Wer hat die Macht an der Uni? Leerer Orelli-Saal. Maya Wipf

Wer die Uni wirklich lenkt

Wie eine Prorektorin verhindert, die Unileitung schwach gehalten und ein Politiker verraten wurde. Das Schicksal von Brigitte Tag, Andreas Fischer und Christoph Mörgeli.

28. November 2013

So hört sich Machtpolitik an der Universität Zürich an: «Du bist nicht mehr auf der Liste, daran gibt es nichts mehr zu diskutieren.» Ein kurzer Telefonanruf. Erklärungen gab es keine. Regine Aeppli, Präsidentin des Universitätrats, teilte im Herbst 2011 Brigitte Tag mit, dass sie bei der Wahl zur Prorektorin keine Rolle spielte.

Dabei sprach alles für für die engagierte Rechtsprofessorin. Sie war Delegierte der Professorenschaft im Unirat und präsidiert die Gleichstellungskommission. Bei den Studierenden ist sie äus­serst beliebt. Tag erhielt den Lehrpreis «Award for Best Teaching». Als Prorektorkandidaten wählte eine Kommission drei Personen: Andrea Schenker-Wicki, Christian Schwarzenegger und Brigitte Tag. Der Senat, die Versammlung der Professorenschaft, sollte nun entscheiden, wen er dem Unirat zur Wahl vorschlug. Doch der Unirat intervenierte. Er strich Tag von der Liste. Der Senat konnte sich nur noch zwischen zwei Kandidaten entscheiden. Er empfahl Schenker-Wicki, und der Unirat nickte ab. Tag blieb ratlos zurück. Es wird spekuliert, sie wäre dem Unirat als Kritikerin ungemütlich geworden.

Die ZS hat sich auf die Suche nach den Gründen für diese Entscheidung gemacht und mit zahlreichen Angehörigen der Universität aus den unterschiedlichsten Bereichen gesprochen. Von Studierenden über Assistierende, Professorinnen und Professoren, bis hin zu Mitgliedern der Universitätsleitung und des Universitätsrats. Die Geschichte rund um die Prorektorenwahl ist bloss eine von Dutzenden Geschichten, die dabei zu Tage gekommen sind. Sie zeigen eindrücklich, wie Macht an der Uni ausgeübt wird. Offen darüber sprechen wollen die Wenigsten. Viele Angehörige der Uni möchten sich nicht exponieren. Sie stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis, das dies nicht zulässt, wollen sich die Finger nicht verbrennen oder sind rechtlich an die Schweigepflicht gebunden. Um die Aufmerksamkeit nicht auf einzelne Zeuginnen und Zeugen zu lenken, verzichtet die ZS ganz darauf, sie namentlich zu zitieren.

Geführt wie ein Unternehmen

Eine erste Orientierung darüber, wie die Macht an der Uni verteilt ist, bietet das Organigramm der Universität Zürich. Die Uni ist nach den Pinzipien des New Public Management wie ein Unternehmen organisiert: Der Unirat nimmt die Rolle des Verwaltungsrats ein. Er wird vom Regierungsrat gewählt, der durch das Zürcher Stimmvolk legitimiert ist. Die Geschäftsleitung besteht aus der Unileitung, dem operativen Leitorgan der gesamten Uni. Das oberste Organ im akademischen Bereich ist die Erweiterte Unileitung (EUL). In der EUL sind neben dem Unirat die Dekane der Fakultäten und die sogenannten Stände (Privatdozierende, Mittelbau und Studierende) vertreten. Mitreden, aber nicht stimmen dürfen ausserdem das Generalsekretariat, die Gleichstellungskommission, das administrative und technische Personal sowie der Rechtsdienst.

Neben der Unileitung und der EUL steht noch der Senat, die Versammlung der Professoren mit Vertretern der Stände. Er kann zu Fragen von gesamtuniversitärer Bedeutung Stellung nehmen und dem Unirat Prorektoren und Rektoren zur Wahl vorschlagen.

Organigramm der Universität Zürich

Das oberste Gremium der Uni Zürich, der Unirat, wird vom Regierungsrat des Kantons ernannt. Die Zusammensetzung ist nicht genau festgelegt. Es müssen Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur vertreten sein. Wenn der Universitätsrat tagt, herrscht im prunkvollen Orelli-Saal eine klare Sitzordnung). Die Präsidentin des Unirats, Bildungsdirektorin Regine Aeppli, ist die Vertreterin der Kantonsregierung. Sie tritt sehr dominant auf, fiel dem Rektor Andreas Fischer auch mal ins Wort, der bis zu seinem plötzlichen Rücktritt Anfang November neben ihr gesessen war.

