Der Weg zum fertigen Medikament: Von der Grundlagenforschung...

Pharma-Forschung: Wer gewinnt?

An der Uni wird für die Medizin der Zukunft geforscht. Davon profitieren die Kranken am wenigsten.

25. Oktober 2014

19'000 Franken für eine Packung Pillen. Mit dieser Zahl schockierte ein US-Konzern unlängst, als er ein neues Hepatitis-C-Medikament präsentierte. Fast unbezahlbare Therapien werden immer normaler. Hohe Preise für Pharmazeutika sind für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten ohnehin Alltag. 2012 gaben wir durchschnittlich 560 Franken pro Kopf für Medis aus. Wie kommen Medikamentenpreise zustande? Was für Forschung steckt dahinter? Und wer profitiert? Die ZS geht auf Spurensuche.

Diese führt an den Anfang jeder Pharmaforschung: ins Labor. Professor Andreas Plückthun ist Biochemiker an der Universität Zürich. In den 1990er Jahren gelang seinem Team, was zuvor für unmöglich gehalten worden war. Sie entwickelten sogenannte «DARPins» − Designed Ankyrin Repeat Proteins. Die Eiweisse an sich können nichts, doch binden sie zuverlässig und hoch-spezifisch an eine gewünschte Zelle, erklärt Plückthun. «Gelingt es uns, dem Protein eine toxische Substanz anzubinden und diese auf kranke Zellen loszulassen, dann können wir ganz präzise Waffen schaffen.» Klingt kompliziert. Doch diese Erfindung hat den Forschenden nicht nur akademische Lorbeeren beschert – sie haben damit auch den finanziellen Jackpot geknackt.

Kühl kalkuliert

Künstliche Proteine, die therapeutisch eingesetzt werden können, locken Pharmafirmen an wie Nektar die Bienen. Aber die Industrie denkt wirtschaftlich und kalkuliert kühl. «Die Pharmaindustrie hat eine extreme Aversion gegen Risiken», sagt Plück­thun. Das sei verständlich, schliesslich stünden immer Arbeitsplätze auf dem Spiel. Also will die Pharmaindustrie erst dann investieren, wenn Erfolg garantiert ist. Deshalb habe sich die Industrie immer mehr aus der universitären Forschung zurückgezogen, meint Plückthun. In den 1990er Jahren überwiesen die Basler Pharma-Multis noch Mittel an die Universität Zürich, ohne sie an ein vorgegebenes Projekt zu binden. Vor 15 Jahren stoppten sie die diffusen Investitionen. Dies stellte die Forschenden vor ein Problem: Wer finanziert die Labore? Wer bezahlt die Löhne?

Seit jeher hat der Staat seinen Beitrag geleistet. Plückthun meint gar: «Ohne den Staat gäbe es keine verrückten Ideen. Ohne den Staat könnten wir Forschenden keine Visionen verfolgen.» Das heisst, der Kanton, der Bund, der Nationalfonds und Innovationsprogramme bilden das Fundament, mit dem Grundlagenforschung möglich ist.

Aber ohne das Geld der Pharma bleibt eine Lücke zwischen dem theo­retisch Machbaren und dem finan­ziell Interessanten. Diese Lücke füllt heute der Biotech-Sektor aus. Dieser wächst rasant; 2015 dürfte sich der Umsatz in der Branche weltweit auf rund 150 Milliarden Franken belaufen.

Starke Partner

Konkret besteht der Biotech-Sektor aus Spin-off-Firmen, welche aus Forschungsprojekten entwachsen. Aus Forschung Geld zu machen, ist indes nur möglich, wenn die Erfindungen mit Lizenzen geschützt werden. Die Unis geben diese meist exklusiv zur kommerziellen Nutzung an ihre Spin-off-Firmen weiter. Es können also nur die Entdecker selbst verdienen. Alle Anderen haben nicht das Recht, die Technologie zu Geld zu machen.

Plückthun gründete 2004 gemeinsam mit Doktorierenden der Universität Zürich die Firma «Molecular Partners». Diese arbeitet exklusiv mit der Technologie der DARPins. Mittlerweile zählt der Betrieb 75 Mitarbeitende und will Ende Oktober an die Schweizer Börse gehen. Die Wirtschaftsredaktorinnen und -redaktoren der «Neuen Zürcher Zeitung» spekulieren seit Wochen darüber, wie viel Gewinn die Firma erzielen wird. Nach neuesten Schätzungen wäre das Unternehmen an der Börse rund 647 Millionen Franken wert. Ganz grosses Geld für ganz kleine Proteine. Wertvoll ist das Unternehmen jedoch nicht nur wegen seiner aussichtsreichen Technologie, sondern weil es dem Spin-off gelungen ist, zwei Pharma-Riesen an Bord zu holen: zum Einen Allergan (Umsatz 2013: 5,9 Milliarden Franken) und zum Anderen Roche (Umsatz 2013: 46,8 Milliarden Franken). Mit Allergan entwickelt «Molecular Partners» ein Medikament, mit welchem Makula-Degeneration, eine Augenerkrankung bei älteren Menschen, behandelt werden kann. Erkrankte Menschen verlieren immer mehr Funktionen der Netzhaut, die Sehqualität nimmt dadurch ab. Mit dem Medikament auf Grundlage der DARPins müssten die Patienten deutlich weniger häufig behandelt werden. Mit Roche ist die Firma daran, neue Wirkstoffe gegen Krebs zu entwickeln, um in Zukunft Tumorzellen selektiv abtöten zu können.

