«Der Markt ist nicht in der Lage, Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten zur Verfügung zu stellen», sagt Professor Bernd Belina. Theo Zierock

«Der freie Markt muss eingegrenzt werden»

Geographie-Professor Bernd Belina erklärt, weshalb Wohnungen teurer und Quartiere aufgewertet werden, und warum die Politik nichts dagegen tut.

22. März 2013

Herr Belina, viele Studierende finden keine Wohnung. Die Mieten steigen und steigen. Die Politik scheint dagegen machtlos zu sein.

Bernd Belina: Die Politik beschränkt sich heute in vielen Bereichen darauf, zu behaupten, dass bestimmte Probleme politisch gar nicht gelöst werden können. Der Begriff «Post-Politik» beschreibt diese Selbstentmachtung der Politik.

Die Rahmenbedingungen, die eigentlich zu verhandeln wären, werden als Sachzwänge angesehen. Es handelt sich jedoch nur um Sachzwänge, solange diese auch als solche akzeptiert werden.

Was für Sachzwänge sind das?

Wohnraum wird als Ware akzeptiert, die wie ein gewöhnliches Gut auf dem freien Markt gehandelt wird. Daraus entsteht die Vorstellung, dass der Wohnungsmarkt dieses Problem regeln müsse, die Politik dagegen nur begrenzten Einfluss haben darf. Ganz offensichtlich ist der Wohnungsmarkt aber nicht dazu in der Lage, Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten zur Verfügung zu stellen.

Weshalb?

Der Bau von Häusern ist mit hohen Investitionen verbunden. Das liegt unter anderem daran, dass Bauen im Vergleich zur Produktion von Konsumgütern mit grösserem Arbeitsaufwand verbunden ist. Um Investitionen zu decken und zusätzlich Profit zu erzielen, müssen entsprechende Mieten verlangt werden.

Trotzdem gibt es doch auch günstige Wohnungen auf dem regulären Markt.

Das ist zwar richtig, allerdings handelt es sich dabei um Ausnahmen. Günstiger Wohnraum existiert meist nur in alten, heruntergekommenen Gebäuden oder in Häusern, in denen sich die Eigentümerinnen und Eigentümer nicht um die Vermietung kümmern.

Oder es handelt sich um staatlich unterstützte Mietverhältnisse, wobei dieser Zuschuss üblicherweise direkt an die Vermieterinnen und Vermieter geht. Im Normalfall erstellen Investoren Gebäude, für die Mieten verlangt werden, die sich die meisten nicht leisten können.

Steigende Mieten ergeben sich oft aus der Aufwertung eines Stadtteils. Warum werden Quartiere plötzlich attraktiv, die zuvor noch als Problemquartiere galten?

Welche Quartiere aufgewertet werden, kann man nie genau voraussagen. Interessant ist aber, dass der Aufwertung eines Quartiers immer eine Steigerung der Grundrentenerwartung vorausgeht.

Das heisst, dass der Unterschied zwischen den heutigen Mieteinnahmen und den zukünftig erwarteten Mieteinnahmen grösser wird. Damit werden Investitionen in neue und teurere Gebäude und Wohnungen attraktiver.

Bevor Stadtviertel aufgewertet werden, tummeln sich dort meist Studierende, Kreative und Kunstschaffende. Sind wir an der Gentrifizierung, also der Verdrängung der angestammten Bevölkerung schuld?

Der Grund für die Aufwertung von Quartieren liegt nicht in der Anwesenheit von Studierenden und Kreativen, sondern darin, dass Investoren auf mehr Profit spekulieren.

Dies wird meistens dadurch ausgelöst, dass zunächst die Stadt Geld in die Hand nimmt, in verbesserte Infrastrukturen investiert, die Verkehrssituation verbessert oder die Kriminalität bekämpft. Durch öffentliches Geld werden so private Spekulationsprofite finanziert.

Viele Leute sehen die Aufwertung positiv: Die Strassen werden sicherer, es herrscht Ordnung, und die Anwohner schlafen ruhiger.

Aufwertungsmassnahmen werden von den Stadtbehörden auch meist auf diese Weise begründet. Die Verbesserung von Sicherheit und Ordnung stellt jedoch selten das Ziel solcher Massnahmen dar, sondern dient als Mittel, um das Quartier für Investitionen attraktiver zu machen.

Wie kann das Problem der hohen Mieten gelöst werden?

Der Wohnungsmarkt war nicht immer in der Art und Weise organisiert, wie er es heute ist. Es geht deshalb darum, nicht von vornherein anzunehmen, dass ein freier Markt den Wohnungssektor regeln soll. Vielmehr ist es so, dass der Profit, der mit Wohnraum erwirtschaftet wird, die Mieten in die Höhe treibt.

Deshalb muss die Selbstverständlichkeit hinterfragt werden, dass man durch die Vermietung von Wohnraum überhaupt Geld verdienen können soll.

Was bedeutet das konkret? Was muss sich ändern?

Der freie Markt und die Möglichkeit durch Wohnungsbau Profit zu machen, müssen eingegrenzt werden. Denn ein freier Wohnungsmarkt bedeutet, dass geringverdienende Personen keine oder nur Wohnungen von schlechter Qualität finden.

Das heisst nicht, dass man schlagartig den privaten Wohnungsbau verhindern soll. Wir müssen schliesslich immer von der heutigen Situation ausgehen. Aber Massnahmen, die darauf abzielen, den freien Markt einzugrenzen, gehen in die richtige Richtung.

Die Förderung von sozialem oder genossenschaftlichem Wohnungsbau, der nicht Profit erzielen möchte, ist eine mögliche Massnahme, um Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen.

Zur Person

Bernd Belina, 1972 geboren, hat in Göttingen, Grenoble und Bremen Geographie studiert. Nach Forschungsstationen in Potsdam und Leipzig wechselte er 2008 an die Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo er seit 2011 Professor für Humangeographie ist. Seine Dissertation trägt den Namen «Raum, Überwachung, Kontrolle». Darin untersucht Belina, wie über räumliche Ausgrenzung Minderheiten aus Städten verdrängt werden. In seiner aktuellen Forschung beschäftigt er sich mit Wohnungsknappheit in Frankfurt und anderen deutschen Städten.