Studentin Nicole wohnt beim Senior Siegfried Blarer. Für jeden Quadratmeter ihres Zimmers arbeitet sie monatlich eine Stunde im Haus. Mona Hepp

Putzen statt blechen

Pro Senectute vermittelt Studis Zimmer bei Senioren. Das Interesse der Studierenden ist gross, das der Rentner noch gering. Zu Besuch in einer ungewöhnlichen WG.

21. März 2013

Blanke Studierende ohne Bleibe treffen auf einsame Senioren mit zu viel Wohnraum. Im Austausch für ein Obdach müssen sie pro Monat eine Arbeitsstunde für jeden Quadratmeter ihres Zimmers leisten. Das Projekt «Wohnen für Hilfe» der Pro Senectute Zürich vermittelt zwischen älteren Menschen und Studis.

Eine der Letzteren ist Nicole Killer. Sie studiert Ernährung in Bern und suchte für ihr zwölfmonatiges Praktikum in Winterthur eine Wohnung in der Region. Diese hat sie beim Senior Siegfried Blarer gefunden.

Putzen pro Quadratmeter

Der pensionierte Theaterregisseur wohnt in einem kleinen Reihenhaus in Dietlikon. Als vor vier Jahren seine Frau starb, suchte Blarer Unterstützung im Haushalt. Über «Wohnen für Hilfe» fand er sie. «Ich hatte bereits drei Studierende zur Untermiete und finde das Wohnen mit diesen jungen Menschen sehr interessant!», schwärmt Blarer. «Jeder Mensch ist anders. Ich lerne immer wieder etwas Neues dazu.»

Auch für Nicole ist die generationenübergreifende Wohngemeinschaft eine lehrreiche Erfahrung. Und zudem gut für ihr Portemonnaie. Die Studentin schrubbt, wäscht und bügelt für jeden ihrer zwölf Quadratmeter eine Stunde pro Monat. Bezahlen muss sie lediglich Heizung und Grundnahrungsmittel: Das sind ungefähr 60 Franken monatlich. Der grösste Vorteil: Wenn sie in die Ferien geht, muss sie für ihr Zimmer nichts bezahlen und auch keine Leistungen aufarbeiten. Das Ganze funktioniert also fast wie ein Hotel: Bezahlt und gearbeitet wird nur bei Anwesenheit. Von solchen Mietverhältnissen können die meisten Studierenden in Zürich nur träumen.

Dementsprechend gross ist ihr Interesse für das Projekt von Pro Senectute Zürich. Gut 300 Studis stehen bereits auf der Warteliste für ein Zimmer. Auf Seiten der Senioren findet das Projekt nicht so grossen Anklang. Erst 32 haben sich bis jetzt dazu bereit erklärt, Studierende bei sich aufzunehmen. Warum?

Cristina Di Domenico von Pro Senectute Zürich sieht Angst als eines der Hindernisse. Viele ältere Menschen wollen niemand Fremden in ihre Wohnung lassen. Die Rekrutierung der Senioren ist darum nicht immer einfach. Im Vergleich zu jüngeren Generationen sind Menschen im Alter tendenziell weniger flexibel. Ihre Unsicherheiten zu überwinden, Befürchtungen zu entkräften und Senioren für das Projekt zu gewinnen, ist daher sehr aufwändig.

Auf das Projekt angesprochen, fragen sich einige Rentner beispielsweise, ob sie denn ihr Zimmer abschliessen oder das Portemonnaie verstecken müssten. Damit eine Wohnpartnerschaft überhaupt funktioniert, müssen die Wohnpartner aber Vertrauen aufbauen und eine Beziehung zueinander herstellen. «Anders geht es nicht», so Di Domenico.

Senioren und Studis bringen meist ungleiche Wertehaltungen mit. Auch Blarer spürt gewisse Generationenunterschiede. «Ich kann mir auch vorstellen, dass es als junge Frau vielleicht nicht einfach ist, mit so einem alten Knochen zusammen zu wohnen», scherzt er.

Nicole wohnt gerne bei Blarer. Unterschiedliche Ansichten stellt die Studentin aber auch fest. Zum Beispiel Blarers Vorstellung, dass Frauen besser putzen würden. «Das kann man doch nicht so generalisieren», sagt sie kopfschüttelnd. Blarer kontert: «Männer können zwar durchaus putzen. Es gibt aber einfach Arbeiten, die Frauen besser ausüben. Und: Frauen sehen die Arbeit von selbst.» Aus diesem Grund hat der Senior lieber Studentinnen zur Untermiete. Doch nicht nur beim Putzen herrschen unterschiedliche Ansichten. Nicole wundert sich auch über Blarers Frage, ob sie denn keine Angst hätte, alleine im Haus zu übernachten.

Die Isolation durchbrechen

Alle Unterschiede zu überwinden, ist nicht das Ziel von «Wohnen für Hilfe». Es gibt zwar vereinzelt freundschaftliche Beziehungen unter den Bewohnern, aber Studis und Senioren schliessen sich in erster Linie zu einer Zweckgemeinschaft zusammen.

Auch die Beziehung zwischen «Herrn Blarer» und «Frau Killer» ist eine solche Symbiose. Sie siezen sich und achten darauf, gut aneinander vorbeizukommen. Ohnehin haben Nicole und er verschiedene Fahrpläne, beispielsweise was die Mahlzeiten anbelangt. Um nicht nur aneinander vorbeizuleben, essen sie mindestens zweimal pro Monat gemeinsam zu Abend.

Projektkoordinatorin Di Domenico sieht in dieser Zweckgemeinschaft einen weiteren Vorteil. Sie hilft älteren Menschen, der Isolation zu entkommen. Vor allem wenn ein Ehepartner gestorben ist, sei das Risiko gross, dass der verbleibende Partner in die Isolation abrutscht und sich gehen lässt. Wenn aber eine Studentin oder ein Student im Haus wohnt, müssen sich die Senioren Mühe geben, auf sich schauen und den sozialen Kontakt pflegen. Damit erhalten sie sich unter anderem ihre Selbstständigkeit, die im Alter besonders wichtig ist.

Rentner Blarer findet es schön, wenn schon Licht im Haus brennt, wenn er abends heimkehrt. Es ist einfach ein wärmeres Nachhausekommen. «Und ich bin wieder für etwas da!», freut er sich. Das Hauptinteresse des rüstigen Rentners am Projekt liegt aber in der häuslichen Hilfe. Die anfallenden Arbeiten alleine zu erledigen, wäre für ihn ein zu grosser Aufwand. Für Nicole endet die ungewöhnliche Zweckgemeinschaft im Herbst mit dem Abschluss ihres Praktikums. Und Blarer? Er wird angesichts der hohen Nachfrage keine Mühe haben, sein Zimmer neu zu besetzen.

Warum Studierende keine Wohnung finden: Interview mit dem Geopraphie-Professor Bernd Belina in dieser Ausgabe.