Hunderte Millionen von Franken

Bis ein Medikament jedoch bis zur Konsumentin gelangt, dauert es im Schnitt acht bis zwölf Jahre. In dieser Zeit muss eine Innovation von der Grundlagenforschung bis zum Produkt mehrere Stufen durchlaufen. Gelingt im Labor eine Entdeckung, so muss diese Forschung vertieft werden. Ist das Potenzial für ein Medikament vorhanden, folgen klinische Studien in drei Stufen. Diese kosten Hunderte Millionen von Franken. Daher müssen sich Biotech-Firmen starke Partner in der Pharmaindustrie suchen. Wittern diese die Chance, mit dem Mittel später Gewinne zu erzielen, investieren sie. Besteht das Produkt alle Tests, gelangt es mit dem Segen der «European Medicines Agency» auf den Markt. Plück­thun fasst diesen Kreislauf wie folgt zusammen: «Die Pharmaindustrie macht die Produkte von heute, Biotech-Firmen die Produkte von morgen und wir an der Uni die von übermorgen.»

Die Forschung hat Geld, die Kranken bekommen wirksame Medizin. Wo liegt also das Problem? «Man kann hinterfragen, ob die Gewinne dort liegen, wo sie sollten», sagt Plückthun und spricht damit die enormen Ausgaben für Pharmawerbung und die Entlöhung einiger Manager an. Doch auch Plückthun verdient an seiner Erfindung. Als Verwaltungsratsmitglied ist er finanziell am Erfolgsprojekt «Molecular Partners» beteiligt. Als Leiter des Labors erhält er aus den Lizenzeinnahmen zudem einige Drittmittel für seine Forschung, die laut Plückthun aber nur einen sehr kleinen Teil seiner gesamten Drittmittel ausmachen. Aber er beteuert, nicht aus finanziellen Gründen zu forschen. «Eine Kommerzialisierung interessiert mich nicht als Motivation. Sie ist nur ein schöner Nebeneffekt. Es ist einfach extrem cool, etwas zu machen, was noch niemand zuvor gemacht hat.» Plückthuns Hoffnung ist, dass durch die Profite in der Pharmaindustrie neue Forschung angekurbelt wird.

Unbestritten ist, dass die Pharma viel Geld in Forschung investiert, wenn auch gezielt und nicht mehr diffus. 2008 flossen in der Schweiz gesamthaft 16 Milliarden in die Entwicklung neuer Medizin.

70 Prozent davon kamen aus der Privatwirtschaft. Der Anteil von Bund und Kantonen betrug nur 23 Prozent. Zu wenig, meint Plückthun: «Wenn der Staat klug wäre, würde er erkennen, dass Forschungsmittel gut investiertes Geld sind.» Der Bund könne mit mehr Ausgaben auch mehr profitieren, denn das Geschäft mit der Medizin sei ein lukratives. Die Universität erhält Geld vom Bund und auch am Schluss des Prozesses fliessen Gelder aus erfolgreichen Geschäften zurück. Einkünfte aus erfolgreichen Produkten werden an der Uni Zürich zu je einem Drittel an die Erfinder, die Leitung der Forschungsstelle sowie die Universität verteilt. Je mehr der Bund investiert, desto mehr kontrollierbare Drittmittel fliessen wieder an die Uni zurück. 2013 wurden in Zürich 566 Verträge zu Forschungsprojekten abgeschlossen. Aus der Zusammenarbeit mit externen Partnern flossen im selben Jahr 57 Millionen an die Universität.

Und wir?

Ungeklärt bleibt die Rolle der Konsumierenden. Wen oder was bezahlen wir, wenn wir Aspirin kaufen? Die offensichtliche Antwort ist, dass unser Geld an die Pharma-Firmen geht. Nicht ganz so offensichtlich ist, dass die Bürgerinnen und Bürger indirekt doppelt bezahlen. Denn mit den Steuern leisten sie auch ihren Beitrag dazu, dass der Bund die Forschung mitunterstützen kann. Ist ein Produkt auf dem Markt, gehen die Verhandlungen zwischen Firmen, Krankenkassen, Bund und Konsumierenden erst los. Das Parlament legt bei gewissen Medikamenten die Preise fest und der Bundesrat bestimmt, welche Medikamente von den Krankenkassen bezahlt werden müssen.

Die Stiftung für Konsumentenschutz kritisiert die Festlegung der Preise durch die Politik. Die Medikamente seien in der Schweiz deutlich zu teuer, findet Ivo Meli, Projektleiter Gesundheit: «In politischen Debatten wird oft erfolgreich argumentiert, man dürfe die Preise nicht zu stark senken, um die hiesige Pharmaindustrie zu schützen.» So finanzieren die Patientinnen und Patienten den Pharma-standort Schweiz. Dabei sei dies gar nicht notwendig, da zwei Drittel der in der Schweiz konsumierten Medikamente im Ausland hergestellt würden, meint Meli. Schaut man sich die gigantischen Gewinne der globalen Konzerne an, so scheint diese Argumentation ohnehin unglaubwürdig. Im Kreislauf der Medikamentenproduktion profitieren finanziell also alle Beteiligten – ausser wir, die Kosumentinnen und Konsumenten.

Niemand behauptet, das System sei perfekt. Doch angesprochen auf die profitschlagenden Firmen sowie die doppelt zahlenden Konsumierenden fragt Plückthun: «Was ist die Alternative?» Eine entwaffnende Antwort. Es wird wohl kaum jemand dagegen sein, dass Forschende innovativ arbeiten können. Aber wie könnte das Gesundheitswesen weniger hierarchisch gestaltet werden, sodass die Pharmaindustrie die Medikamentenpreise in der Schweiz nicht weiterhin künstlich hoch halten kann? Wie kann mehr Unabhängigkeit von Unternehmen geschaffen werden? Dies werde sich alles nicht ändern, meint Meli, solange «die Industrie grossen Einfluss auf Politik und Verwaltung hat». ◊