Wirtschaft schmiert Wissenschaft: Konzerne bestimmen mit, was die Universitäten lehren und forschen. Andreas Spörri

Unis werden zu Konzernen

Was wir lernen und forschen, bestimmt die Wirtschaft. Nicht nur, weil die Unis auf Sponsoren setzen.

22. Oktober 2013

Eine UBS-Fahne flattert auf dem Dach des Uniturms im Wind. An der Fassade prangt ein riesiges McDonald's-Logo. Dies ist kein Bild aus der Zukunft, sondern aus der Vergangenheit. Es illustriert die ZS vom 30. November 2001 zum Thema «McUni? – wird auch die Uni bald privatisiert?». Zwölf Jahre später ist die Vision wahr geworden. Zumindest fast. Die Uni ist nicht in privaten Händen, die UBS hat ihr Logo aber an der Uni platziert. Zwar nicht am Hauptgebäude, dafür in Oerlikon an der Winterthurerstrasse 30. Die grösste Bank der Schweiz, die mit ihren kriminellen Geschäften weltweit für Schlagzeilen sorgte, hat hier ein eigenes Forschungsinstitut bekommen: das «UBS Center of Economics in Society».

Firmen sponsern Projekte, Institute und Lehrstühle in der ganzen Schweiz. In Zürich finanzieren die Bank Vontobel (Financial Engineering), die Wirtschaftsberatungsfirma Pricewaterhouse-Coopers (Financial Accounting), der Pharmakonzern Novartis (Gastroenterologie und Hepatologie) und die Jacobs Foundation (Jugendforschung) Professuren. Die Liste liesse sich noch erweitern. Wer wie viel zahlt, gibt die Universität nicht bekannt. Die grösste Teil des Universitätsbudgets stammt aber nach wie vor aus staatlichen Quellen. Die Hochschulen sind im schweizweiten Durchschnitt zu über 85 Prozent von Bund und Kantonen finanziert. Doch die Universitäten bauen das Fundraising aus. Der Bund unterstützt sie dabei. Dank dem Universitätsförderungsgesetz werden Sponsorengelder mit weiteren Beiträgen prämiert.

Sponsoren springen für den Staat ein

Auch die Uni Zürich setzt auf Sponsoren. Der Segen dafür kommt von höchster Stelle: «Die knappen staatlichen Mittel werden öfter dazu führen, dass sich die Hochschulen auch um private Unterstützung bemühen müssen», schreibt die Zürcher Erziehungsdirektorin Regine Aeppli im Jahresbericht 2012 der Uni Zürich.

Das erstaunt, denn Hochschulen machen mit privatem Geld nicht nur gute Erfahrungen. Die Universität Freiburg nahm vom Industriellen Adolphe Merkle im November 2007 100 Millionen Franken an und baute damit ein Forschungsinstitut im Bereich der Nanotechnologie auf. Weil die Adolphe-Merkle-Stiftung bestimmen wollte, was geforscht wird, und auch die Resultate der Forschung vermarkten wollte, kündigte schliesslich der Leiter des Instituts, Peter Schurtenberger seine Stelle aus Protest. Der Fall Freiburg ist ein Extrembeispiel für die Einmischung von privaten Geldgebern in die Freiheit von Forschung und Lehre. Fundraisingstellen von Hochschulen lehnen aber immer wieder Geld ab, weil sie sich mit den Gönnern nicht über die Verwendung einig werden.

Freiheit von Forschung und Lehre in Gefahr

Hochschulfinanzierung aus privaten Töpfen ist umstritten. Studierende, aber auch Professorinnen und Professoren fürchten um die Freiheit von Forschung und Lehre. Im «Zürcher Appell» wandten sich 27 Dozierende als Reaktion auf den UBS-Deal der Uni Zürich an die Öffentlichkeit, weil sie «die Unabhängigkeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, insbesondere derjenigen, die direkt von solchen Institutionen finanziert sind», in Gefahr sehen. Mittlerweile haben 1490 Personen den Aufruf unterschrieben.

