Maya Wipf, Daniele Kaehr

«Let me turn this around»

Der neue Rektor erklärt im Wirtschaftsjargon, wie er die UZH aus dem Sumpf ziehen will, bedankt sich für die UBS-Millionen und verrät, warum er sechs Kinder hat.

26. Februar 2014

Herr Hengartner, Rektor der Universität Zürich zu sein, ist zurzeit der unattraktivste Job der Stadt. Ganz im Gegenteil. Er ist wahrscheinlich in den Top Ten der attraktivsten Jobs.

Weshalb? Weil es cool ist, Rektor zu sein. Man lernt jeden Tag etwas Neues, und ich bin eine chronisch neugierige Person. Als Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät hatte ich es mit 130 Professorinnen und Professoren zu tun, als Rektor mit 541. Das wird eine enorme persönliche Bereicherung.

Aber eigentlich können Sie nur enttäuschen, denn Sie sind beliebt bei Studierenden wie Professoren und gelten als Hoffnungsträger. Die Erwartungen sind enorm: Sie sollen die Universität Zürich nach dem Debakel-Jahr 2013 wieder aus dem Sumpf ziehen.

Die UZH-Leitung hat organisatorische Schwächen, von einem Sumpf kann nicht die Rede sein. Diese Schwierigkeiten wird die Universität von selbst überwinden. Wir haben talentierte Studierende, einen engagierten Mittelbau und weltberühmte Professorinnen und Professoren. Wir wollen uns verbessern. We are a learning institution. Lernen ist etwas, worin wir als Hochschule gut sind.

Sie sind mit 47 Jahren einer der jüngsten Rektoren aller Zeiten. Nun müssen Sie Ihr Amt noch ein halbes Jahr früher antreten als geplant. Sind Sie bereit für diese Aufgabe? (sofort) Ja. (lange Pause) Ist man je wirklich bereit?

Es ist bestimmt eine Herausforderung. Sie haben wenig Zeit, sich in die Dossiers einzuarbeiten. Die ursprüngliche Idee war, dass ich im Januar als Dekan aufhöre und anschliessend ein halbes Jahr Zeit habe, um Projekte vorzubereiten und mich in die Dossiers einzuarbeiten. Das wäre ideal gewesen, aber es ist anders gekommen.

Macht Sie das nervös?

Nein, aber ich bin grundsätzlich keine nervöse Person. Given the way it is, ist es das Beste für die UZH und für mich, wenn ich das Rektorenamt jetzt antrete.

Sie haben 2011 erfolglos für die FDP als Kantonsrat kandidiert. Wie beeinflusst Ihr politisches Engagement Ihr Amt? Ich bekenne mich zu einem grundsätzlichen Liberalismus. Wir erwarten von unseren Studierenden und Dozierenden Eigenverantwortung und Engagement. Leistung muss sich lohnen, auch im Studium.

Sie haben 13 Jahre in den USA studiert. Akademisch sind Sie also im angelsächsischen Raum sozialisiert worden. Haben Sie vor, aus der Uni Zürich ein schweizerisches Harvard zu machen?

Nein, die Uni Zürich hat völlig andere Rahmenbedingungen als Harvard. Vielleicht will ich aus der Uni Zürich ein schweizerisches Berkeley machen. Eine Staatsuniversität, die international einen sehr guten Ruf hat und offen ist für alle.

Die wahre Macht an der Uni liegt eigentlich beim Uni­rat. Was ist überhaupt Ihr Spielraum?

Macchiavelli würde jetzt sagen: Natürlich ist die Macht beim Unirat (lacht, Pause). Darf ich eine Gegenfrage stellen? Warum haben Sie das Gefühl, dass die Macht beim Unirat liegt?

Wenn Sie die letzte ZS gelesen haben ...

Ja gut, Frau Aeppli leitet die Sitzungen sehr effizient.

