ZFF

Mitleid für Mörder

Jugendliche Mörder erzählen von ihren Taten. Dreissig Jahre später sucht Regisseur Marcell Gerö die Ex-Häftlinge auf. Und zeigt was aus ihnen geworden ist. Ein ungarisches Werk aus der Kategorie International Documentary des Zürich Film Festivals 2014.

30. September 2014

Pali war 15 Jahre alt als er seinen Vater erschoss. Dreissig Jahre später sitzt er in seiner ärmlichen Wohnung in Ungarn und blickt mit leeren Augen in die Kamera. «Ich weiss nicht warum ich es getan habe. Ich war noch ein Kind.» Dann erdrückendes Schweigen.

Brutale Offenheit

Regisseur und Drehbuchautor Marcell Gerö beleuchtet in seinem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm «Kain Gyermekei» das Leben von Kriminellen. Er erzählt die Geschichte von drei Mördern, die ihre Jugend im Gefängnis vom kommunistischen Ungarn verbrachten. Seine ursprüngliche Idee war es einen fiktionalen Spielfilm über ein Gefängnis zu drehen. Bei der Recherche stiess Gerö auf einen Dokumentarfilm aus der kommunistischen Zeit Ungarns. In Archiv-Videoaufnahmen sprechen inhaftierte Jugendliche über ihre Straftaten. Der 15-jährige Pali erzählt, wie er auf seinen Vater gewartet hat und mit der Waffe auf ihn zielte. Er wollte ihn nur erschrecken. Der 14-jährige Joszef stach mit einem Messer auf seinen Lehrer ein. Es passierte in einem Streit, den der Jugendliche nicht gewinnen konnte. Zsolt tötete seinen Schulkollegen. Als er ihn mit seiner eigenen Mutter im Bett vorfand. Mit brutalen Ehrlichkeit und Selbstverständlichkeit sprechen die jungen Knaben über ihre Taten. Dreissig Jahre danach machte sich der Regisseur auf die Suche nach den drei Männern, die ihre Strafen abgesessen haben. Und interviewte sie nochmals.

Fürs Leben gezeichnet

Das Resultat geht unter die Haut. In unglaublicher Nähe an den Personen und einer erschreckenden Offenheit erzählen die Männer von ihren Taten. Wir sehen wie sie heute leben. Wie sie in der Gesellschaft einen Platz suchen. Oder nicht finden. Wie sie unter den eigenen Taten leiden. Im Wechselspiel zwischen den alten Archiv-Aufnahmen der Jugendlichen und den neuen Interviews mit den Erwachsenen erfahren wir nach und nach mehr über die Taten und die Umstände, die sie dazu führten. Wir sehen die Familien, die von der Straftat gezeichnet sind. Inmitten der ärmlichen Umstände von ländlichen Gegenden Ungarns. Die Häuser scheinen auseinander zu fallen. Die Menschen sind gebrochen.

Distanzprobleme

«Ich gebe zu, dass ich etwas ängstlich war, vor meinem ersten Treffen mit Pali. Ich habe noch nie mit einem Mörder gesprochen», erzählt Regisseur Gerö. Nachdem er die ehemaligen Häftlinge endlich gefunden hatte, musste er erstmals deren Vertrauen gewinnen. Nicht alle seien von Beginn an begeistert gewesen von der Idee, im Film mitzumachen. In langen Gesprächen überzeugte er sie von seinen guten Absichten. So waren auch die drei Protagonisten die ersten, die den fertigen Film zu Gesicht bekamen. Gerö war es wichtig ihr Einverständnis zu haben. Während der intensiven Dreharbeiten seien sogar Freundschaften entstanden. Gerö erzählt, dass es für ihn eine sehr emotionale Arbeit gewesen sei und er Distanzprobleme hatte. «Die gefilmten Menschen in ihrem Elend zu sehen ist schwierig gewesen,» erzählt er gerührt. Doch auch finanzielle Unterstützung würde diese nicht aus ihrer kulturellen und emotionalen Umgebung befreien. Es sei ein Teufelskreis, in dem sie leben, und aus dem kein Entkommen scheint. Vor allem die Arbeit mit den Kindern, die im Film mit Palis Kindern und Halbgeschwistern vorkommen, hat den Regisseur sehr berührt und auch traurig gestimmt. Die neue Generation erbt die Sünden der Eltern. Sie hat diese wie eine Last zu tragen, meint Gerö. Und es sei schwer sich davon zu befreien.

Das Bild, das man von den Verbrechern hat, verändert sich stetig während dem Film. Ist man anfangs noch geschockt und befremdet über ihre Taten, werden allmählich so viele Hintergründe und Umstände beleuchtet, dass am Schluss ehrliches Mitleid bleibt. Für Mörder. Und das überrascht einem selbst.