Benjamin Erdman

Das buntere Kunsthaus

Der Verein Zitrone hat aus einem leer stehenden Haus an der Badenerstrasse ein vielfältiges Kulturhaus gemacht. Hier treffen Architekten auf DJs und betonieren die Terrasse.

17. September 2013

Am Morgen ist es still um die Badenerstrasse 565 in Zürich. Seit der Verein Zitrone vor einiger Zeit in den Bürokomplex der Swisscanto eingezogen ist, wird es im Verlauf des Tages jedoch laut und bunt hinter den Türen des roten Gebäudes. Im Haus reihen sich Kreativwerkstätten aneinander. Künstler, Grafiker, Designer und Architekten haben hier ihre Büros eingerichtet. Hinter der Glasfassade zur Strassenseite hin stehen grosse, bunte Installationen. Im Keller des Hauses befinden sich Tonstudios und Bandräume.

Den Überblick über die 120 Kunst- und Kulturschaffenden behält Mämä Sykora. Er ist für die Koordination der Räume zuständig. Als Chefredaktor des Fussballmagazins Zwölf hat er hier selbst einen Platz gefunden. Das Blatt hat hier seine Redaktionsräume.

Riesige Nachfrage

Als Sykora mit Freunden im März das Haus als Leihgabe übernahm, wurde er mit Anfragen für Plätze überschwemmt. «Es war schwierig, herauszufinden, wer den Raum am meisten braucht», sagt Sykora. «Am Anfang wollten alle so viel Platz wie möglich.» Besonders viele Anfragen hätten sie von Künstlern erhalten, die elektronische Musik machen. Ihr Konzept sei es aber, eine Vielfalt von Aktivitäten im Haus zu haben. «So vergaben wir die Plätze nur noch an Bewerber, die nicht elektronische Musik machen.»

Nicht nur die Auswahl, auch der Einzug war schwer. Strom hatte zunächst nur das oberste Stockwerk. Der Rückbau des Gebäudes hatte damals bereits begonnen, Teile der Decke waren herausgerissen, Kupferjäger durch die Gänge gezogen. «Unsorgfältig hatten sie Kabel und Leitungen durchgeschnitten, sodass niemand wusste, wo der Strom anging, wenn man den Schalter drückte», erzählt Sykora.

Heute hat es auf allen vier Stockwerken Strom. Sogar in der «Turnhalle» geht das Licht an. In diesem über 30 Meter langen Saal steht bloss ein Ping-Pong-Tisch und lädt zum Riesenrundlauf ein. Diesen riesigen Raum hat Sykora erst zwei Monate nach dem Einzug entdeckt, so gross und verwinkelt ist das Haus. Platz genug hat es auch für ein hauseigenes Kino. Rot-braune Kinosessel reihen sich im langen Raum, an der Vorderseite des Hauses, leicht abfallend aneinander. «Ein alter, in Deutschland lebender Kroate hat uns das ausrangierte Kinomobiliar verkauft», sagt Sykora. Zum gemütlichen Filmabend kann in der Kantine im obersten Stock Popcorn oder ein ganzes Abendessen gekocht werden. Der Verein hat an der Badenerstrasse für weit mehr als nur Arbeitsplätze gesorgt. Ein Seiteneingang führt an der Badenerstrasse in die neuen Räumlichkeiten der Autonomen Schule Zürich (ASZ). Hier werden Migranten in verschiedenen Fächern, vor allem aber Deutsch, unetrrichtet. Nachdem die Schule im Mai bereits zum zehnten Mal seit ihrer Gründung umziehen musste, finden ihre Aktivitäten hier statt.

Wie in einer grossen WG

Viele Künstler, die nun an der Badenerstrasse malen, musizieren, designen, nähen, fotografieren oder Häuser planen, haben schon zuvor in einem ähnlichen Umfeld nebeneinander gearbeitet. Sie haben sich an die Vor- und Nachteile solcher Projekte gewöhnt. Daran zum Beispiel, dass hier manchmal Sachen spurlos verschwinden. Wie der Zucker, den sich Sykora gerade in den Kaffee schütten will. Sobald man das Verschwundene ersetzt habe, tauche es irgendwo zufällig wieder auf, sagt er und fügt an: «Hier geht es manchmal zu und her wie in einer grossen WG.»

Die Kostümbildnerin Annina ergänzt: «Manchmal kann es nervig sein, mit so vielen anderen im Haus zusammenzuarbeiten.

Es muss viel diskutiert und abgesprochen werden. Die unterschiedlichen Ansichten bereichern den Arbeitsort aber auch.» Einen Raum weiter sitzen eine Malerin, eine Kostümbildnerin und ein Schauspieler bei einer Tasse Kaffee zusammen und plaudern über ein neues Kunstprojekt. Weil das Haus so viele verschiedene Künstler vereint, entstehen immer mal wieder künstlerische Kollaborationen. Auch bei aufwändigen Arbeiten, wie dem Betonieren der Terrasse, finde man immer jemanden, der helfen könne, sagt Sykora. Selber machen ist die Devise des Hauses, in dem ein Kultur- und Lebensraum entstanden ist.

Die Zwischennutzung an der Badenerstrasse blüht und sprüht vor Enegie. Die Unsicherheit, nie zu wissen, wann sie das Haus wieder räumen müssen, nimmt Sykora gelassen: «Es zwingt uns dazu, Ideen tatsächlich umzusetzen. Je früher man etwas macht, desto länger hat man es.»