Frau Aeppli bestimmt auch, wer in gewissen Sitzungen dabei ist und wer nicht. Und Ihr Amt wird ja auch vom Unirat bestimmt und nicht etwa von unten nach oben.

In allen grossen Unternehmen wird der CEO vom Verwaltungsrat gewählt. De facto hat der Unirat hier ein Vetorecht. Aber irgendjemand muss den Auftrag der Gesellschaft an der Uni kontrollieren.

Die UBS hat sich mit 100 Millionen ein eigenes Institut an der Uni Zürich geschaffen. Die Empörung darüber war gross. Hat dieser Deal der Uni Zürich mehr geschadet oder mehr genützt?

Kurzfristig ist unser Image bei Teilen der Öffentlichkeit etwas ramponiert worden. Ich glaube, längerfristig wird uns die Schenkung helfen, unsere Reputation weiter auszubauen, weil wir fünf neue Professuren besetzen können und Geld für Doktoranden haben. Was uns geschadet hat, ist nicht die Abmachung selber, sondern wie wir damit umgegangen sind.

Gibt es nichts, was Ihnen am Deal missfällt?

Die Benennung des Hörsaals. Das widerspricht dem schweizerischen Bildungsverständnis. In Amerika ist das gang und gäbe. Die UBS hat sich positive Sichtbarkeit gewünscht. Ein UBS-Hörsaal bringt diese aber nicht.

Haben Sie auch etwas am Inhalt des Deals auszusetzen?

Man hätte diskutieren können, ob man das UBS Center so hätte nennen müssen. Da bin ich pragmatisch. Oder wie Shakespeare schon sagte: Would a rose by any other name smell as sweet?

Das heisst, Sie wären den Deal auch eingegangen.

Sicher. Ich hätte die 100 Mio. auch angenommen. Das sage ich jetzt explizit und Sie können das schreiben: Herzlichen Dank an die UBS für diese grosszügige Geste. Eine Bank arbeitet profitorientiert. Zum 150-Jahre-Jubiläum der Bank hat die UBS aber nicht sich beschenkt, sondern die Gesellschaft.

Sie peilen 20–25% Drittmittel für die UZH an. Damit machen Sie sich gleich zu Beginn Feinde bei Ihren Angestellten: der Zürcher Appell; viele Studentenvereinigungen stellen sich kritisch dagegen. Was wollen Sie dafür tun, dass das Sponsoring aus der Kritik kommt?

Der Begriff «Sponsoring» ist negativ besetzt, weil man sich vorstellt, dass damit Einfluss auf die Forschung genommen wird. Drittmittel erhalten wir aber, wenn Dritte etwas Gutes tun wollen.

Aber wie kann man garantieren, dass die Forschung nicht durch solche Gelder beeinflusst wird?

Die gesamte Forschung muss in diesem Punkt aufpassen, und zwar wie ein «Häftlimacher». Wenn die Zürcher Krebsliga Geld für Forschungszwecke vergibt, denke ich als Forscher vielleicht, ich muss ein Gesuch für ein krebsrelevantes Thema schreiben.

Das heisst doch aber, Forschung ist letztendlich leistungsorientiert. Sogenannte Orchideenfächer, hinter denen kein wirtschaftlicher Nutzen steht, werden marginalisiert.

Let me turn this around: Es ist seltener, dass jemand Forschung in den Geisteswissenschaften finanziell unterstützen will. Die strategische Herausforderung als Universität ist also: Wie schaffen wir es, nicht asymmetrisch zu wachsen? Das heisst, wir müssen eigene Mittel in die Bereiche investieren, in die keine Mittel von aussen kommen.

Es gibt ja auch Forderungen, dass Drittmittel völlig ungebunden sein sollen und die Uni damit machen soll, was sie will.

Das werden Sie in dieser Weise nur bedingt hinbekommen. Ich habe für die Uni Zürich einen irrsinnig langen Wunschzettel für den Sami­chlaus, aber leider nicht die Finanzen dazu. Wenn nun ein Engelchen kommt und mir sagt, Nr. 37 auf der Liste können wir zusammen machen, dann sag ich natürlich zu – vorausgesetzt, die Uni Zürich kann mit dem Geld das tun, was sie will.

