Batushas Haus auf einem Hügel vor Prishtina wuchs in den letzten zwölf Jahren ins Unermessliche. Jan Gollob und Tino Glimmann

Batushas Castle

Zwei Architekturstudenten drehen einen Dokumentarfilm über einen Kosovaren, der seit zwölf Jahren an einem gigantischen Haus in den Hügeln von Prishtina baut.

5. Mai 2014

Der zweitjüngste Staat der Welt, günstiges Bauland und Rückkehrer, die mit etwas Geld in der Tasche ihren Traum verwirklichen wollen. Das sind die Zutaten für ein architektonisches Phänomen, das die beiden Architekturstudenten der ETH, Jan Gollob und Tino Glimmann, seit mehr als zwei Jahren beschäftigt. Kernstück ihres Kunst- und Architekturprojekts ist ein Dokumentarfilm über Kadri Batusha, der sich in den Hügeln ausserhalb Prish­tinas einen Betonpalast baut. Auf den ersten Blick mutet der riesige Komplex wie das Produkt bauwütiger Investoren an. Bilder der spanischen Costa Brava und deren verwaiste Hotelkomplexe gehen dem Betrachter durch den Kopf. Doch der ehemalige UÇK-Kämpfer ist kein Investor, oder genauer: nicht nur.

Jan und Tino reisten Ende 2011 mit der Absicht nach Prishtina, die Architektur zurückgekehrter Flüchtlinge zu portraitieren. Sie sahen in den Vororten der kosovarischen Städte Wohnhäuser, die die Rückkehrer nach dem Vorbild ihrer ehemaligen Asylstaaten bauten. Häuser, die an skandinavische Vorstädte erinnern, Quartiere, in denen man sich im Zürcher Oberland wähnt. «Diese Leute haben nicht einfach in ihrem Exil gelebt und kehren unverändert auf den Balkan zurück. Sie haben Eindrücke in ihre Heimat mitgenommen, die sich nun in ihrer Baukultur äussern», sagt Jan. «Man spricht viel davon, ob und wie stark sich Einwanderer auf unsere Kultur einlassen müssen. Dass bei einer Rückkehr viele dieser Eigenschaften aus dem Exil zurück nach Hause gebracht werden, geht oft vergessen».

Der wilde Osten

Dem seit 2008 unabhängigen Kosovo fehlt es an gesetzlichen Bestimmungen und Rahmenbedingungen wie Zonen- oder Richtpläne, die in anderen Ländern architektonische Auswüchse verhindern. Auch Architekten und Ingenieure kennt das Land kaum. Wer ein Haus bauen will, geht in den Baumarkt, kauft sich die Materialien, stellt Leute an und findet eine kreative Lösung, wie man beispielsweise eine Bodenheizung verbauen kann, erklären Jan und Tino. Man lernt von den Erfahrungen der Nachbarn, alles auf informellem Weg. «Viele haben ohne Baubewilligung angefangen zu bauen», sagt Tino. Die Parzellen werden bis an die Grenzen ausgenutzt. Konflikte sind, vor allem in dicht besiedelten Gebieten, vorprogrammiert.

Auch auf die Infrastruktur des Landes wirkt sich die Bauwut seiner Bürger unweigerlich aus. Die Kanalisation ist ständig überlastet, weil jeder sein Haus illegal anschliesst. «Die EU und die UN-Organisationen, die das Land zu Beginn aufgebaut haben, haben es schlicht verschlafen, Regelungen in diesen Bereichen zu schaffen», sagt Tino.

Die Bauvorgaben und Architekten, die in anderen Ländern beim Häuserbau als Filter wirken, fallen im Kosovo weg. Batusha treibt es mit seiner Identitätsfindung in Stahlbeton auf die Spitze: Er baut und baut und weiss selbst, dass sein Haus kein Ende haben wird. Bereits sind auch seine Söhne im Projekt involviert.

