Die UNO im Kleinformat: alles nur für den Lebenslauf? Sina Jenny

Der Simulationsverein

Studierende treffen sich in ihrer Freizeit, um «Vereinte Nationen» zu spielen.

25. Oktober 2014

Kurz nach sieben Uhr abends sitzen etwa 40 Studierende in den Reihen. Dabei ist die reguläre Vorlesungszeit schon längst vorbei. Im kahlen Seminarraum herrscht ein Stimmengewirr aus Englisch und Deutsch. Vor jeder und jedem Anwesenden steht ein Papierschild mit einem Ländernamen. Dreimal knallt der Gerichtshammer, die Gespräche verstummen. Die Sitzung der MUN ist eröffnet.

MUN, das steht für «Model United Nations». Die ersten Debattier-Vereine dieser Art gab es bereits in den 1920er Jahren, also schon vor der Gründung der UNO. Ihr Ziel ist es, eine Diskus­sionsplattform zu schaffen und das Verständnis für die Probleme und Situationen anderer Völker zu fördern. Den Zürcher Uni-Ableger gibt es seit 2007. Er zählt etwa 50 Mitglieder. Doch was macht dieser Verein da eigentlich?

Sie spielen UNO – allerdings nicht das Kartenspiel. Sie imitieren die Vereinten Nationen: Jeder und jede wählt ein Land und recherchiert über dessen politische Ansichten und Einstellungen. Diesen Monat geht es um den Islamischen Staat (IS). Sie sollen herausfinden, wie man gegen den Terror vorgehen kann und wie mit den Flüchtlingen umzugehen ist.

Konzentrierter als in der Vorlesung

Nach dem Anwesenheitsappell beginnen die zweiminütigen Eröffnungsreden. Darin umreissen die Delegierten den Standpunkt ihres Ländes. So ruft der Abgesandte Syriens in seiner Rede voller Inbrunst: «Let’s not repeat history by letting the USA intervene in Syria!» Zwei Vorsitzende sorgen dafür, dass die Regeln eingehalten werden und niemand länger spricht als erlaubt. Je nach rhetorischen Fähigkeiten wird mehr oder weniger konzentriert zugehört. Trotzdem ist es ruhig und die Aufmerksamkeit höher als in so mancher Vorlesung. Später gibt es noch die Möglichkeit, über Details zu diskutieren oder einen sogenannten «unmoderated caucus» durchzuführen. Das ist die einzige Chance auf eine Pause. Die Raucher sind erleichtert.

Lebenslauf aufbessern

Aber was bewegt Studierende, Diplomaten von Ländern zu mimen, mit denen sie nichts zu tun haben? «Durch die MUN können Studis nicht nur ihre Redekunst verbessern, sondern sie lernen auch Leute kennen, besonders aus den Studiengängen der Rechts- und Politikwissenschaft», erklärt eine der fünf Frauen des Vorstandes. Eine Masterstudentin, die zum zweiten Mal an einer MUN-Sitzung teilnimmt, nennt einen weiteren Grund: «Ich bin hauptsächlich hier, um meinen Lebenslauf aufzubessern.» Irgendwie müsse man sich ja von den Massen an Jobsuchenden abheben.

Es gibt auch die Chance, sich für internationale MUN-Treffen zu bewerben und sich dort mit Leuten aus der ganzen Welt auszutauschen. So können die ausgewählten Delegierten für wenig Geld nach Brüssel, Oxford oder New York reisen. Der Fokus bei diesen Treffen liegt auf den politischen Debatten, doch auch das Amüsement kommt nicht zu kurz. «You don’t want to miss the party on the last day, it’s the best thing», wirbt die Verantwortliche für das Treffen in Nottingham und erntet dafür Beifall.

Es ist stickig im Raum, die Konzentration ist beinahe ganz verflogen. Dem Delegierten der Slowakei hört man kaum mehr zu. Die USA lenken sich kurzzeitig auf Facebook ab, während die Türkei Briefchen mit Marokko und Italien tauscht.

Um neun Uhr wird die Sitzung geschlossen. Und wer noch nicht genug zum Reden gekommen ist, geht auf ein Bier ins nächstgelegene Pub.◊