Zu einem anderen heiss diskutierten Thema: Bologna hat uns ja grosse Kopfschmerzen bereitet

...Ja, sehr!

Wo sehen Sie die grossen Probleme der Bologna-Reform, die man in nächster Zeit anpacken muss?

Das konzeptuelle Problem, das ich mit Bologna habe, ist dieses modularisierte Denken. Man begreift die Zusammenhänge zwischen den Kursen nicht mehr.

Und wie fördert man vernetztes Denken in einem System, in dem man auf Credits und Leistungsnachweise angewiesen ist?

Man müsste wieder grössere Einheiten haben. We need to make clear to the students and teachers that everything is connected! Ich muss als Dozent das ganze Curriculum anschauen und mit meinen Kollegen sprechen. Es ist unfair, wenn man die Fehler jetzt nur bei den Studis sucht. Und vielleicht müssen wir wieder etwas entschlacken und mehr Raum zum Denken geben.

Heisst das, es gibt in Zukunft weniger Stunden Vorlesungen?

Es braucht mehr Zeit, um den Stoff zu vertiefen, als um neuen zu vermitteln. Ich glaube, der Mehrwert des Dozierenden ist im Dialog und nicht im Monolog. Darum sage ich: Eine Online-Ausbildung ist möglich, aber eine Online-Bildung nicht.

Und Online-Prüfungen, wie sie jetzt gerade am RWI getestet werden?

Was ich da nicht weiss, ist, wie man sicherstellen kann, dass die richtige Person die Prüfung schreibt. Die Online-Prüfungen sind ja explizit als Experiment angemeldet worden und ich finde es ein interessantes Projekt. Vielleicht sollte man aber nicht unbedingt mit Prüfungen experimentieren.

Glauben Sie, mit einer stärkeren Beteiligung der Studierenden an den Entscheidungsprozessen hätten gewisse Entwicklungen bezüglich Bologna verhindert werden können?

Bologna war ein politischer Entscheid, daher wäre die Reform mit mehr studentischer Beteiligung nicht besser herausgekommen. Ich kenne keine Uni, an der die Studierenden massiv mehr Mitbestimmung haben als an der Uni Zürich. Im Gegenteil, wir beklagen uns, dass wir keine Studis mehr finden, die sich in Berufungskommissionen beteiligen wollen.

Da besteht für uns ja auch nur eine sehr beschränkte Mitsprache.

Als Rektor bin ich auch nur eine Person auf 541 Professoren. Das ist dasselbe. Die Studierenden haben eine moralische Autorität, da sie für ihre Kommilitonen sprechen.

Was wird sich mit Ihnen als Rektor für die Studierenden ändern?

Vielleicht, dass ich ein Rektor sein werde, der sichtbarer ist und approachable, wie sagt man das auf Deutsch?

Fassbar?

Oder zugänglich. Ich habe beispielsweise mit dem VSUZH einen Jour fixe abgemacht. Wir werden uns regelmässig treffen. Ich möchte, dass die Studierenden eine gute Bildung haben und stolz sind, an der Uni Zürich studiert zu haben.

Sie schlafen sechs Stunden pro Nacht, halten Vorlesungen, arbeiten im Labor, sind Verwaltungsrat der Firma EvalueScience, sind im Vorstand der FDP Kreis 6 und der Schulpflege Waidberg, sitzen in der Schulkommission der Kantonsschule Zürich Nord, sind Vater von sechs Kindern. Sind Sie manchmal überfordert?

Nein. Es ist zwar eine grosse zeitliche Belastung, aber es braucht viel, um mich aus der Ruhe zu bringen. Mit Aussicht auf das Rektorenamt habe ich viele dieser zusätzlichen Aufgaben aufgegeben. Ich möchte vor allem als Rektor wahrgenommen werden.

