Editorial #3/14

Editorial

6. Mai 2014

Zukunft — Die Universität Zürich feiert zurzeit hundert Jahre Hauptgebäude. Sie liess sich das Jubiläum 600 000 Franken kosten: Ein Musiker hat ein Stück komponiert, eine Ausstellung wurde zusammengestellt, ein Buch geschrieben. Es wirkt so, als hätte die Uni Angst, wir würden das Haupt­gebäude bereits jetzt vergessen.

In 64 Jahren wird der Campus Irchel hundert Jahre alt. Noch ist er der «hässliche Bruder» des Hauptgebäudes (Seite 16). Aber Fassade hin oder her, die Zukunft der Universität liegt nicht an der Rämistrasse. Der Irchel ist das heimliche Haupt­gebäude. Denn er beherbergt die exakten Wissenschaften, die Disziplinen der Zukunft.

Wissenschaftsforscher Michael Hagner meint, die Geisteswissenschaften seien immer dann stark, wenn die Gesellschaft in einer Krise nach einem Sinn suche (Seite 19). Aber wir erleben gerade die grösste Finanzkrise seit den Dreissigerjahren. Letztes Jahr waren in Griechenland weit über die Hälfte der Unter-25-Jährigen arbeitslos. Mehrere Staaten drohen noch immer, pleite zu gehen. Doch die Geisteswissenschaften schrumpfen. Die Krise wird uns in der Sprache der Naturwissenschaften erklärt: Toxische Papiere haben einen Tsunami in der Wirtschaft ausgelöst. Finanzspritzen werden verabreicht. Die Naturwissenschaften sind selbst­bewusst und wirken vertrauenswürdig. In der gegen­wärtigen Krise sind sie die starke Schulter zum Anlehnen. Die «hard sciences» sind stark, weil die Zeiten «hard» sind. Werden die Geisteswissen­schaften nicht mutiger, wird man sie nicht nur in Leipzig zu Grabe tragen (Seite 9).

Nina Kunz, Redaktionsleiterin