Zu Aepplis Rechten sitzt Sebastian Brändli, Chef des Hochschulamtes. Obwohl als Sekretär des Unirats kein Stimmrecht hat, gilt der ehemalige SP-Kantonsrat als die mächtigste Figur im Unirat. Parteikollegen von Aeppli sagen, sie würde sich kaum für die Unipolitik interessieren und lasse Brändli viele Freiheiten. Er verfasst Anträge aus dem Regierungsrat oder jene von Regine Aeppli. Brändli sitzt zudem in Kommissionen, welche die engere Auswahl von Rektorkandidatinnen und -kandidaten bestimmen.

Eine weitere Vertreterin aus der Politik ist Kathy Riklin. Sie beschäftigt sich als CVP-Nationalrätin mit nationaler und internationaler Bildungspolitik. Wer mit ihr diskutiert, ist bisweilen überrascht, wie wenig dossiersicher sie ist. Zuletzt wurde Riklin lautstark dafür kritisiert, dass sie Journalisten von internen Vorgängen an der Uni in der «Affäre Mörgeli» erzählt haben soll. Sie bestreitet die Vorwürfe.

Am grossen Holztisch im Orelli-Saal folgen Urs Oberholzer und Ulrich Jakob Looser. SVP-Mitglied Oberholzer ist ehemalige Präsident des Bankrats der Zürcher Kantonalbank und hervorragend vernetzt in der Privatwirtschaft. Looser ist Vorstandsmitglied des Unternehermverbands Economiesuisse. Er vertritt die Wirtschaft. Als engagierteste Mitglieder der Unirats gelten die Vertreterin aus dem Bereich der Kultur, Barbara Basting, und der NZZ-Redaktor Christoph Wehrli, nach über zehn Jahren das dienstälteste Mitglied. Der Physiologie-Professor der Uni Bern Hans-Rudolf Lüscher vertritt die Wissenschaft. Er ist derjenige Unirat, der am weitesten weg von der Präsidentin sitzt.

Ihm gegenüber sitzt Stefan Schnyder, Mitglied der Unileitung und Direktor der Finanzen, Personal und Infrastruktur. Es folgen die Prorektoren Daniel Wyler (Medizin und Naturwissenschaften), Andrea Schenker-Wicki (Rechts- und Wirtschaftswissenschaften) und Otfried Jarren (Geistes- und Sozialwissenschaften). Schenker-Wicki, zu deren Forschungsgebieten das Krisenmanagement gehört, und Jarren, der momentan als Rektor ad interim amtet, haben sich in den jüngsten Krisen der Universität besonders hervorgetan.

Neben den wichtigsten Vertretern sitzen ein Vertreter aus der Gesundheitsdirektion und einer des Spitalrats am Tisch. Am unteren Ende reihen sich noch die Vertreter der Stände (Professorenschaft, Mittelbau, Privatdozierende und Studierende) sowie der Protokollführer Urs Bühler, der stellvertretende Chef des Hochschulamtes, auf.

Die Sitzungsteilnehmer des Unirats im Überblick. Grössere Ansicht: http://tinyurl.com/Unirat

Verschwiegen und geheim

Über die Sitzungen des Unirates wissen nur die Teilnehmer Bescheid. Sie alle unterstehen der Schweigepflicht. Die Protokolle sind äusserst kurz gehalten, wenig aussagekräftig und nicht öffentlich. Doch besonders interessant sind die Sitzungen in der Regel nicht. Bei jedem Antrag fragt Präsidentin Aeppli, ob es einen Gegenantrag gibt. Ist keiner vorhanden, gilt der Antrag als angenommen. Da die meisten Räte zu wenig Zeit haben, um sich eingehend damit zu beschäftigen, hat kaum einmal jemand etwas dagegen. Die Vorschläge werden abgenickt. Die meisten Anträge stammen entweder von der Unileitung, den Fakultäten oder kommen über Aeppli und Brändli aus dem Regierungsrat. Strategische Entscheidungen treffe der Unirat zu selten, bemängelt ein Mitglied.

