Philippe Amrein denkt etwas wehmütig an die intensive Zeit bei der ZS zurück. Mischa Scherrer

Mit Nikotin durch die Nacht

Zum 90jährigen Jubiläum blickt Philippe Amrein nochmals zurück auf die Tage und vor allem die Nächte bei der ZS voller Rauch und Ideen.

7. Mai 2013

Den rustikalen Glamour von damals haben wir längst verdrängt. Wir sehen ihn bisweilen bloss noch in angejährten Hollywoodfilmen, auf vergilbenden Polaroid-Aufnahmen oder in weit abgelegenen Gegenden unserer Erinnerungslandschaften. Doch als ich im Frühsommer 1997 auf dünnen Sohlen das knarzende Riemenparkett der ZS-Büros betrat, war alles noch ganz anders. Zum Vorstellungsgespräch versammelte man sich zwischen überquellenden Regalen und beinahe berstenden Einbauschränken an einem Bürotisch, der in seiner Verbasteltheit an eine Bauhaus-Variante von Schwitters' Merzbau gemahnte. Die Redaktorinnen und Redaktoren sassen mit kritischen Gesichter auf ihren Bürostühlen, rauchten Kette und deckten den ebenfalls kettenrauchenden Jüngling mit einer Flut von Fragen zur Zeitung zu. Ich sass einfach nur da und zog bedächtig-unverdächtig an meiner Winston, während sich in meinem Kopf die passgenauen Antworten zusammenfügten wie Tetris-Steine – ein Spiel übrigens, das ich bei der späteren Kolumnenarbeit als Sparringpartner lieben lernte.

Kurzum: Man nahm den jungen Raucher ins fünfköpfige Team auf und liess ihn fortan – zum Einheitslohn von 100 Franken pro Ausgabe – Woche für Woche in sämtlichen Rubriken herumwerkeln.

Durchgearbeitete Nächte und handgeklebte Inserateseiten

Und dort sassen wir dann, vor unseren uralten Apple-Computern (die grosse iMac-Wende kam leider erst lange Monate später), hauten in die Tasten neben unseren Aschenbechern, warteten vor dem Fax-Gerät auf Artikel, die eigentlich schon längst hätten angekommen sein müssen, führten fiebrige Ferngespräche am Festnetztelefon – und hofften einfach darauf, dass alles irgendwie fertig sein würde bis Donnerstagmorgen um 7 Uhr 30. Denn dann musste jeweils jemand von uns die Wechselfestplatte und die von Hand geklebten Inserateseiten per Velokurier in die Druckerei nach Altstetten spedieren lassen.

Wie wir das jeweils geschafft haben, kann ich aus heutiger Warte nicht mehr vernünftig erklären. Aber: Wir haben es immer geschafft. Selbst wenn das einen laaangen Fussmarsch vom Büro in die Druckerei bedeutete, ausgeführt in den frühen Morgenstunden eines frostigen Novembertages – auf sehr dünnen Sohlen.

Der Morgen war jeweils ein Mühsal, doch die durchgearbeiteten Nächte vor Druckschluss bestätigten mich in meiner Begeisterung für das auf Zeitungspapier gedruckte Wort, das ebenso flüchtig ist wie eine melancholische Liedzeile, die man hin und wieder unbewusst aufschnappt und mit sich durch den Alltag trägt.

Je später, desto besser die Ideen

Im nächsten Sommer haben wir diesen Spirit – für eine kurze Zeit – verewigt. Mit einem Bild des übernächtigten Serge Gainsbourg, der komplett erschöpft, aber souverän an seiner Gitane festhaltend, nach einer langen Nacht im Aufnahmestudio in die Linse des Fotografen blickt. Darüber in der alten Apple-Systemschrift «Chicago» in grossen Lettern ausgedruckt: «Serge Gainsbourg is watching you.»