Die Verfasser des Zürcher Appells argumentieren historisch. Universitäten seien aus der Idee entstanden, der freien Forschung, Bildung und Lehre einen geschützten und nicht käuflichen Ort zu schaffen. Direkt verbunden mit dieser Gründungsidee sei das wissenschaftliche Ethos, das den besonderen Ort Universität frei hält von politischen, ideologischen oder ökonomischen Verwertungsinteressen.»Doch hat es je eine Wissenschaft als l'Art pour l'Art, also frei von jeglichen Interessen, gegeben? Der ETH-Wissenschaftshistoriker Max Stadler bezweifelt das. Er diskutiert in seinem Seminar «Geld oder Wahrheit» mit Studierenden über das Verhältnis zwischen Ökonomie und Akademie. Historisch gesehen hätten ökonomische Interessen stets eine Rolle gespielt. «Die Produktion von Wissen ist immer schon von wirtschaftlichen Interessen durchwirkt gewesen und viele Erkenntnisse wären ohne das Streben nach Nutzen und Verwertung nie gewonnen worden.» So jedenfalls sehe man es heute, sagt Stadler «Daraus aber zu schliessen, das sei der Naturzustand und man könne die Universität den Konzernen überlassen, ist falsch», sagt er. Seit den 1980er Jahren habe sich der Druck auf die Hochschulen verstärkt, ihre Erkenntnisse ökonomisch zu verwerten, sagt Stadler. Dies lasse sich an einer Vielzahl von Indikatoren ablesen, etwa der Verbreitung von «Technology Transfer Offices», welche Forschende dazu beraten, wie sie ihre Ergebnisse zu Geld machen können.

Laut Stadler verlagert sich das Forschungsinteresse auf verwertbare Themen. Die Geisteswissenschaften kommen dadurch unter Druck. «Denn ihr Nutzen lässt sich nicht direkt in Geld ausdrücken.»

Geheimvertrag muss offengelegt werden

Letzte Woche wurde bekannt, dass der Vertrag zwischen der Uni Zürich und der UBS nicht geheim bleiben darf. Die Rekurskommission der Zürcher Hochschulen hiess Einsprachen der beiden Journalisten Marcel Hänggi (WOZ) und Matthias Daum (Die Zeit) weitgehend gut. Der Vertrag muss, bis auf Passagen, die einen Verhandlungsspielraum zulassen, offengelegt werden.

Für Marcel Hänggi ist das ein historischer Erfolg. Erstmals hat in der Schweiz eine juristische Instanz dazu Stellung bezogen, inwieweit Geheimverträge zwischen öffentlichen Hochschulen und privaten Geldgebern mit dem Öffentlichkeitsprinzip vereinbar sind. Er kommentierte das Ergebnis in der Wochenzeitung so: «Die Angst, künftig keine Sponsoringabkommen mit lichtscheuen Geldgebern mehr abschliessen zu können, ist kein zulässiger Grund, Sponsoringverträge integral geheim zu halten.» Tatsächlich begründete Rektor Andreas Fischer die Geheimhaltung des Vertrags ursprünglich damit, künftige Gönner könnten sonst abgeschreckt werden. Die Entscheidung der Rekurskommission, die noch angefochten werden kann, ist gut für die Forschungsfreiheit, aber schlecht für die Fundraising-Abteilungen der Universitäten. Denn Sponsoren scheuen sich vor Transparenz.

Weniger Sponsoren wegen der UBS?

Das bekommt Markus Schaad zu spüren. Er ist der Mann, der für die Uni Zürich bei Stiftungen, Firmen und reichen Privatpersonen die Klinke putzt. Schaad leitet die Geschäftsstelle der «UZH Foundation», die im April 2012 gegründet wurde und das Einwerben von Sponsorengeldern professionalisieren soll. Die Stiftung hatte mit dem UBS-Deal, der nur wenige Tage später bekannt wurde, noch nichts zu tun. Jetzt leidet sie unter ihm. Das Fundraising sei durch die 100 Millionen der UBS schwieriger geworden, sagt Schaad. Der Protest des «Zürcher Appells» habe potenzielle Geldgeber abgeschreckt. Schaad begrüsst aber die Diskussion, die nun geführt wird. «So können Vorbehalte abgebaut werden.» Die «UZH Foundation» kommt indes nicht auf Touren. In den 18 Monaten seit ihrer Gründung warb sie nicht einmal 10 000 Franken ein. Genaue Zahlen will Schaad nicht nennen. Die Kosten der «UZH Foundation» dürften die Spenden aber um ein Mehrfaches übersteigen. «Wir haben unterschätzt, wie schwierig es ist, potenzielle Donatoren von konkreten Forschungsprojekten zu überzeugen», sagt Schaad. Am schwierigsten sei es, Firmen dazu zu bringen, Geld zu spenden, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen. «Firmen sind ihren Aktionären verpflichtet und können nicht einfach Geld verschenken.»

Die Rektorenkonferenz und der Bundesrat lehnen nationale Richtlinien zum Sponsoring ab (siehe Interview mit Rektorenchef Antonio Loprieno Seite 20). Auf Stufe der einzelnen Universitäten sieht es aber ganz so aus, als würde das Hochschulsponsoring in Zukunft transparenter. Der zukünftige UZH-Rektor Michael Hengartner hat sich gegen Geheimverträge ausgesprochen, und auch die Studierenden ziehen mit. Ihr Verband, der VSUZH, setzt sich dafür ein, dass an der Uni Zürich alle gestifteten Gelder transparent ausgewiesen und von einer unabhängigen Stelle geprüft werden. Die «UZH Foundation» hat Ende August eine Vereinbarung mit der Uni Zürich unterschrieben, die ebenfalls Regeln zur Transparenz vorsieht.

