Nina Fritz

Gekünstelt

Die Zürcher Hochschule der Künste lädt zum Tag der Forschung: «Interpretationen des Interpretationsprozzesses» aus der Gessnerallee.

26. Februar 2014

Zwei Lautsprecher pfeifen gellend. Die schrillen Töne wandern im Kreis durch den Raum und kreuzen sich etwa dort, wo ein Forscher mit Brille den Klang einer Pflanze demonstriert. Da schmerzt der Kopf schon vom Zuhören. Doch die Gäste scheinen sich nicht daran zu stos­sen, sie bleiben sogar neugierig stehen. Manche studieren die dicht bedruckten Plakate an der Wand, die die Wirkung der Installation erklären sollen. Der «Tag der Forschung» an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) neigt sich dem Ende zu und ich habe längst den Überblick verloren. Doch drehen wir die Uhr ein paar Stunden zurück.

Als Phil-I-Student, geschult in den Methoden der Geistes- und Sozialwissenschaften, infiltriere ich die Menge der Forschungsinteressierten neugierig und erwartungsvoll. Geladen wurde in die Gessnerallee. Am Vormittag stehen Impulsvorträge auf dem Plan. Ich quetsche mich auf die Treppe vor der Tribüne zu den etwa 70 anderen Interessierten. Es sieht so aus, als wäre ich der einzige Nicht-Künstler. Ich klappe mein Notizbuch auf, gespannt auf Antworten zur Frage, was Kunststudierende eigentlich erforschen. Kein leichtes Unterfangen, denke ich, bin aber noch guter Laune.

Metaisierung der Metaebene

Das Lachen vergeht mir jedoch schnell. Vom Philosophiestudium her bin ich in Komplexen und Abstraktem geschult. Doch ich muss erkennen, dass ich noch viel zu lernen habe. Auf der Bühne redet sich ein bärtiger Germane in Rage. Sein Forschungsschwerpunkt nennt sich «Musikalische Interpretation», und er sagt Dinge wie «Töne sind Töne, aber jedes Orchester hat eine andere Tonalität» oder «Das Ziel muss sein, den Interpretationsprozess zu interpretieren.» Der Chef-Organisator des Forschungstags, Hartmut Wickert, schneidet ihm nach 20 Minuten mit einem lauten Klingelton das Wort ab. Applaus. Auch ich klatsche, obwohl ich mich dümmer fühle als zuvor. Als Nächstes betritt Florian Dombois die Bühne. Er ist Leiter des Forschungsschwerpunkts «Transdisziplinarität» und trägt einen knallgrünen Pullover mit Weihnachtsbaumkaro. 20 Minuten lang erzählt er von einem Windkanal, der von Künstlern, Handwerkern und Philosophen zusammengebaut wurde. Ein Ort der Begegnung soll es sein, ein Selbstversuch an der Schnittstelle der Disziplinen. Was der Zweck des Windkanals sei, frage ich ihn nach seinem Vortrag. Zum ersten Mal zucken die Schultern.

Auch die Schwerpunkte «Eigenlogik des Designs» und «Performative Praxis» werden vorgestellt, ohne meine Frage nach dem Zweck der Forschung zu beantworten. Oft wird über ein Spannungsfeld schwadroniert, in dem sich forschende Künstler bewegen. Man soll «die eigene Kunst forschend anwenden, um zu neuen möglichen Fragestellungen zu kommen», oder man fragt: «Ist erforschtes Design besser als pures Design?» Wenn die Designforscher dieser Frage auf den Grund gehen, dann könnten sie zum Ergebnis kommen, dass pures Design besser ist als erforschtes Design, und das wäre dann das Ende der Designforschung – mithilfe der Designforschungsforschung. Glaube ich.

Zweckfrage verboten

In der Mittagspause kommen mir Zweifel: Waren meine Jahre des Studiums grosser Denker und ihrer Analysen etwa für nichts? Ich bin seit Stunden hier, und wenn ich am Anfang noch das eine oder andere Wort verstanden habe, verstehe ich jetzt nur noch Bahnhof. Selten habe ich so nachdenklich eine Pizza gegessen. Der Alptraum jedes «Weltwoche»-Lesers scheint sich hier zu verwirklichen: Forschung ohne ersichtlichen Zweck, mit schwammigen Methoden, die erst noch erforscht werden müssen.

Der Nachmittag startet dafür ungewohnt fassbar. Die Gessnerallee mutiert zur Wandelhalle, in der die einzelnen Forschungsprojekte mittels Plakaten vorgestellt werden. Eines geht der Frage nach, ob analoge und digitale Projektion von Kinofilmen unterschiedliche Reaktionen der Zuschauer auslösen. Mithilfe von Eye-Tracking und EKGs. Ich verstehe! Auch die Neuauflage einer Beethovenschen Klavierpartitur, die näher an der originalen Handschrift bleibt, scheint mir sinnvoll. Ich schöpfe neuen Mut und versuche es erneut bei den Transdisziplinären. Ein iPad auf einem Notenständer überträgt live aus dem Windkanal. Ich nehme all meinen Mut zusammen und stelle nochmals die Zweckfrage. Wieder diese zuckenden Schultern. Es reicht, ich will jetzt diesen Kanal aus der Nähe sehen! Vielleicht werde ich dann verstehen.

Das Ding steht in einem gemütlichen Innenhof an der Hafnerstrasse, gleich neben dem Museum für Gestaltung. Es ist ziemlich kalt. Die beiden Doktoranden, die gerade verschiedene Testobjekte zwischen die Luftröhren legen, wissen auch nicht, was sie hier tun. «Die Bedeutung des Kanals ist im Entstehen und wir sind gespannt auf das Resultat», erklärt mir die Doktorandin. Hier erfahre ich auch vom Prinzip der «Fahrkunst»: Drei Künstler und drei Wissenschaftler bearbeiten abwechselnd die Potenzialität des Windkanals und geben sich gegenseitig Impulse. Alles klar?

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Zurück in der Gessnerallee, pfeifen mir wieder die schrillen Töne, die aus den Lautsprechern dröhnen, in die Ohren. Einen ersichtlichen Zweck hat auch diese Installation nicht. «Klar macht es Spass, damit herumzuspielen», sagt der forschende Künstler, «sonst hätten wir das Ding ja nicht gebaut.» Auf dem Plakat lese ich von Gehirnstrukturen und Computerprogrammen. Wie genau hängen jetzt Neuronen mit dieser akustischen Folter zusammen? Die Antwort geben wieder die Schultern.

Was bleibt? Auf der einen Seite will man hier nicht einfach hergebrachte akademische Methodologien kopieren. Willkürliche Improvisationsforschung ist auch nicht das Ziel, denn das wäre ja nur noch Kunst. Eigentlich tun sie mir leid, die künstlerischen Forscher: Zwischen Expression und Akademie suchen sie verzweifelt ihre Nische. Zumindest bis jetzt ist das wenig mehr als ein Selbstfindungstrip. Wenn ich entscheiden dürfte: Überlasst die Forschung Ästhetikstudierenden und lasst art wieder art sein, ohne ihren Entstehungsprozess mit grossen Worten zu etikettieren. Den letzten Programmpunkt «Apéro und Networking» schenke ich mir. Mit hängenden Schultern schleiche ich nach Hause und lese ein Lustiges Taschenbuch. ◊