Nach Hunden und Menschen erobern nun auch Moose das All. Joséphine Marfurt

Sind wir nicht alle ein bisschen Moos?

Es ist die vielleicht aufsehenerregendste Medienmitteilung der vergangenen Jahrzehnte: Die Uni Zürich setzt Moos im Weltall aus. Ja, Moos. Versuche einer Erklärung.

25. Oktober 2014

24. Juli, Viertel vor drei Uhr morgens. Der Countdown läuft. Im Kosmodrom Baikonur (Kasachstan) ist es windstill. Versorgungsflug 56P macht sich auf den Weg Richtung internationale Raumstation ISS. In den vier Brennkammern der Sojus-Rakete vermischen sich Kerosin und Sauerstoff und reagieren exotherm. Mehrere Megajoule pro Sekunde, Tausende Grad heiss. Der Schub ist gigantisch, die Rakete beginnt sich zu heben. Schon bald erscheint sie nur noch als kleiner Punkt am Nachthimmel, 330 Kilometer weit weg. Im In­stitut für Pflanzenbiologie der Uni Zürich öffnet Professor Ueli Grossniklaus eine Flasche Sekt. Denn er durfte mithelfen, die Weltraumkoffer zu packen.

Altbekanntes Gewächs

Neben Beuteln mit Weltraumfutterpasten hütet der Versorgungsflug 56P noch ein besonderes Geschenk für die Kosmonauten 500 Kilometer weiter oben. Die Unis Zürich und Potsdam haben ein Päcklein geschnürt aus Pilzen, Bakterien und Algen. Das sind zwar alte Bekannte im Vakuum Weltraum, aber es steht noch eine echte Premiere an. Zum ersten Mal dürfen auch Moose mit nach oben. Eines davon ist das Moos des Jahres 2013: das Brunnenlebermoos. Extrem belastbar, bestens erforscht. Auf der Erde wuchert es überall, von den Tropen bis in die Arktis, und verlangt für sein Gedeihen nicht mehr als ein wenig Luftfeuchtigkeit. Den Moosen beigepackt ist ein Leitfaden, der sicherstellt, dass mit dem Gewächs auch wissenschaftlich umgegangen wird. Viel Forschungs-, sprich Steuergeld ist hier im Spiel, und die weit oben rumfliegenden Kosmonauten haben keine Zeit für Spässchen.

Aber was machen die überhaupt mit dem Moos? Im schlimmsten Fall verreckt es elendiglich, aber da weder ein Empfindungs- noch ein Nervenapparat vorhanden ist, wird niemand weinen. Im besten Fall allerdings gedeiht es in völliger Schwerelosigkeit innerhalb der ISS. Nicht gerade so unwirtlich wie das Weltall, aber doch unter extremen Bedingungen. Wem bringt das was?

Weg vom Blauen Planeten

Um dies nachzuvollziehen, muss man wissen, dass jeder Mensch auch ein bisschen Moos ist. Was uns zu Lebewesen macht, unsere DNA, macht auch die Moose «läbig». Die Uni Freiburg hat vor ein paar Jahren sogar menschliche Gene in die moosige Erbsubstanz eingeschleust und beobachtet, wie sie sich frei entfalten. Das Moos steht nahe am Beginn einer evolutionären Kette, an deren Ende der Mensch steht.

Unsere Zeit hier auf Erden ist begrenzt. Sollten die gängigen Ressourcen wider Erwarten bis dahin ausreichen, macht uns irgendwann ein aggressiver Sonnenwind, ein eruptierender Riesenvulkan oder unsere eigene Streitlust den Garaus. Irgendwann müssen wir weg von dieser Kugel. Das Universum ist aber ein gar unmenschlicher Ort. Vielleicht werden meine Nachfahren dereinst ihre Morgenzigarette auf dem Mars rauchen. So absurd es klingt: Grossniklaus’ Forschung ist Teil einer langen Reihe von Forschungsprojekten, die genau das dereinst möglich machen könnten. Wenn wir es nicht wenigstens ausprobieren, werden wir die Unmöglichkeit von extraterrestrischem menschlichem Leben immer nur behaupten können. Schritt für Schritt schreitet die Forschung den Stammbaum irdischer Fauna hoch. In ein paar Jahren sind dann die Würmer dran, Herr Hengartner! ◊