Transparenz reicht nicht

Offengelegte Verträge sind aber noch keine Garantie für die Freiheit von Lehre und Forschung. Dies zeigt ein Buch von Marcel Hänggi, das in diesen Tagen erscheint. Er wirft unter dem Titel «Cui bono?» (Wessen Vorteil?) die Frage auf, wer bestimmt, was geforscht wird. Das Buch analysiert den Umgang der Unis mit privaten Geldern differenziert: Nicht jedes Sponsoring verfälscht die Forschung, und auch staatliche Finanzierung garantiert keine Neutralität. Hänggi zeigt aber auch auf, dass die Konzerne selbst dann noch einen Einfluss auf die Forschung haben, wenn ihr Engagement offengelegt ist. Beim Lehrstuhlsponsoring geschieht dies an manchen Unis, indem die Konzerne bestimmen können, wo eine Professur geschaffen wird. Zum Teil haben sie sogar Vertreterinnen oder Vertreter in den Kommissionen, welche die Lehrstühle besetzen.

Bei Auftragsforschung ist die Wirkung direkter. Von der Auswahl der Fragestellung bis hin zur Interpretation sind die Forschenden nicht mehr frei, wenn sie ihre Forschung nur dank einem Geldgeber betreiben können, der handfeste Interessen vertritt. Nur schon die Hoffnung, Sponsoren anzuziehen, beeinflusse die Wissenschaft, schreibt Hänggi. So werden Forschungsfragen, die kommerziell verwertbare Resultate versprechen, tendenziell bevorzugt. Als Beispiel nennt er die Medizin. So haben Heilmethoden für Wohlstandskrankheiten bessere Chancen erforscht zu werden, als Therapien für Armutssymptome. Denn Letztere lassen sich weniger gut vermarkten. Entwicklungsorganisationen können hier als Korrektiv wirken.

Überall Wettbewerbe

Hänggi macht aber noch eine weitere Tendenz aus, die schwerer nachzuweisen sei, aber weiterreichende Konsequenzen habe. Private Finanzierung, Wettbewerbslogik zwischen den und innerhalb der Hochschulen und das wachsende Gewicht von Zitierindizes, Ranglisten und Evaluationen gefährden die akademische Gemeinschaft. Was Hänggi beschreibt, haben Andere schon als «Ökonomisierung der Bildung» beschrieben. In eine ähnliche Richtung gehen Beobachtungen des Soziologen Peter Streckeisen. Er stellt fest, dass an den Universitäten ein Paradigmenwechsel stattfindet. Die Ökonomie behaupte sich als Leitwissenschaft. Ihre Modelle von Rational Choice, Nutzenmaximierung und Humankapital setzen sich in anderen Disziplinen durch und haben nun auch die Bildungsforschung erreicht, wie er in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift «Widerspruch» schreibt. Exemplarisch für diese Entwicklung sei, dass um die Jahrtausendwende die Leitung der Koordinationsstelle des Bundes für Bildungsforschung nach der Pensionierung eines Soziologen (Armin Gretler) einem Ökonomen (Stefan Wolter) übergeben wurde.

Doch was der Ex-Banker Wolter nun für die nationalen Bildungsberichte untersucht, dürfte ihm gar nicht so fremd sein. Denn die Universitäten benehmen sich längst wie Unternehmen, die um Sponsoren und die schlausten Köpfe konkurrieren. Was für die Konzerne die Aktienkurse, sind für Unis die Hochschulrankings. Dort kann punkten, wer private Gelder einwirbt. Und je höher eine Uni im Ranking steigt, desto attraktiver ist sie für Sponsoren. Wer Rektoren sprechen hört, stellt fest, dass sie davon träumen, mit internationalen Spitzenuniversiäten wie Harvard, Yale oder Cambridge mitzuhalten. Auch durch Sponsorengelder soll «Exzellenz» erreicht und «Innovation» gefördert werden.

Die ZS-Journalistinnen und -Journalisten von 2001 lagen falsch mit ihrer Schreckensvision einer privaten Uni Zürich. Die Universitäten bleiben öffentlich. Ihr Innenleben gleicht aber je länger je mehr dem eines privaten Konzerns. Weit sind sie vom Bild auf dem Cover der ZS vom 30. November 2001 nicht mehr entfernt.

Marcel Hänggis Buch zur Hochschulfinanzeriung: «Cui bono – Wer bestimmt, was geforscht wird?».

Eine Studie über die Beziehung zwischen öffentlicher Wissenschaft und Industrie in der Schweiz. Herausgegeben von Ueli Mäder und Simon Mugier.

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