Jan Gollob

Interdisziplinäres

26. April 2013

Vergleichend-empirische Soziofloristik

Die Exponenten der heute hier vorgestellten grossangelegten Urban-Feldstudie sind überzeugt, dass die Theoretiker, während sie im Elfenbeinturm Luhmann lesen, ins Blaue spekulieren und auf keinen grünen Zweig kommen, in der bunten Welt der Alltagsflora der normalen Leute ins Schwarze träfen. Getreu der bislang falsch verstandenen Redensart «sags mit Blumen» drücke sich das gesamte Weltbild von Herr und Frau Schweizer in ihren Balkonpflanzen aus. «Eine Tulpe sagt mehr als hundert Worte», weiss der Projektsprecher. Unserem Reporter wurde gleichsam durch die Blume prophezeit, er sei zwar sicher ein sehr weltgewandter Journalist, doch werde sich auf seinem Fensterbrett höchstens etwas vertrockneter Rosmarin finden. In der Tat hat das Forschungsteam – keine Rose ohne Dornen – mit der zunehmenden Petunienabstinenz zu kämpfen und steht dem Aufstieg des Kräutergartens ratlos gegenüber. Auch die Mimose wird bis anhin eher stiefmütterlich behandelt, und an den Hornveilchen beissen sich die Wissenschaftler den Löwenzahn aus. Allerdings soll bald ein im Keimen begriffenes Standardwerk (die Geraniendeutung) dem Laien helfen, die komplizierte Symbolik auf Nachbars Terrasse zu entschlüsseln und so auf sehr zuverlässige Weise zu erfahren, ob er es ist, der immer sein Poschtiwägeli vor die Waschküche stellt. Unverblümt verkünden die Forscher überdies das Ende des Einflusses Max Webers auf die Soziologie, denn Balkonlilien hätten weder mit Kapitalismus noch mit protestantischer Ethik zu tun, sondern mit Integrität.