Was machen Sie, wenn Sie mal drei Sekunden nicht arbeiten?

Familie, Frau, Kinder.

Sie verbringen also Ihre gesamte Freizeit mit Ihrer Familie. Haben Sie kein verrücktes Hobby wie Fallschirmspringen?

Ich bin viel langweiliger als das.

Dann halt Wandern.

Das tue ich gerne, aber auch mit der Familie. Gärtnern ist mein Hobby, aber ich bringe die Kinder nicht immer dazu, mit in den Garten zu kommen.

Sie werden Ihre Familie jetzt weniger sehen.

Ich habe es bis jetzt immer geschafft, zwischendurch heimzugehen. Die Familie wird nicht darunter leiden müssen.

Wer dann?

Die Forschung.Das war der Kompromiss. Ich werde das Labor vermissen.

Die Lehre müssen Sie auch aufgeben.

Halt, nein! Die BIO-111 Vorlesung für die Erstsemestrigen werde ich weiterhin halten. Ich doziere gerne und will als Rektor nicht abheben.

Wir wissen, dass das Studium nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Sie haben in den USA und in Kanada studiert, unter anderem am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Was ist die schlimmste Erinnerung an Ihre Studienzeit?

Ui, das ist eine gute Frage. Schlimmste Erinnerung? (überlegt lange) Da muss ich jetzt passen. Das sagt aber auch etwas über meine Person aus, dass mir nichts einfällt.

Oder über Ihre Verdrängungsgabe.

Das ist jetzt negativ ausgedrückt. Remember the best, forget the rest. Ich bin ein optimistischer Mensch und verliere wenig Gedanken über negative Erfahrungen.

Aber irgendetwas muss doch schwierig gewesen sein.

Also gut. Als ich ans MIT kam, war alles neu: fremdes Land, fremde Kultur, fremde Sprache, das erste Mal weg von zuhause ... Das war die schwierigste Zeit meines Studiums.

In den Medien wurden Sie immer wieder als «Der Wurmforscher» betitelt. Für alle Nicht-Biologen: Wie würden Sie Ihrem jüngsten Kind erklären, was Sie über den Fadenwurm Caenorhabditis elegans herausgefunden haben?

(spricht sanft) Unser Körper ist wie ein Legohaus, das aus unterschiedlichsten Legoblöcken gebaut ist. Diese Blöcke nennt man Zellen. Wenn man ein Haus baut, muss man manchmal auch Steine wegnehmen. Jetzt haben wir die coole Eigenschaft, dass wir unserem Körper sagen können: Hey, Legosteine, verschwindet, hier will ich etwas anderes bauen, ein Fenster zum Beispiel! Und sie gehorchen. Puff! Wand weg, Loch für Fenster da. In unserem Körper können sich die Zellen aber nicht einfach in Luft auflösen. Um zu verschwinden, müssen sie sich das Leben nehmen.

Also studieren Sie gar nicht Würmer, sondern das Selbstmordverhalten von Zellen.

Genau. Mich interessiert, warum sie es machen. Wir brauchen diesen Mechanismus auch, um uns zu schützen. Wenn eine Zelle von einem Virus infiziert ist und eine Gefahr wird für die Eidgenossenschaft der Zellen, dann wird sie sich, à la Winkelried, das Leben nehmen. Sie ist patriotisch und reisst sich mitsamt dem Virus in den Tod. Haben Sie Alien 3 gesehen?

Ähm.

Es ist genau das: Sigourney Weaver trägt die künftige Königin der Aliens in sich, und gerade bevor die Königin schlüpft, stürzt sich Sigourney in einen riesigen Pool von flüssigem Metall. Dadurch rettet sie die Menschheit.

Zurück zu Ihnen. Sie haben sechs Kinder: Das sind rund vier Mal mehr als der Durchschnitt. Sind Sie altmodisch?

Nein, ich habe einfach riesige Freude an Kindern. It’s fun, it’s great.