Protestierende tragen die «Volluni» Leipzig zu Grabe. Filmstill Online-Film

Kein Brot für Spiele

Theater und Archäologie sind in Leipzig bald Geschichte. Mit kreativen Mitteln protestieren die Studierenden gegen die Sparkeule des Freistaats Sachsen.

5. Mai 2014

«Gott ist schrecklich», hallt es blechern von der Fassade des MDR-Turms, des 142 Meter hohen Wahrzeichens von Leipzig. Es ist Mittwoch, zwei Uhr morgens und stockfinster. Einzig ein Zelt auf dem Platz neben dem Wolkenkratzer stört die Nachtruhe in der ostdeutschen Metropole. «Gott ist schrecklich», schreit es aus den Plachen wiederholt in die Finsternis hinaus. Mit Gott ist der sächsische Staat gemeint, der bis 2020 über 1000 Stellen an seinen Hochschulen abbauen will. Davon betroffen sind ganze Institute. So werden in Leipzig die Archäologie und die Theaterwissenschaft ersatzlos gestrichen. Der Schock sitzt tief – der Protest dagegen ist kreativ. So auch in dieser Nacht. Mit einer fünftägigen Dauerlesung demonstrieren Theaterwissenschaftler in einem windschiefen Zelt gegen die Exekution ihres Studiengangs.

Horváth die ganze Nacht

Darin sitzt auf einem ledernen Sofa der Sprecher der oben zitierten Worte. Er ist kaum zu sehen, hinter den zahlreich aufgetürmten Bierflaschen. Im Schein zweier spärlich leuchtender Lampen liest er aus Ödön von Horváths Klassiker «Jugend ohne Gott». Weiter hinten im Zelt sitzen auf einem vergilbten Sofa ein paar Studis, die mit Club Mate gegen die Müdigkeit kämpfen. Ihre Gesichter sind gezeichnet von zu wenig Schlaf.

Mit ihrem Protest wollen die Studierenden ein Zeichen setzen gegen die rigorosen Sparpläne des Freistaats Sachsen. Sie fordern den Erhalt der Theaterwissenschaft in Leipzig – des einzigen Instituts seiner Art in den neuen Bundesländern. Doch ihre Chancen stehen schlecht. Bereits für das kommende Herbstsemester wird die Theaterwissenschaft nicht mehr im Curriculum aufgeführt. Dehalb wollen sich die Studierenden mit vielfältigen Aktionen in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen. Eine Online-Petition gegen die Streichung von insgesamt 24 Stellen an der Universität Leipzig haben bereits 15 000 Personen unterschrieben.

Auf weit weniger Resonanz stossen die Studierenden heute Nacht. Einzig Jens, ein Flaschensammler um die 50, verirrt sich ins Zelt. Er hat ein altes, zerfleddertes Buch mitgebracht, das er dem Vorleser reicht. Dessen Cover ziert eine Frau mit entblösster Brust. Der Sprecher lässt sich nicht zweimal bitten und liest daraus vor. Um drei Uhr ist Schichtwechsel. Ein rassiger, ausgeschlafener Student mit Rundbrille und zurückgebundenen blonden Haaren reisst den Horváth an sich und rast mit unglaublichem Tempo durch das Werk des österreichischen Meisters.

Glaube keiner Statistik ...

Ähnlich zielstrebig geht die sächsische Regierung mit ihrem Kürzungsprogramm vor, das auf einer Statistik aus dem Jahr 2009 fusst. Diese prognostiziert für die kommenden Semester einen Rückgang der Studierendenzahlen. Eingetroffen ist das Gegenteil. Die sächsischen Hochschulen sind so populär wie nie. Trotzdem beharrt die Regierung auf dem rigorosen Stellenabbau. Dass die Statistik offensichtlich falsch ist, spielt dabei keine Rolle. Die Sparwütigen erhielten für ihr Treiben sogar Unterstützung von ungewohnter Seite. So erklärte jüngst die Rektorin der Universität Leipzig,

Beate Schücking, die Theaterwissenschaft sei ein Luxus, den man sich nicht mehr leisten könne. Doch gerade für diesen «Luxus» wollen die Studierenden weiter kämpfen – Chancen hin oder her.