayyan, künstlerische Leiterin des «Al Hoash», eines Kunstraums, der Teil der Messe ist. «In Archiven entdeckt man alternative Narrative, die es wert sind, erzählt zu werden. Diese verändern unsere Sichtweise auf die Vergangenheit und beeinflussen, wie wir die Gegenwart wahrnehmen.»

Urbanität und Patriotismus

In Jerusalem ist besonders die Geschichte des urbanen Raums heftig umstritten. Mit dem Projekt «Zalet Lisan» haben sich Kunstschaffende auf eine alternative Spurensuche begeben. Während die Stadtregierung Jerusalems das kontroverse Grabungsprojekt «City of David» in Ostjerusalem vorantreibt, das die Existenz des biblischen Königs belegen soll, entdeckten die Kunstschaffenden nur unweit von der Stelle den verwahrlosten «Karm Al-Khalili»- Garten. Der Park war von der Drogenszene bevölkert. «Wir wollten ihn in eine moderne Oase verwandeln», sagt der Kurator Yazid Anani. Mit Beamern projizierten sie Tiere an die Büsche und Bäume im Park. Zudem lud Anani eine palästinensische Zirkusschule ein, die den Park in ein kleines Quartierfest verwandelte. Dieses und andere Happenings wurden für die Ausstellung «If I were a Patriot?» im Museum der Universität Birzeit in Ramallah dokumentiert. Für das Konzept der Ausstellung liess sich Anani von den Gefängnistagebüchern Khalil Sakakinis inspirieren. Darin hinterfragte der palästinensische Nationalist und Dichter seine Loyalität zur damals ansässigen osmanischen Kultur.

Anani bevorzugt es, im palästinensischen Kontext Interventionen, Happenings oder Videokunst zu zeigen. «Objekte aus Gaza machen die Leute rührselig», sagt Anani. «Die Fetischisierung von Objekten aus einem Kriegsgebiet geht Hand in Hand mit der Viktimisierung der Künstler», meint Anani. Die Kunst, die Anani ausstellt, lässt diese Fixierung nicht zu. Sie ist flüchtig und hinterlässt Eindrücke und Emotionen, die nur einen Moment lang anhalten.

Das jüngste Kapitel der palästinensischen Geschichte, der Krieg in Gaza diesen Sommer, hat mehr als nur flüchtige Spuren hinterlassen. «Während des Krieges haben wir diskutiert, die Biennale abzusagen«, erzählt Alia Rayyan. «Dann haben wir aber beschlossen, das aktuelle Geschehen einzubinden.» Rayyan wagte kurzfristig, an der geplanten Ausstellung im «Al Hoash» nur Künstler aus Gaza zu zeigen.

Einer davon ist Mohamed Abusal mit seinem Werk «A Metro for Gaza», das eine Metro in den zerstörten Tunnelsystemen unter Gaza imaginiert. «Im Moment haben wir acht Stunden Strom pro Tag in Gaza», erzählt Abusal. Viel ferner könnte die Fantasie einer Metro nicht sein. «Für mich ist Gaza wie ein Labor. Internationale Organisationen, die Regierungen in Israel, Ägypten und den USA diskutieren und experimentieren hier. Unsere Lebensbedingungen werden von aussen bestimmt. Also habe ich mir aus der Vogelperspektive überlegt, was ich mit dem Experimentierfeld Gaza anfangen würde. Mir gefällt die Vorstellung eines modernen und ökologisch nachhaltigen Gaza, das unterirdisch, verborgen von den Augen der Weltöffentlichkeit lebt.»

Die Zerstörung Gazas waren nicht nur in «Al Hoash» ein Thema. Die Präsenz der Werke sowie die Abwesenheit der Künstler aus dem Streifen widerspiegeln die Fragmentierung Palästinas, das seine Biennale in Haifa, Hebron, Gaza, Jerusalem, Ramallah und Kuwait feiert. «Die Isolation in den einzelnen Teilen Palästinas war ein Grund, weshalb wir vor zwei Jahren die erste Ausgabe von Qalandiya International auf die Beine gestellt haben», erzählt der Künstler Khaled Hourani.

«See you in The Hague»

Die Isolation brechen: Dies wollten auch die Kunststudierenden der «International Academy of Art Palestine». Für eine Zusammenarbeit mit der Kunstakademie in Den Haag sind sie unter der Leitung von Khaled Hourani in die Niederlande gereist. Die Gruppe wollte zunächst den Versuch dokumentieren, eine Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof zu bekommen. «Wir wollten Schadenersatz für die Zeit einfordern, die Palästinenser an den Checkpoints, im Gefängnis und den Irrwegen durch administrative Ämter verloren haben», erzählt Hourani. Im Verlauf des Sommers wurde die Idee weiterentwickelt und man entschied, mehr über das Leben in «controlled spaces» zu erfahren. Dass Den Haag selber so ein Ort ist, hatten die Kunststudierenden nicht erwartet. Die Stadt hat eine der höchsten Dichten an Überwachungskameras im öffentlichen Raum. Obwohl die Kunststudierenden dies kritisch hinterfragen, finden sie die Videokameras an sich nichts Schlechtes. «Die Kontrolle durch Überwachungskameras schützt alle», meint eine Studentin. Die Debatte macht deutlich, wie stark sich die Realität der jungen Künststudierenden von der ihrer holländischen KommilitonInnen unterscheidet. In den letzten Wochen war es oftmals der Überwachung öffentlicher Räume zu verdanken, dass Verbrechen an Palästinensern aufgedeckt wurden.

In Den Haag sperrten die Kunstschaffenden Strassen mit Tüchern ab, um die Reaktionen auf Grenzen im öffentlichen Raum einzufangen. Die Polizei war schnell vor Ort, liess die errichteten Barrieren aber noch für einige Zeit stehen. Die Passanten seien eher positiv überrascht gewesen. «Ihr eigenes Überwachungssystem nehmen die Holländer viel weniger stark wahr, als wir unseres hier. Aber Studien zeigen, dass auch unsichtbare Überwachung das Verhalten steuert», meint eine Studentin.

Konsum statt Politik

Um Grenzen ging es auch in den Künstlergesprächen an der Messe. Besonders der Kunstszene in Ramallah wurde in den letzten Jahren vorgeworfen, sie lebe abgekapselt und unterwerfe sich einer neoliberalen Agenda. Statt das Ende der Besetzung zu fordern, würden sie sich um mehr Lokalitäten zum Cappuccinotrinken bemühen. «Das ist Blödsinn» sagt Anani. «Wir fordern ein Stück Normalität. Die internationale Kunstwelt hat einen Filter, der diejenigen Werke zu guter Kunst kürt, die politisch am meisten Furore machen.» Kunst funktioniere aber nicht wie Politik, die in den besetzten Gebieten von oben herab gemacht werde, vielmehr sei sie eine Bewegung, die von unten komme.

Die Selbstbestimmung der eigenen Geschichte sei ein langfristiges Projekt, das sich nicht in «Qalandiya» erschöpfe, sagt Rayyan. Der aufwühlende Sommer hat die Biennale spürbar und sichtbar geprägt. In der Folge der Gewalt in Jerusalem blieben Teile der Biennale die letzten Tage geschlossen. Niemand scheint zu glauben, dass bis zur nächsten Messe, 2016, der geplante Truppenabzug Wirklichkeit sein könnte. Die Sprache verschlagen hat es den Kunstschaffenden dennoch nicht.