Die Räte müssen sich auf die Arbeit der Kommissionen verlassen. Jemand aus dem Unirat fragt rhetorisch: «Wie sollen wir denn entscheiden können, ob ein Professor zu Recht für den Ruf an die Uni ausgewählt wurde?» So achten die Räte in der Regel bloss darauf, dass das Verfahren korrekt abgelaufen ist und das Geschlechterverhältnis bei den Berufungen eingehalten wird. Lediglich bei einigen wenigen Geschäften werden die Diskussionen emotional. In den letzten Jahren bei Diskussionen um das Herzzentrum in Zürich, beim UBS-Sponsoring, der Prorektoren- oder Rektorenwahl und natürlich der «Affäre Mörgeli» rund um das Medizinhistorische Institut. In solchen Fällen schickt Regine Aeppli jeweils alle aus dem Saal ausser Sekretär Brändli, Rektor Fischer, die sechs anderen Uniräte und Protokollführer Bühler. Dies kritisieren nicht nur diejenigen, die vor die Tür müssen, sondern auch einzelne Uniräte als «intransparent und undemokratisch». Regine Aeppli verteidigt es mit dem Schutz der Personen, die zur Diskussion stehen. Manchmal machen es sich die Räte aber auch einfacher und sie treffen sich zu informellen Sitzungen ohne die anderen Vertreter.

Warum Fischer als Rektor eingesetzt wurde

Die Bedeutung des Unirats kommt zum Tragen, wenn er den Rektor und die Prorektoren bestimmt. Denn die Unileitung ist de facto das mächtigste Gremium an der Uni, hier werden die wichtigen Entscheidungen gefällt. Doch die Unileitung ist nur so schlagkräftig, wie es der Unirat zulässt, da er ihre Zusammensetzung bestimmt. Deutlich zeigt sich das am ehemaligen Rektor Andreas Fischer. Als er 2007 gewählt wurde, hatte der Unirat die Wahl zwischen Psychologieprofessorin Ulrike Ehlert, Physikprofessor Daniel Wyler und Englischprofessor Fischer, der damals bereits Prorektor war. Sie alle stellten sich in den unterschiedlichen Gremien vor. Ehlert überzeugte durch starke Auftritte, war aber die Amtsjüngste und vor allem deutsche Staatsbürgerin. Für viele war es undenkbar, dass sie als Deutsche und Frau die Uni leiten würde. So war für viele Wyler der Favorit, da er deutlich selbstbewusster auftrat als Fischer. Doch der Senat schlug Fischer vor und der Unirat folgte dieser Empfehlung. Unter einigen Professoren war von internen Seilschaften die Rede. Fakt ist, dass sich nach dem Rektor Hans Weder, der als Reformturbo galt, viele jemanden wünschten, der die Uni in etwas ruhigere Gewässer führte. Dies hat Fischer auf jeden Fall getan, kritischere Zungen bezeichnen ihn auch als «Bremser», andere formulieren es noch böser: «Rektor ohne Rückgrat» oder «eine graue Maus». Sogar ein Mitglied der Universitätsleitung sagt rückblickend: «Man hätte Vieles besser kommunizieren können.»

So kam der Rücktritt von Fischer Anfang Monat für viele wenig überraschend. Bereits als 2010 zur Debatte stand, ob Fischer nach seiner ersten Amtszeit 2012 weitermachen wollte, musste er dazu überredet werden. Man appellierte an Fischers empfindlichste Stelle: sein Pflichtgefühl. Die Uni werde ohne ihn führungslos, hiess es. Tatsächlich stand kein valabler Kandidat zur Verfügung. Otfried Jarren soll mit dem Gedanken gespielt haben, doch er wusste, dass er als Deutscher keine Chance hätte – auch wenn er heute den Schweizer Pass besitzt. Dabei hätte der Publizistikprofessor, der als hervorragender Kommunikator gilt, die grösste Krise in den letzten Jahren wohl besser meistern können als Fischer, der letztlich seinen Hut nehmen musste wegen der «Affäre Mörgeli».

Politische Differenzen

Diese Krise erschütterte die Universität Zürich in ihren Grundfesten. Zugleich sagt sie auch viel darüber aus, wie die Machtverhältnisse an der Uni Zürich sind und wie sie sich verschoben haben.

Die «Affäre Mörgeli» beginnt im Jahr 1988. Damals regierte noch Bildungsdirektor Alfred Gilgen über die Uni. Den Unirat gibt es erst seit dem neuen Universitätsgesetz von 1998. Gilgen bestimmte, welche Professoren an die Uni berufen wurden. Als der renommierte Medizinhistoriker Huldrych Koelbing emeritiert wurde, galt Alfons Lubisch als Favorit für seine Nachfolge. Doch der deutsche Soziologe und Medizinhistoriker passte als Sozialdemokrat dem politisch rechten Gilgen nicht. Er ernannte Christoph Mörgeli für zwei Semester interimistisch zum Leiter des Medizinhistorischen Instituts, wo Mörgeli zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter und Konservator des Medizinhistorischen Museums war. Später setzte Gilgen Beat Rüttimann als Direktor ein. Zusammen mit Mörgeli bestimmte dieser fortan den Kurs des Instituts. Er habe sich wenig um die internationale wissenschaftliche Vernetzung des Instituts gekümmert, wird heute kritisiert. 2010 wurde Rüttimann emeritiert und fortan leitete Assistentin Iris Ritzmann das Institut, bis 2011 Flurin Condrau als Nachfolger berufen wurde. Condrau war damals schockiert über den Zustand des Instituts und des Museums mit der Objektsammlung, die gemäss dem Regierungsrat als «weltweit grösste Sammlung dieser Art zählt».

