Andrea Fröhlich

Ab ins Kloster!

ZS-Reporterin Andrea schaut hinter die Mauern des Frauenklosters Ilanz und trifft dabei auf aufgeschlossene Schwestern.

26. April 2013

Vorsichtig öffne ich die Tür zu meinem Zimmer. Meine Blicke wandern durch den Raum: ein schmales Bett. Ein einfacher Schrank. Ein kleines Lavabo. Ein grosser Schreibtisch. Ein hölzerner Stuhl. Das wars auch schon. Mehr gibt es in der kleinen, schmalen Kammer nicht. Die Neugierde hat mich dazu getrieben, an der Klosterwoche in Ilanz teilzunehmen. Seit mehr als 30 Jahren ermöglicht das Reformierte Hochschulforum Studierenden, eine Woche im Kloster zu verbringen, um sich auf Prüfungen vorzubereiten oder einfach mal abzuschalten.

Ich nehme am Tagesrhythmus des Klosters teil. Dieser beginnt um halb sieben mit dem ersten Gottesdienst. Beim Gedanken an das frühe Aufstehen verfliegt meine ursprüngliche Euphorie. Obwohl uns die Schwestern warm und freundlich empfangen, kann ich nicht nachvollziehen, dass diese Mauern für jemanden ein Zuhause sein können. Wie fühlten sich die Schwestern damals, als sie – nur wenig älter als ich heute – ins Kloster eintraten? Sie fassten mit Mitte 20 den Entschluss, hier ihre ewige Profess abzulegen, eine Art lebenslänglichen Vertrag mit dem Kloster.

Heute leben noch 125 Schwestern hier. Die Jüngsten sind bereits über 50 Jahre alt. Die Schwestern erzählen mir offen, warum sie ins Kloster eintraten. Religiös aufgewachsen seien sie praktisch alle. Trotzdem war es nicht nur der Glaube, der sie schon in jungen Jahren zum Klosterleben bewog. Der Wunsch nach Unabhängigkeit, Neugierde und Fernweh waren ausschlaggebend. Als Schwestern konnten sie auf Mission nach China, Brasilien oder Taiwan.

Für viele war das damals die einzige Möglichkeit, zu reisen. Unverheiratet, gebildet, mutig und unabhängig begaben sie sich auf den abenteuerlichen Weg. Für eine junge Frau, die kein Leben als «schuftende» Hausfrau führen wollte, muss das eine unglaubliche Chance gewesen sein. Je mehr mir die Schwestern von sich erzählen, desto mehr erscheint mir das Kloster als eine Art Hochburg der emanzipierten Frau.

Starre Hierarchien

Ich sitze auf der Kirchenbank. Um mich herum wird das Abendmahl abgehalten. Ein Priester erhebt sich. Er geht zum Altar, um den Wein zu segnen. Zwei Schwestern folgen ihm. Die demütige Art, in der sie dem Priester zur Hand gehen, befremdet. Es werden Lieder gesungen, deren Texte schwer verständlich sind. Der Klang der schönen, hellen Stimmen der Schwestern löst die Stille der Andacht ab. Die Ehrfurcht vor Gott ist spürbar. Das Selbstbewusstsein, von dem die Schwestern bei ihren Berufungsgeschichten sprachen, gerät bei diesem Bild ins Wanken. Die starren Strukturen des Katholizismus stehen in starkem Kontrast zu den unabhängigen Frauen, die ich hier kennengelernt habe.

Der katholischen Kirche ist der Emanzipationsgedanke bis heute fremd. Doch die Schwestern brauchen im Alltag keine Unterstützung von Männern. Sie haben sich sogar aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über den früheren Bischof Haas vom Bistum Chur getrennt. Trotzdem sind sie Teil einer Kirche, die den Männern mehr Rechte zuschreibt als den Frauen. Diese Hierarchie hat laut Schwester Madlen, die für die Unterbringung unserer Studierendengruppe zuständig ist, nicht nur negative Seiten. Im Gegenteil: Sie erklärt mir, dass es zu Eifersucht und Unstimmigkeiten kommen könnte, wenn eine Schwester aus ihrer Mitte die Tätigkeiten des Priesters ausüben würde. Mit gemischten Gefühlen mache ich mich auf den Weg in den Speisesaal.

Ich möchte herausfinden, wie die anderen Studierenden über den Klosteralltag denken. Die wenigsten von uns sind mit den katholischen Riten vertraut. Eine Studentin hat als Kind ministriert und erklärt uns das Nötigste über die Strukturen und Abläufe in der katholischen Kirche.

Verzicht auf ein normales Leben

Innerhalb der Studierendengruppe diskutieren wir viel. Der einzige männliche Student, der sich ins Frauenkloster wagte, lernt viel für die Uni, und so sind wir Frauen meistens unter uns. Während wir über Gott, das Weltgeschehen, Beziehungen, Sexualität und Emanzipation sprechen, frage ich mich, was die Schwestern wohl gerade tun. Sitzen auch sie bis spät in die Nacht zusammen und sprechen über ähnliche Themen?

Einmal lädt uns Schwester Madlen nach der Messe auf ein Glas Wein ein. Die Atmosphäre ist locker. Sie beantwortet offen all unsere Fragen. Ihre Beziehung zu Gott fordere sie immer wieder aufs Neue heraus. Die Schwestern leben enthaltsam, aber Sexualität und Familie kämen trotzdem zur Sprache. Gerade im Alter würden viele die Enkelkinder vermissen. Es sei zudem wichtig, dass eine Schwester vor ihrem Klostereintritt einmal verliebt gewesen sei. «Man kann sich nicht bewusst gegen etwas entscheiden, das man nie erlebt hat», sagt sie. Der Verzicht auf ein normales Leben müsse immer wieder von neuem und ganz bewusst gewählt werden.

Abgebaute Vorurteile

Dass die Schwestern in Ilanz nicht von vorgestern sind, spüre ich im «Haus der Begegnung», in dem wir Studierenden wohnen. Das Gebäude neben dem Kloster war früher ein Internat. Die Schwestern funktionierten es zu einer Art Hotel um. Hier finden alle Menschen, egal welcher Religion oder Konfession, Unterschlupf. Auch Paare sind herzlich willkommen und dürfen zusammen im Doppelzimmer übernachten. Solche neuen Strategien braucht es, um das Kloster am Leben zu halten.

Während ich bei einer morgendlichen Andacht die vielen singenden Schwestern betrachte, wird mir bewusst, wie hoch ihr Durchschnittsalter ist. Einige werden gar im Rollstuhl in die Kirche geschoben. Nachwuchs zu finden, ist für die Klöster schwierig, erklärt Schwester Madlen. Vielleicht auch, weil die ursprünglichen Ziele, die der Gründer Johann Fidel Depuoz im 18. Jahrhundert verfolgte, bereits erreicht sind. So wurde das Schul- und Gesundheitswesen im Bündner Oberland mittlerweile aufgebaut. Schwester Madlen steckt voller Ideen für das Kloster. Sie steht Schwierigkeiten positiv gegenüber und packt Probleme sofort an.

Im Gespräch mit Schwester Madlen spüre ich etwas, was ich schon während der ganzen Woche gesucht habe. Eine Art Versöhnung mit dem Dominikanerinnen-Dasein, das von so grossem Verzicht geprägt ist. Die Schwestern haben mich davon überzeugt, dass sie mehr als blosse Marionetten ihres Glaubens sind. Als ich in der Rhätischen Bahn dem Unterland entgegenkurve, fühle ich mich erleichtert. Die engen Klostermauern und einige Vorurteile habe ich hinter mir gelassen.