Malin Widén

Seminarbesuch: Neoliberaler erklärt gerechte Welt

Der Direktor des Think-Tanks Avenir Suisse Gerhard Schwarz und der NZZ-Wirtschaftsredaktor Beat Gygi luden dieses Semester zum Seminar «Wirtschaftsordnungen». Die ZS war zu Besuch.

3. Januar 2014

In diesem Seminar geht es ungewöhnlich zu und her. Gerhard Schwarz begrüsst rund vierzig müde Masterstudierende morgens um neun Uhr mit einem Gläschen Rotwein in der Hand. Der Fokus der letzten von vier Blocksitzung «Basic principles of economic system» liegt auf dem Thema Gerechtigkeit. Die erste Studi-Gruppe möchte mit ihrem Vortrag beginnen, doch etwas mit ihrer Präsentation funktioniert nicht richtig. Als die Studierenden endlich beginnen können, ruft Seminarleiter Schwarz genervt «BRAVO» und mit einem grossen Schluck leert er sein Glas.

Die Faulen müssen bestraft werden

Es bleibt nicht der einzige prägnante Kommentar von Schwarz. Nach dem ersten Referat über eine gerechte Altersvorsorge in der Schweiz formuliert er die Schlussthese gleich selbst. Für die Rettung der Altersvorsorge aus der finanziellen Krise, gibt es nur eine Lösung, wenn man dennoch ein gerechtes System bieten will: Flexibilisierung des Rentenalters.

So einfach ist das also. Jeder Mensch soll für sich selber vorsorgen. Jene, die nicht viel gespart haben, müssen länger arbeiten. Simpler Dreisatz. Schliesslich werden so die Faulen bestraft, was gibt es da Gerechteres. Wenn halt die Eltern und Grosseltern schon faul waren und man aus einer sozial benachteiligten Familie stammt, ist es nicht Sache des Staates, die Fehler der Vorfahren zu kompensieren. Wer von Anfang an mehr schuftet und spart, darf früher in den entsprechend verdienten Ruhestand. Bauarbeiter, die bereits mit 25 über starke Rückenschmerzen klagen wären bestimmt Feuer und Flamme für Schwarz Vorschlag. Mehr Wutfeuer, als romantisches Flämmchen.

Werke des Teufels

In einem ähnlichen Ton geht die Veranstaltung auch weiter. Der zweite Teil widmet sich den Kernfragen «Was sind gerechte Löhne?» und «Welchen Einfluss haben Mindestlöhne?» Da stellt sich natürlich schnell die Frage: «Wie kann es passieren, dass in einem so stabilen, liberalen Land wie die Schweiz, solch verrückte Ideen wie Mindestlöhne oder 1:12 in Initiativen umgesetzt werden?» Ganz klar handle es sich hierbei um Ventildiskussionen, beantwortet Schwarz seine eigene Frage gleich selbst. Was soll die Gesellschaft denn ventilieren? Vernünftig wäre, zu Hinterfragen weshalb die Themen der Bevölkerung am Herzen liegen und für Unmut sorgen. Stattdessen tut Schwarz jegliche Regulierungsgedanken mit einem Donnerschlag als Unsinn ab. Regulierung werden als Werke des Teufels stigmatisiert.

Eine simple Welt

Für einmal liefern sich die beiden Dozenten einen gewitzten Schlagabtausch. Gygi stellt die Frage in den Raum, ob man den unter ethischen Gesichtspunkten sagen darf, ob ein Hochbegabter der Gesellschaft vollen Einsatz schuldig ist? Schwarz antwortet knapp: Könnte man so sagen, sollte man aber nicht.

Es ist also nicht ungerecht, wenn ein Normalbegabter für eine Arbeit, die er unter hundert Prozent Einsatz erledigt, den gleichen Lohn erhält, wie ein Hochbegabter, der für die identische Arbeit nur zehn Prozent Einsatz liefern muss. Die Argumente sind reine Zahlenspiele. Das ist halt das schöne am Neoliberalismus: Er ist ein wunderbares Instrument, um Zahlen und Statistiken zu manipulieren. Löhne sollen vom Leistungsoutput und nicht vom -input abhängig sein. Darwin winkt lächelnd aus seinem Grabe.

Düstere Zukunft

Zur Mittagspause hin vergeht mir der Appetit zwar gehörig, aber das Loch im Bauch bleibt. Ich befand mich in einem Raum voller Wirtschaftsstudenten, die bald ihren Masterabschluss erhalten und somit Teil unserer funktionierenden Wirtschaft werden. In diesen Stunden der Diskussion jedoch hat mir keiner dieser Studenten gezeigt, dass er in irgend einer Weise über die exessive gelehrten, mathematischen Modelle hinaus etwas von unserer Welt verstanden hat. Ein deliberativer Diskurs wird seitens der Dozenten vollumfänglich unterschlagen. So lässt Schwarz die wenigen Studenten mit Kontra-Argumenten kaum zu Wort kommen oder unterschlägt es ihnen sogar. Dies scheint hier die wenigsten zu interessieren. Wenn kein Nutzen vorhanden ist, blickt man auch nicht über das hinaus, was einem erzählt wird. Die Frage stellt sich, ob es für unsere Gemeinschaft erstrebenswert ist, solch schwachsichtig ausgebildete Wirtschaftswissenschafter unsere neue Elite werden zu lassen.