In seinem ersten Akademischen Bericht schrieb Condrau von einem Neuanfang des Instituts. Das Ziel müsse es sein, wieder an «Profil und Glaubwürdigkeit» zu gewinnen. Das Institut sollte «wissenschaftlich professionalisiert» werden und Condrau wollte «ein wenig vom angelsächsischen Geist» an die Uni bringen. Dabei stand ihm Mörgeli im Weg, dessen politischen und wissenschaftlichen Ansichten sich komplett von Condraus unterschieden. Hinzu kamen die fachlichen Beurteilungen von Mörgeli. Sie waren vernichtend: Die Objektsammlung sei ungenügend, «mehrere zehntausend unkatalogisierte Objekte verstauben in offenen Regalen», und die Doktoranden habe Mörgeli schlecht betreut. Auch die Lehrveranstaltungen von Mörgeli sprachen eine deutliche Sprache: Eine Vorlesung bot der Titularprofessor 13 Jahre lang an, ohne dass sie jemals durchgeführt wurde – das Interesse war nicht vorhanden. Ein zweites Lehrangebot fand zwar statt, doch da sassen vorwiegend Senioren. Unter ihnen auch sein langjähriger Wegbegleiter Rüttimann und der ehemalige Erziehungsdirektor Gilgen.

Die Unileitung und der Unirat wussten von den verschiedenen vernichtenden Berichte. Doch beide Gremien schoben das Thema vor sich her. Niemand wollte sich mit dem einflussreichen und mediengewandten Politiker anlegen. Mit der Zeit wurde man im Medizinhistorischen Institut ungeduldig. Interne Berichte gelangten zum Tages-Anzeiger. Dieser machte die Ergebnisse im September 2012 publik. Der Rest ist weitgehend bekannt. Es kam zu Rechtsstreitigkeiten. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, verhaftete Verdächtige. Mitarbeiter wurden entlassen und freigestellt. Mörgeli ereiferte sich auf allen Medienkanälen. Die Kommunikation der Uni versagte. Zuletzt wurden gar E-Mails von mindestens 8000 Uni-Angehörigen durchforscht und alle, die Kontakt zu bestimmten Medien bewiesen, der Staatsanwaltschaft ausgehändigt. Schliesslich trat Rektor Andreas Fischer zurück. Er spürte auch den Druck der Professoren, die normalerweise im Rahmen ihres Lehrstuhls zwar viel Macht besitzen, bei anderen Entscheidungen, welche die gesamte Uni betreffen aber oft nur beschränkt mitreden können.

Zu unterst in der Machtkette stehen der Mittelbau und die Studierenden. Einzelne Vertreter forderten, der Mittelbau solle sich für entlassene Uni-Mitarbeiter einsetzen. Die Vereinigung akademischer Mittelbau der Uni Zürich (VAUZ) konnte sich nicht dazu durchringen, eine klare Position zu beziehen. Der Mittelbau des Historischen Seminars beschloss schliesslich, eine Anfrage an den Zürcher Datenschützer Bruno Baeriswyl zu richten, der die Rechtslage abklären sollte. Baeriswyl ermittelte aber ohnehin bereits, ob auch Studierenden-E-Mails von der Uni durchsucht worden sind und ob die Herausgabe rechtmässig war. Die Position des Mittelbaus ist so schwach wie diejenige der Studierenden. Sie sind auf Gedeih und Verderb ihren Professoren ausgeliefert, bei denen sie angestellt sind – und bei den Studierenden ist die verfasste Studierendenschaft noch zu wenig verankert, als dass sie die Rolle als ernstzunehmender Player an der Uni einnehmen könnte.

Die drei Geschichten von Brigitte Tag, Andreas Fischer und Christoph Mörgeli lassen sich nicht komplett auflösen. Dafür ist die Universität zu vielschichtig und intransparent. Doch sie zeigen: Die Uni wird schwach geführt von Uniräten, die kaum strategische Entscheidugen treffen und zu wenig Zeit haben, sich ausreichend der Uni zu widmen. Die Verantwortung dafür trägt der Regierungsrat, der den Unirat zusammenstellt und die Unileitung wesentlich mitbestimmt. Eine Lösung wäre eine selbstverwaltete Uni, die nicht wie ein Unternehmen geführt wird.