Peter-Paul Bänziger forscht an der Uni Basel. Isabelle Rüedi

«Wir müssen alle fit sein»

Studierende müssen einen klugen Kopf und einen durchtrainierten Körper haben. Der Historiker Peter-Paul Bänziger erklärt, warum.

18. September 2014

Herr Bänziger, wir Studierenden müssen nicht nur klug, sondern auch schön, sexy und fit sein. Zwingt uns die Universität dazu?

Ja, es gibt die Aufforderung an die Studierenden, fit zu sein. Aber auch wir Forschenden sollen nicht träge sein. Zugespitzt gesagt: Wir werden ganz allgemein zu Menschen erzogen, die fit sein sollen und wollen.

Aber wir haben ja keine andere Wahl, als fit zu sein. In die Hörsäle an der Universität Zürich passen keine Menschen hinein, die übergewichtig sind.

Ich denke, das ist ein anderer Ansatz als die Aufforderung, fit zu sein. Gewisse Hörsäle in Zürich sind für alle unbequem. Wir haben hier eine klassische disziplinierende Bestuhlung, wie wir es von den Schulbänken des 19. Jahrhunderts kennen. Das ist eine repressive Strategie. Sie zwingt die Körper dazu, da hineinzupassen.

Wir haben also das Gefühl, dass wir freiwillig fit sein wollen, obwohl eine repressive Strategie dahintersteckt?

Es handelt sich um unterschiedliche Formen der Menschenführung. Die Universität lehrt uns, dass es wichtig ist, auf einen fitten Körper zu achten. Wir lernen, dass wir unsere ganze Person vermarkten müssen, da wir ständig begutachtet werden. Insofern wirken die disziplinierenden Bestuhlungen antiquiert. Wenn wir aber andere öffentliche Architekturen betrachten, beispielsweise im Sozialbereich, sieht es anders aus. Den Betroffenen, das heisst insbesondere den «unteren» Klassen, wird hier bewusst auch mit disziplinierenden Massnahmen zu Leibe gerückt.

Sie gehen also davon aus, dass es untere und obere Klassen gibt?

Ich denke, dass man über den Klassenbegriff auch heute noch viel erklären kann. Wir leben in einer Gesellschaft, die dem Einzelnen viel Eigenverantwortung abverlangt. Das Wissen, wie man sich zu verhalten hat, spielt hier eine wichtige Rolle. Die oberen Klassen lernen etwa von klein auf, dass es wichtig ist, seinen Körper auf eine bestimmte Weise zu präsentieren. Das Verhalten anderer Klassen wird aus dieser Perspektive als defizitär dargestellt. Sie müssen dann quasi zum «Guten» gezwungen werden.

Lässt sich die Ökonomisierung des studentischen Körpers an einem Beispiel hervorheben?

Wir können uns zum Beispiel den ASVZ anschauen und fragen, wie hier der Körper angerufen wird. In einem Interview auf der Homepage des Akademischen Sportverbands wird etwa gefragt, ob sich die Studierenden denn genügend bewegen.

Warum ist der Körper gerade an einem Ort wie der Universität so wichtig?

Produktivität war lange hauptsächlich körperlich gedacht. Heute hingegen ist klar, dass auch Denken produktiv ist. Es geht an den Universitäten nicht mehr nur um Bildung. Wissen soll vor allem verwertbar sein. Die Produktion dieses Wissens ist kein Sonntagsvergnügen, sondern harte Arbeit.

Das heisst, wer Wissen produziert, muss auch fit sein?

Wir können zumindest feststellen, dass ökonomische Argumente in der Wissensproduktion wichtig sind. Damit wird die körperliche Leistungsfähigkeit von Wissenschaftlern stärker betont.

Universitäre Arbeit zielt also auf eine Verwertbarkeit von Wissen. Kommt dieses Phänomen auch ausserhalb der Universität vor?

Natürlich ist das Teil einer gesellschaftlichen Transformation. Hier in der Schweiz ist Arbeit mittlerweile oftmals gleichbedeutend mit Wissensarbeit.

Wir sind also alle von diesem Phänomen betroffen?

Ich glaube, dass wir alle von der Aufforderung betroffen sind, fit zu sein. Der hegemoniale Körper ist nicht mehr der Zigarren rauchende Herr im Anzug mit Vorzimmerdame. Er ist eine Person, die fit und gut gekleidet ist und sich zu präsentieren weiss. Ich habe zum Beispiel untersucht, wie Menschen auf Plakaten der Aidskampagnen dargestellt werden. In den 1980ern waren dort Durchschnittstypen abgebildet. Im Verlauf der 1990er und 2000er wurden die Gesunden dann immer schöner, fitter und sportlicher.

Das heisst: Gesund sein allein reicht nicht mehr?

Genau. Ein gesunder Körper ist nicht mehr der nicht kranke, sondern der sich mit bestimmten Zeichen als fit präsentierende Körper. Das kann man an diesem Beispiel ganz deutlich sehen.

Spielt da auch ein Schönheitsideal eine Rolle?

Ein schöner Körper ist heute ein fitter Körper. Das war nicht immer so. So sehen wir etwa in den Bildern Rubens’ andere Schönheitsideale, die bei uns heute auf Unverständnis stossen würden. Es gibt zwar ästhetisierende Techniken, die auch Körper schön machen, welche nicht fit sind. In einem Modekatalog, den ich letztens durchgeblättert habe, waren auf der letzten Seite Mammut-Rucksäcke abgebildet. Das ist schon ein Hinweis darauf, dass jemand, der im Sinne dieses Magazins schön ist, sich mit Accessoires schmücken soll, die für Aktivität und Fitness stehen.

Ist das ein globales Phänomen, oder gibt es einen spezifischen Schweizer Körper?

Wir haben in der Schweiz eine Verknüpfung von Fitness, Gesundheit und bäuerlichem Körper, die es in anderen Ländern nicht gibt. Das können zum Beispiel diskriminierende Diskurse aufgreifen: Alle anderen Körper können so als «unschweizerisch» dargestellt werden.

Kommen wir zu Ihrem Forschungsgebiet «Körpergeschichte». Was ist das?

Es gibt ganz verschiedene Vorstellungen davon, was Körpergeschichte sein kann. Ich gehe in meiner Forschung davon aus, dass es so etwas wie «den Körper» nicht gibt. Wir werden in eine bestimmte Situation hineingeboren und entwickeln unsere Körper im ständigen Austausch mit der uns umgebenden Gesellschaft. So fragt Körpergeschichte, wie sich Körper über die Zeit in verschiedenen Kontexten verändern. Ein bekanntes Beispiel ist das Verhältnis von Körper und Seele. Hier gehen wir etwa der Frage nach, seit wann sich der Mensch als psychisches Wesen verstand.

Und wie definieren Sie den «Körper»?

Was der Körper ist, kann immer nur im jeweiligen historischen Kontext bestimmt werden. Streng genommen lässt sich deshalb nicht in jeder Gesellschaft von Körpern sprechen. Es muss irgendein Konzept vom Körper vorhanden sein.

Untersuchen Sie vor allem Texte oder auch bildliche Quellen?

Das ist immer eine Frage des Materials. So können wir uns ganz klassisch mit Texten befassen. Doch in den letzten Jahren sind vermehrt Bilder und Filme in unseren Fokus gerückt. Gerade bei dem Thema «Was sind schöne Körper?» werden viele Vorstellungen über Bilder produziert. ◊