Unter der – wenngleich bloss papierenen – Aufsicht des grossen Schutzpatrons der kreativen Nachtarbeiter fühlte ich mich immer bestens aufgehoben. Denn je später der Abend, desto besser die Ideen. In jenen wegdröselnden Stunden entwarfen wir frühe Werbekampagnen mit den Bodybuildern Axel und Siggi, kreierten ein spezielles Piet-Mondrian-Geschenkabo oder bastelten an einer Skizze herum, die das Uni-Hauptgebäude als Schiff abzubilden versuchte. Alles in angemessener Kontemplation. Wir liessen den Rechner rechnen, während wir rauchten, rauchten, rauchten, rauchten, die Aschenbecher leerten – und schon wieder mit einer neuen Idee aus der Küche traten.

Womöglich waren wir die letzen Vertreterinnen und Vertreter dieser alten, von kreativen Grössen wie Bob Dylan, David Bowie (er darf mittlerweile wohl nicht mehr), Lisa Germano, Caitlin Rose und Kurt Wagner noch immer verkörperten Riege vernünftiger Menschen, die dem sublimen Verpuffen des Gegenwartsgewichts in Rauchwolken eine existenzielle Komponente abgewinnen können. Fast alle von uns haben das Laster aufgegeben. Doch mich begleitet das leise glimmende Licht noch immer. Auf meinem Weg durch lange Nächte.

*Philippe Amrein (36) hat Ende 1996 seinen ersten umfangreicheren Artikel in der damaligen «Zürcher Studentin» veröffentlicht. Anschliessend verfasste er die zweiwöchentliche Kolumne «Mann über Bord» und trat im Sommer 1997 als Mitglied ins ZS-Redaktionskollektiv ein. Anfang 1999 verliess er die Büros an der Rämistrasse 62 und übernahm die Redaktionsleitung der Musikzeitung «Loop», die er nach wie vor betreut. Bis in die späten Nullerjahre hinein blieb er der ZS mit seiner Kolumne «Aberschosicher!» erhalten, wirkte währenddessen an diversen Buchpublikationen mit, ist Co-Autor der VBZ-App «Züri schlaflos» und arbeitet hauptberuflich als Produzent beim «Tages-Anzeiger», wo er weiterhin die Nacht zum Tag macht. Und umgekehrt.

Philippe Amrein studierte Philosophie, Germanistik und Volkskunde.

90-Jahre ZS

Die Zürcher Studierendenzeitung wurde 1923 als «zürcher student» gegründet. Hinter der ältesten Studierendenzeitung der Schweiz steckt ein bewegtes Stück Geschichte. Und eine ganze Menge vergessener sowie unvergessener Autoren. Wenn man ehrlich sein soll, hat dieser Zürcher Student einen ambivalenten Charakter: Erst wollte er nationalistisch sein. «Schriftleiter» Robert Tobler war mit-, wenn nicht hauptverantwortlich, dass die Zeitung in den 30er Jahren stark nationalistisch geprägt war und die Inhalte der Propaganda des dritten Reiches nahe kamen. Dann machte das Blatt in den wilden 60ern linksaussen voll Dampf und unterzog sich als Höhepunkt seiner Morphose einer Geschlechtsumwandlung (und hiess fortan «Zürcher Studentin»). 2007 fusionierte sie mit der Quartalszeitschrift für die Uni und ETH «iQ» und ist seither die grösste Studierendenzeitung der Schweiz. 2010 und 2012 wurden ZS-Artikel mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet. 2013 wurde die ZS zudem von der Stiftung ProCampus-Presse als beste deutschsprachige Studierendezeitung ausgezeichnet.

In einer Serie zum 90-jährigen Jubiläum stellt die ZS ehemalige Journalisten vor. Unter ihnen heute bekannte Grössen wie Constantin Seibt (Tages-Anzeiger), Mathias Ninck (Das Magazin) oder Marcel Hänggi (u.a. NZZ, WOZ).