Unser ZS-Reporter, wie John McClane am öffentlichen Telefon. Anna Dettwiler

Sieben Tage ohne

Ein ZS-Reporter lebt eine Woche in digitaler Abstinenz: ohne Handy, ohne Internet, ohne Fernseher.

28. November 2013

Endlich Ruhe. Kein Surren, kein Piepsen und kein Scrollen mehr. E-Mails und Whatsapp können mir gestohlen bleiben. Ach was, ich verzichte gleich auf alle digitalen Gadgets! Das heisst: sieben Tage ohne Mobiltelefon, Internet, Laptop und MP3-Player.

Bevor ich offline gehe, schreibe ich die wichtigsten Handynummern in ein Notizheft und kaufe mir am Kiosk eine Taxcard. Per Mail verkünde ich meiner Familie und meinen Freunden, dass ich für eine Woche digital tot sein werde, schalte mein Handy aus und werfe es in eine Ramschschublade.

Alte Tapes und schlechte Hörspiele

Alles läuft gut, bis zum dritten Tag. Da suchen mich Entzugserscheinungen heim. Es ist nicht das Handy, das mir fehlt, sondern meine Musik. Sie ist komplett digital und somit verboten. Die einzige Kassette, die ich besitze, ist ein Hörspiel von Knight Rider. Aus Mitleid reicht mir mein Mitbewohner eine Aufnahme der Radiosendung Rock-Specials aus dem Oktober 2001. Bei der dritten Wiederholung des Tapes gröle ich den Refrain einer Punkversion von Ricky Martins «Livin’ La Vida Loca» mit, während ich gelangweilt den von Zahnpastaflecken gepunkteten Spiegel des Badezimmers poliere.

Zwei Tage später halte ich diese akustischen Grausamkeiten nicht mehr aus. Ich stelle das Radio an. Auf SRF 2 läuft ein Hörspiel über eine Totgeburt. Hölle! Ich wechsle zu Radio Lora. Aus den Lautsprechern dringt Trommelmusik und verströmt die Melancholie endlos scheinender Tage auf irgendeiner maghrebinischen Hochebene. Man hört förmlich die Ziegen weinen ob der drögen Trommelei ihres Hirten. Ich mache das Radio aus und durchstöbere mein Büchergestell. Der Griff zu einem Band von Christian Kracht stellt sich wie immer als gute Wahl heraus. Sowieso lese ich in der ganzen Woche viel. War nicht dies der Grund, warum ich zu studieren begann?

Schwieriger gestaltet sich das Lesen von Texten für die Uni. In der ZB stehe ich vor den Zettelkästen. Das sind die riesigen Regale mit den unzähligen Schublädchen, vor die sich höchstens ein paar Pensionierte verirren. Ich durchstöbere die abgegriffenen Kärtchen. Ein Bibliothekar nähert sich mir und informiert mich freundlich, dass die Bücher nur bis 1989 registriert sind. Heutzutage recherchiere man online. Ich frage mich: Wie schrieb man früher eigentlich Seminararbeiten? Keine Ahnung. Hätte ich ein Handy, würde ich es googeln. Momentan habe ich andere Probleme. Ich brauche die Texte für mein Seminar. Zum Glück verfüge ich über die Telefonnummer eines hilfsbereiten Tutors, der mir die benötigten Bücher zum Kopieren leiht.

Präventionsmesse als Alternative

Als ich frühmorgens an der Tramhaltestelle stehe, erleuchtet ein blauer Schein die wartenden Pendler. Fast andächtig starren sie mit gesenktem Kopf auf ihre Smartphones, die sie umständlich und doch irgendwie zärtlich in ihren hohlen Händen halten. Zusammen sehen sie aus wie der fiebrige Traum eines von Zweifeln zerfressenen expressionistischen Malers. Für gewöhnlich würde ich mich in dieses Bild einfügen. Doch heute stehe ich daneben und zähle die Stunden, die ich während einer Woche im Internet verbringe. Ich komme auf etwa 12. Laut Bundesamt für Statistik liege ich damit weit über dem Durchschnitt, der etwa bei sieben Stunden liegt. Das erstaunt mich, da viele das Internet auch zum Streamen von Filmen und Serien nutzen.

Es ist Sonntag und draussen grau und kalt. Heute würde ich ebenfalls gerne einen Film streamen und mich ins Bett verkriechen. Stattdessen gehe ich zum Hauptbahnhof. Vielleicht weiss ja das Tourismusbüro hier, was Zürich an einem regnerischen Tag zu bieten hat? − Sie wissen es nicht. Ich könne ja in ein Museum gehen oder vielleicht in ein Café, heisst es da. Stattdessen besuche ich eine Präventionsmesse in der Bahnhofshalle. Sie nennt sich «Expo 50 plus – Generation Gold». Von Zungentests bis Handlesen ist alles dabei. In der Mitte der Messe sticht mir ein merkwürdiger, kugelförmiger Sessel ins Auge. Er sieht aus wie ein angeschwollenes Atom auf Füssen. In 12 Minuten soll darin der Schlaf von eineinhalb Stunden ersetzt werden – die Utopie einer schlaflosen Gesellschaft.

John McClane oder Drogendealer

Eines Abends sehne ich mich nach Bier und Geselligkeit. An einer Telefonsäule am Helvetiaplatz schiebe ich meine Taxcard in den metallenen Schlitz und wähle ein paar Nummern. Der Hörer in meiner Hand ist ekelerregend klebrig. Ich will nicht wissen, wie viele Bakterienkolonien sich darauf gerade vermehren. Von meinen Freunden erreiche ich niemanden. Also warte ich vor dem Apparat und rauche. Vielleicht ruft ja jemand zurück. Und tatsächlich klingelt das Telefon. Als ich den Hörer abnehme, werfen mir einige Passanten merkwürdige Blicke zu. Wahrscheinlich halten sie mich für John McClane aus «Die Hard 3» oder sogar für einen Drogendealer. Jüngst sagte mir eine Juristin nämlich, dass öffentliche Telefone bei diesen hoch im Kurs stehen. Für ein Bier hat die Anruferin dann leider keine Zeit.

Ich spüre zum ersten Mal meine eingeschränkte Mobilität. Ich bin an die Telefonzellen gebunden. Für spontane Schnapsideen sind diese nicht geeignet. Und doch fühlt sich diese Eingeschränktheit gut an. Ich bin auf mich alleine gestellt und muss mich bei niemandem dafür rechtfertigen, dass ich nicht zurückschreibe. Auch dann nicht, als ich zu spät zu einem vereinbarten Mittagessen mit einem Freund komme. Als ich zum Treffpunkt komme, drückt er wie wild auf seinem Smartphone herum. Ein paar Minuten Verpätung haben ihn aus der Fassung gebracht.

Nach einer Woche in digitaler Abstinenz verspüre ich kein grosses Verlangen, mein Handy aus der Ramschschublade hervorzukramen. Einzig das Internet und meine Musik habe ich vermisst. Als ich dann doch auf den Powerknopf drücke, bombardieren mich 350 Whatsapp-Messages und 48 Mails. Noch immer verspüre ich keine Lust, sie zu lesen, geschweige denn, sie zu beantworten.