Projiziert wird immer noch analog. Hanna Stoll

Abende zwischen Freude und Fiasko

Seit 1924 macht die Filmstelle an der Uni Kino für Studierende. Dabei ist ihre Geschichte selbst filmreif.

29. März 2014

Es ist das älteste und günstigste Kino Zürichs. Die Gründung der Filmstelle – damals noch Kino-Kommission der ETH – wurde aber nicht von einem Filmfan, sondern vom Botanikprofessor Karl Schröter initiiert. 1924 strahlte die Kommission denn auch keine Unterhaltungsfilme, sondern wissenschaftliche Filme aus, oft begleitet von Vorträgen. Der Zürcher Student, wie die ZS damals hiess, berichtete: «Die Veranschaulichung des Unterrichts am lebenden Modell ist nicht jedem Dozenten in seiner Vorlesung geboten und diese Lücke kann der Film ausfüllen.» Günstig waren die Vorführungen schon damals – externe Besucher zahlten zwei Franken, Studierende nur einen.

Am Preis hat sich bis heute wenig geändert. Studierende, die im VSUZH oder VSETH Mitglied sind, zahlen keinen Eintritt, für alle Anderen kostet er fünf Franken. Auch Vorträge sind bis heute Teil des Programms. Doch die Filme und Themen, die besprochen werden, sind der Botanik über die Jahre entwachsen. «Breaking Habits. Unkonventionelle Erzählkunst im Film» heisst der aktuelle Zyklus. Wie die Filmstelle von Pflanzen zur Erzählkunst kam, erzählt sich selbst als nicht selten filmreife Geschichte.

Krieg und Diebstahl

1932 floppte der erste Versuch der Filmstelle, Unterhaltungsfilme zu zeigen, weil wenige Besucher kamen. Einen zwei­ten Anlauf unternahm man 1940. Der bekannte Dadaist und Experimentarfilmer Hans Richter sollte einen «filmkundlichen Zyklus» mit Darbietungen begleiten. Die Politik machte dem Vorhaben jedoch einen Strich durch die Rechnung. Während der Kriegszeit wurden Verdunkelungsübungen durchgeführt, um die Schweiz vor Luftangriffen zu schützen. Darum musste der erste Teil von Richters Vorträgen um acht Tage verschoben werden. Der zweite Teil fiel wegen der zweiten Generalmobilmachung ganz aus. Hans Richter emigrierte kurz darauf in die USA. Erst nach dem Krieg, 1948, gelang es der Filmstelle, erste Unterhaltungsfilme in ihrem Programm zu etablieren. Orson Welles Filmklassiker «Citizen Kane» wurde gezeigt und Hans Steinhoffs «Robert Koch – Bekämpfer des Todes».

Die Politik betrübte die Gemüter abermals an einem Abend in den 50er Jahren. Es sollte der russische Revolutions- und Propagandafilm «Panzerkreuzer Potemkin» gezeigt werden. Nach dem Vorspann erblickte das Publikum stattdessen einen amerikanischen Kriegspropaganda-Film. Wie sich später herausstellte, hatte jemand den Originalfilm geklaut und dem Verleiher eine falsche Rolle zurückgeschickt. Das Publikum sah sich den Film dennoch zähneknirschend an.

Ein Ort für Filmfans

Die Filmstelle war und ist aber nicht nur ein Ort der Geschichte. Sie sei vor allem einer der Begegnung für filmliebende Studis, erzählt Beat Käslin, der Anfang der 90er Jahre Mitglied der Filmstelle war. Seit 1981 gibt es an der ETH die Lehraufträge «Filmkunde» und «Filmemachen». Das waren die ersten akademischen Aufträge, die sich mit dem Medium befassten. Die Streifen, die die Filmstelle seit Mitte der 70er Jahre in Semesterzyklen zeigte, wurden oft in Anlehnung an diese Vorlesungen ausgewählt. Dazu verfassten die Mitglieder umfangreiche Programmbücher, in denen sie die Filme und Regisseure besprachen. 1989 schliesslich richtete die Uni den Studiengang Filmwissenschaften ein und die Programmbücher begannen kürzer zu werden. Käslin ist seinem Metier, wie viele andere ehemalige Mitglieder, treu geblieben. Er ist Geschäftsführer der Arthouse-Kinos in Zürich. Auch Reto Bühler, heute Co-Programmleiter des Xenix, begann seine Karriere bei der Filmstelle. Weil ihn Programmarbeit interessierte, übte er das thematische und stilistische Bündeln von Filmen zunächst in studentischer Vereinsarbeit. Die Präsentation von ganzen Zyklen ist heute noch eine grosse Stärke der Filmstelle und sorgt immer mal wieder für Aufsehen.

Nazi-Ästhetik

2003 berichtete die Zürcher Studentin, wie die ZS mittlerweile hiess, abermals über die Filmstelle. Diesmal jedoch unter dem Titel «Faschistische Ästhetik gefällig?». Die Filmstelle hatte sich im Rahmen des Zyklus’ «Skandal! Filme der Grenzüberschreitung» dazu entschieden, Leni Riefenstahls Nazi-Propagandafilm «Olympia» zu zeigen. Im ganzseitigen Artikel kritisiert der ZS-Autor die Vorführung und gibt zu bedenken, das heutige Publikum könne ohne Einführung die rassistische und antisemitische Propaganda im Film kaum kritisch hinterfragen. Die Filmstelle vertraute ihrem Publikum und besticht auch seither immer wieder mit provokanten und aussergewöhnlichen Vorführungen.

Trotz ihres Alters hat die Filmstelle über die letzten Jahre zusätzlich an Attraktivität gewonnen. Vom Hörsaal zog sie ins StuZ und heute bespielt sie einen grossen Raum mit Bar im CAB. Als Anfang dieses Semesters an der Soirée Française «99 francs» gezeigt wurde, besuchten 220 Leute die Filmstelle. Das war der Rekord der letzten zehn Jahre, weiss Lorenzo Berardelli, amtierender Präsident der Filmstelle. In Zeiten, in denen man annehmen könnte, dass Flatscreens und Streaming die Filmstelle längst verdrängt hätten, finden das Miteinander und die Kunst der Selektion Anklang. «Ich liebe Filme», sagt Berardelli, «doch die Atmosphäre und die Leute sind das, was die Filmstelle letztlich ausmacht.»