Mathias Ninck bei seiner Arbeit. Tom Kawara

«Meine ZS-Karriere endete auf der Leserbriefseite»

Mathias Ninck machte mit der ZS die Erfahrung, dass Frauen ihn anlächeln können. Der «Magazin»-Redaktor über seine Zeit bei der Zürcher Studierendenzeitung.

20. April 2013

Ich machte mit der ZS eine überraschende Entdeckung. Ich war blutjung damals, höchstens zwanzig, ganz frisch an der ETH. Es gab da auch eine Filmstelle, was mir gefiel, und an einem Abend wurde Monty Pythons «Die Ritter der Kokosnuss» gezeigt. Der Hörsaal war voll und wurde voller, immer noch voller, es hörte nicht mehr auf mit dem Vollerwerden. Die Frau von der Filmstelle schrie, «Hallo, Ruhe!, wer keinen Sitzplatz hat, muss leider wieder gehen! Vorschrift! Der! Feuerpolizei!» Ein gigantisches Wuhuuwuhuu-Gejohle rollte über die arme Frau. Sie hatte jetzt einen knallroten Kopf, und sie schrie: «Alle müssen wieder raus! Und dann lassen wir jeden einzeln wieder rein, hier vorne, bei dieser Türe, bis der Saal voll ist!» Noch mehr Wuhuu. Eine halbe Stunde ging das, Feuerpolizei und Geheul und Kreischen. Der Film wurde nicht gezeigt. Die Episode war natürlich eine gute Vorlage für eine kleine Satire. Ich versuchte es, schickte sie der ZS. Die druckten das. Vollumfänglich. Ohne ein Komma zu ändern. Und sie schickten mir 20 Franken nach Hause, in bar. Als die Zeitung ein paar Tage später erschien, setzte sich eine Studentin neben mich, sie wedelte mit der ZS, sagte: «Hast du das geschrieben?» Ich muss noch anfügen, dass das nicht einfach irgendeine Studentin war, es war die Miss Pythagoras, die absolut hammermässigste Studentin unseres Semesters, vielleicht der ganzen ETH. Ein Prachtexemplar. Sie sagte: «Hey. So geil. Ich hab’ in die Hosen gemacht vor Lachen.» Mein Herz galoppierte. War das möglich? Dass mich diese Studentin, die mindestens tausend Welten, nein, Galaxien von mir entfernt war, anlächelte? Ja. Sie lächelte mich an. Ich machte mit der ZS also die Entdeckung, dass einen Frauen anlächeln können. (Danke, liebe ZS, und Glückwunsch zum Jubiläum).

Der einzig wirklich brauchbare Text

Ich schrieb dann ab und zu Artikel, bis die Sprachfeminisierung kam, das war das Ende. In der ZS wurde alles weiblich. Aus jedem «man» wurde «frau», aus jedem «Chef» eine «Chefin», selbst wenn es ein Mann war. Zuerst fand ich es lustig, wie ein Witz, es war zum Totlachen, aber als die Redaktion nicht mehr aufhörte mit dem Unfug und ihn immer ernster betrieb, schrieb ich eine wilde Verteidigungsschrift für die politisch unkorrekte Sprache, gegen die Verbürokratisierung des Deutschen. In meiner Erinnerung ist das der einzig wirklich brauchbare Text, den ich der ZS abgeliefert habe. Der Text erschien nicht. Ich rief an, was los sei. Der Chef sei grad nicht da, liess man mich wissen, sie starteten die Vertröstungs- und Abwimmelungsmaschine. Ein paar Wochen später erschien auf der Leserbriefseite der Text, völlig verstümmelt, die besten Argumente waren weggeschnitten. Meine ZS-Karriere endete auf der Leserbriefseite. Ich verabschiedete mich gerne aus diesem Verein, der mir damals auf einmal nordkoreanisch vorkam.

*Mathias Ninck (44), ist Redaktor «Das Magazin». Er studierte an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften und schrieb anfangs der 90er Jahre bei der ZS.

90-Jahre ZS

Die Zürcher Studierendenzeitung wurde 1923 als «zürcher student» gegründet. Hinter der ältesten Studierendenzeitung der Schweiz steckt ein bewegtes Stück Geschichte. Und eine ganze Menge vergessener sowie unvergessener Autoren. Wenn man ehrlich sein soll, hat dieser Zürcher Student einen ambivalenten Charakter: Erst wollte er nationalistisch sein. «Schriftleiter» Robert Tobler war mit-, wenn nicht hauptverantwortlich, dass die Zeitung in den 30er Jahren stark nationalistisch geprägt war und die Inhalte der Propaganda des dritten Reiches nahe kamen. Dann machte das Blatt in den wilden 60ern linksaussen voll Dampf und unterzog sich als Höhepunkt seiner Morphose einer Geschlechtsumwandlung (und hiess fortan «Zürcher Studentin»). 2007 fusionierte sie mit der Quartalszeitschrift für die Uni und ETH «iQ» und ist seither die grösste Studierendenzeitung der Schweiz. 2010 und 2012 wurden ZS-Artikel mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet. 2013 wurde die ZS zudem von der Stiftung ProCampus-Presse als beste deutschsprachige Studierendezeitung ausgezeichnet.

In einer Serie zum 90-jährigen Jubiläum stellt die ZS ehemalige Journalisten vor. Unter ihnen heute bekannte Grössen wie Constantin Seibt (Tages-Anzeiger), Mathias Ninck (Das Magazin) oder Marcel Hänggi (u.a. NZZ, WOZ).