Manson. zfv

Wie geht's dir, Rock'n'Röllchen?

15. September 2014

Marilyn Manson und Turbonegro am Openair Gampel 2014

Der Rock'n'Roll erblickte Mitte des letzten Jahrhunderts das Licht der Welt als einzig gangbarer Ausweg aus dem Dilemma der bürgerlichen Prüderie, in das sich die Menschheit hineingeritten hatte. Chuck Berry, Elvis und Co. machten den Anfang in den USA, bald darauf waren auch in Europa die gutbürgerlichen Eltern schockiert, dass ihre Töchter zu den Beatles tanzten und ihre Söhne zu den Kinks abhängten und über Bob Dylan philosophierten. Musik war schon immer sublimierte Libido, der Rock aber zeitigte den Eros bisher unerreicht pur on the Rocks, vermischt noch mit in die Gitarrensaiten gehauener Aggression. Weil die bürgerliche Kultur auf die Fragen des Geschlechtslebens und des Rausches mit (Ver-)Schweigen antwortete und das Leben comme il faut äusserst öde zu werden versprach, musste die Rockmusik in die Bresche springen und mittels Lyrics und Lifestyle alternative Formen des Lebens und Liebens hervorbringen. Die Jugend lernte durch die Musik das Träumen, und hatte nicht vielleicht Rock'n'Röllchen die Kids zu realitätsfernen politischen Forderungen inspiriert? ('I want it all and I want it now', Queen). Wie dem auch sei, die Rockmusik regte zumindest an, die Dinge kritisch und nonkonform zu sehen; sich vorzustellen, dass man ein völlig anderes Leben führen könnte mit bisher unvorstellbaren Freiheiten. Und spätestens seit Hendrix konnte kein musikalischer Zeitgenosse mehr leugnen, dass an den Stromgitarren hohe Musikgeschichte geschrieben wird.

So weit, so gut. Nun aber die Frage: Wie geht's dir heute, Rock'n'Roll? Auf der Suche nach einer Antwort ist man gut beraten, ans Openair Gampel zu fahren – die Walliser buchen seit Jahren einige der weltweit wichtigsten Rockbands. So in den vergangenen Jahren die Queens of the Stone Age, die Foo Fighters und Tenacious D. An der diesjährigen «iischi Party» bekam man an demselben Abend zwei ganz unterschiedliche Rock-Acts zu sehen: Marylin Manson und Turbonegro. Zu Manson lässt sich ein deutliches Fazit ziehen: Die Sache ist gelaufen. Der Skandalrocker schockierte einzig als kränkliche Erscheinung ohne Ausstrahlung. Einst sorgte Manson als Kunstfigur der Tabubrüche für Aufregung und rüttelte die steife amerikanische Popkultur auf. Heuer fluchte er nurmehr über die Veranstalter des Festivals, die ihn eingeladen hatten (der Bühnensound passte ihm nicht) und wirkte dabei eher wie ein quengeliges Kind als wie ein subversiver Kritiker. Manson schmiss Dutzende von Mics und Monitoren auf der Bühne rum, schnauzte seine Musiker an und krächzte zwischendurch einige seiner Hits durchs Rhonetal, derweil sich im verblüfften Publikum Ernüchterung breitmachte. Man hatte unweigerlich das Gefühl: Die Musik ist nur Nebensache. Manson hatte wohl seine grosse Zeit als Künstler, der schockieren konnte, aber sein Auftritt am Gampel war nur noch peinlich.

Was der Rock und die damit verbundene Kultur heute wieder braucht, ist Stil. Und den haben Turbonegro. Offenbar wissen sie das selbst, denn die «Apocalypse Dudes» liessen «Nobody Does It Better» aus dem Bond-Film «The Spy Who Loved Me" einspielen und verwiesen so auf einen anderen Draufgänger mit Klasse. Im Verlaufe eines gutgelaunten Konzertes konnten die Norweger weit über ihre Fanklub-Members in den Denim-Jacken hinaus das Publikum begeistern mit ihren harten und schnellen Mitsing-Knüllern wie «All My Friends Are Dead», «High on the Crime» oder «You Give Me Worms» vom neuen Album. Turbonegro stehen für titanisch unsinnig-unkorrekte Texte und bretterharten Punkrock. Aber im Gegensatz zu vielen Punk-Bands erster Stunde wissen sich die Turbos zur Inspiration meisterhaft aus der gesamten Rockgeschichte zu bedienen, was sie mit einem vergnüglichen Cover von «Money For Nothing» (Dire Straits) unterstrichen. Der neue Frontmann Tony Sylvester brüllte «Give me friction, baby, and I like it» und tänzelte über die Bühne, während Gitarrenheld Euroboy von Schlagzeug sprang. Wenn man Turbonegro eine Stunde lang zuhört und zusieht, bestehen am Ende keine Zweifel, auf welchem Fundament diese Band steht – und auch diese Erkenntnis wurde mit einem Einspieler am Ende der Show bestätigt: «We Built This City on Rock'n'Roll».