Dem Haus geht eine bewegte Biografie voraus. Als Jugoslawien 1991 in den Kriegswirren versank, flüchtete Batusha in die Schweiz und arbeitete jahrelang auf dem Bau. In der Oberländer Gemeinde Hinwil lebte er als Asylant mit seiner Familie; doch die Verbindungen zu seinem Heimatland hat er nie gekappt. Im Gegenteil: Er organisierte von hier aus den Kampf der UÇK, der kosovarischen Befreiungsarmee, mit und reiste später selbst an die Front.

Nach dem Kriegsende 1999 kehrte er in sein Heimatland zurück und startete ein paar Jahre darauf sein Bauprojekt. Batusha baut sein Haus, das inzwischen aus mehr als hundert Wohnungen besteht, nach Schweizer Standard. Oder was er darunter versteht. Die Schweiz wird zum Qualitätsmerkmal, zum Vorbild, obwohl einer Schweizer Behörde oder Ingenieuren bei seiner Planung die Haare zu Berge stehen würden.

Doch der Kosovo-Albaner ist mit Herzblut dabei. «Für Batusha ist seine Baustelle nicht einfach eine Arbeit. In seine Rechtfertigung für das gigantische Gebäude mischt sich immer die Analogie zum Kampf hinein», sagt Jan. «Der Befreiungskampf seines Volkes, die Aufgabe, das Land aufzubauen.» Auch Gedanken zum sozialen Wohnungsbau vermengen sich in seiner Rechtfertigung für die gigantische Siedlung, die in der Schweiz undenkbar wäre. «Hätte ich auf die Behörden gewartet, hätte ich nie gebaut», sagt Batusha im Büro seines Palastes.

Emotionaler Dreh

Im Frühjahr 2013 engagierten Jan und Tino vor Ort eine Filmcrew und drehten während 24 Drehtagen auf der Baustelle und dokumentierten das Leben Batushas. Die filmemachenden Architekten begleiteten den Bauherrn auch auf seiner ersten Reise zurück in die Schweiz. Seine damalige Schweizer Wohnung beherbergt heute ironischerweise Büros der Baupolizei. «Das war ein sehr emotionaler Moment für ihn. Er zeigte uns auch den Wald, aus dem er fast eine mystische Kraft für seinen Kampf schöpfte», erzählt Jan. Die Burgruine im Hinwiler Wald soll ihm als Vorbild für sein Haus gedient haben. «Man weiss nie, was von seinem Pathos tatsächlich stimmt. Aber weil letzten Endes ein Haus dasteht, muss man es ernst nehmen», sagt Jan.

Postproduktion mit Tücken

Ihr Film soll die diversen Aspekte ausleuchten: die Bewohner, die Bauweise, die Biografie Batushas. «Wir orientierten uns an Dokumentarfilmen, in denen Geschichten nur über Bilder erzählt werden», sagt Jan. Doch während der Postproduktion mussten sie feststellen, dass ihr Konzept Schwierigkeiten mit sich bringt. «Wir haben missachtet, dass solche Filme über einen extrem langen Zeitraum gedreht werden, damit die Geschichte erzählt werden kann», sagt Tino.

Einen längeren Dreh hätten sich die Studenten aber nicht leisten können. «Wir versuchen, den Film als eine Hausführung zu verstehen. Das scheint uns aufgrund des vorhandenen Materials besser mit der Geschichte des Hauses zusammenzuspielen.» Der Kommentar verbindet dabei die Fragmente, die Räume, den Entstehungsprozess. Ob das aufgeht, werden sie sehen. Auf ihrer Homepage informieren die beiden ETH-Studenten fortlaufend über den Verlauf des Projekts. Vor allem auch für ihre Geldgeber. Die Ernst-Göhner-Stiftung und Swisslos haben sich neben diversen Gemeinden beteiligt. Zudem haben sie auf der Crowdfunding-Platform wemakeit.ch mehr als 5000 Franken für das Projekt zusammengetragen. Neben dem Studium bleibt den beiden wenig Zeit, an ihrem Film zu schrauben. Im Spätsommer, so der Plan, wollen sie das Projekt aber abschliessen und bei Festivals einreichen.